Abo

NRW-Gewässer„Erhebliche Mengen“ multiresistenter Keime nachgewiesen

Lesezeit 7 Minuten
BUND-Wasserexperte Paul Kröfges hat multiresistente Keime in einigen NRW-Gewässern nachgewiesen.

BUND-Wasserexperte Paul Kröfges hat multiresistente Keime in einigen NRW-Gewässern nachgewiesen.

Es sind „erhebliche Mengen“. Sie vermehren sich stark und sterben nicht so schnell wie gedacht. Was sie in unseren Gewässern anstellen, wissen die Experten nicht. Die Rede ist von multiresistenten Erregern (MRE).

Im Gesundheitswesen haben sie eine traurige Karriere gemacht. In deutschen Kliniken infizieren sich damit jährlich bis zu 35 000 Menschen, so Schätzungen des Robert-Koch-Instituts. 1000 bis 4000 Menschen sterben, weil eine Bekämpfung ihrer Infektion durch Antibiotika nicht mehr anschlägt, andere Schätzungen gehen sogar von 15 000 Toten und mehr aus. Antibiotika-Resistenzen sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit eines der größten Gesundheitsprobleme überhaupt. Nun scheint das Problem auch in NRW- Gewässern angekommen zu sein.

„Wir wissen nicht, ob es ein Problem ist“

„Wir wissen nicht, ob die gefundenen Konzentrationen hoch oder niedrig sind“, sagte Thomas Berendonk, Gewässerkundler an der TU Dresden bei einer Expertenanhörung im Deutschen Bundestag. „Wir wissen nicht, ob es ein Problem ist oder nicht.“ Man brauche mehr Forschung, um die Risiken bewerten zu können.

Alles zum Thema Deutscher Bundestag

Dass diese Keime – neben Nitrat und Rückständen von Medikamenten aus der Human- und Tiermedizin – in unseren Flüssen, Bächen und Seen sind, daran erinnern Naturschützer wie Paul Kröfges. Der Chemo-Techniker arbeitete 33 Jahre im Labor der Kölner Wasserwerke, zuständig für Trinkwasserkontrolle. Seit Jahren ist der Ruheständler der Wasserfachmann des BUND. Der Naturschutzverband hat multiresistente Keime in Gewässern im Kreis Borken, bei Viersen und in der Ruhr nachgewiesen, und Kröfges ist sicher, dass er sie nun auch in Agger und Sieg finden wird. „Ich gehe davon aus, dass diese Keime auch in NRW-Badegewässern auftauchen.“

Erhöhter Handlungsbedarf

Fühlinger See, Vingster Freibad und Escher See erfüllen nach Auskunft der Stadt Köln „bisher den Status »ausgezeichnete Wasserqualität«“. Bei den regelmäßigen Überprüfungen haben kommunale Gesundheitsämter Antibiotika-resistente Keime allerdings bislang nicht auf der Suchliste.

Durch Berichte in den Medien alarmiert, sieht auch NRW-Staatssekretär Heinrich Bottermann erhöhten Untersuchungs- und Handlungsbedarf. Seit Anfang Juni lässt das Landesumweltamt (Lanuv) aus zehn NRW-Badegewässern – auch aus dem Fühlinger See und dem Brucher Stausee im Oberbergischen – Proben entnehmen und auf Antibiotika-resistente Keime untersuchen. „Das ist eine erste Sammlung von Daten aus repräsentativen Badegewässern“, so Lanuv-Sprecher Wilhelm Deitermann.

Nach dem Baden abduschen

„Ja, multiresistente Bakterien sind in Flüssen, Seen und Bächen“, sagt Friederike Vietoris vom NRW-Umweltministerium, „doch ihr Anteil ist sehr gering“. Für Menschen mit intaktem Immunsystem sei das Baden ungefährlich, immunschwache oder alte Menschen sowie Neugeborene könnten bei Infektionen jedoch Probleme bekommen, warnen Experten. Vietoris empfiehlt: „Zu Hause vernünftig abduschen.“ Bei erhöhten Keimkonzentrationen würden ohnehin Badeverbote ausgesprochen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Lanuv-Sprecher Deitermann würde das Baden in NRW-Gewässern nicht flächendeckend empfehlen – schon gar nicht in Gewässerabschnitten unterhalb von Kläranlagen. Die Ergebnisse der NRW-Wasseranalysen sollen erst im nächsten Jahr veröffentlicht werden. Die Proben gehen zunächst an die Universität Bonn, an Martin Exner vom Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit. Er ist am Bundesforschungsprojekt HyReKA („Biologische bzw. hygienisch-medizinische Relevanz und Kontrolle Antibiotika-resistenter Krankheitserreger in klinischen, landwirtschaftlichen und kommunalen Abwässern und deren Bedeutung in Rohwässern“) beteiligt: „Die Ausbreitung von Antibiotika-resistenten Erregern über Abwässer und Umwelt ist ein ernstzunehmendes Problem“, befindet er und ist sich mit anderen Experten einig.

Es muss dort gelöst werden, wo es entsteht – bei den Einleitern, also bei Krankenhäusern, Mastbetrieben, Schlachthöfen. Generell gilt: Wo Antibiotika eingesetzt werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dort auch Antibiotika-resistente Keime gefunden werden. Patienten, die über längere Zeit antibiotisch behandelt wurden, können Träger sein.

Einsatz von Antibiotika steigt

Trotz der Warnungen vergangener Jahre: Der Einsatz von Antibiotika steigt in der Humanmedizin nach wie vor. Die Experten raten dringend, ihn zu reduzieren. Doch selbst wenn Klinik-Abwässer durch Spezialfilter aufgerüstet würden – nur 15 Prozent der Antibiotika werden im Krankenhaus verabreicht, 85 Prozent von niedergelassenen Ärzten. Die Bakterien landen über den Urin im normalen Abwasser. Und das wird bei heftigen Regenfällen häufig an übervollen Kläranlagen vorbei direkt in die Gewässer geleitet.

In der Landwirtschaft sank der Antibiotika-Einsatz innerhalb weniger Jahre um die Hälfte. Dennoch ist laut Bundesministerium für Verbraucherschutz jedes zweite Hähnchen im Supermarkt mit Antibiotika-resistenten Keimen besetzt, jede fünfte Fleischprobe belastet, so Reinhild Benning von der NGO Germanwatch bei der Anhörung im Bundestag. In 80 Prozent aller konventionell wirtschaftenden schweinehaltenden Betriebe würden multiresistente Keime nachgewiesen. Sie gelangen über die Gülle auf die Felder und von dort in die Gewässer. In der Landwirtschaft gibt es bislang jedoch so gut wie keine Abwasseraufbereitung.

Bisher kein Nachweis im Grundwasser

Für Marc Boelhauve von der Fachhochschule Südwestfalen in Soest steht fest, „dass eine hundertprozentige Eliminierung der multiresistenten Keime im Stall nicht zu erreichen sein wird“. Eine deutliche Reduktion der Hygiene-Maßnahmen per Spritze erhofft sich der BUND deshalb durch die Veränderung der Mastbetriebe. Paul Kröfges: „Es muss endlich weniger Tiere auf mehr Raum geben.“

Auch die Abwasserwirtschaft warnt: Mit den üblichen Klärverfahren können die unerwünschten Bakterien und Antibiotika-Resistenz-Keime nicht eliminiert werden. Eine vierte, fünfte, gar sechste Klärstufe wäre extrem teuer und energieintensiv. „Tatsächlich wissen wir nicht, welche Verfahren überhaupt geeignet sind, die Resistenzlast nennenswert zu reduzieren“, so Ruhrverbands-Vorstand Norbert Jardin. Der Einbau von Nanofiltern würden die Gebühren für den Bürger nahezu verdoppeln. Die Entsorgung der Filtrate sei da noch gar nicht einkalkuliert.

Bisher wurden die resistenten Keime nicht im Grundwasser gefunden. Es erscheint nach heutigen Erkenntnissen deshalb nicht bedenklich, so Gewässerkundler Berendonk.

Entwarnung für Trinkwasser

Für Trinkwasser gibt Norbert Jardin vom Ruhrverband absolute Entwarnung. Laut Bundesumweltamt hat es eine ausgezeichnete Qualität. Martin Exner vom Bonner Uni-Hygiene-Institut gibt zu Bedenken: Noch wisse man nicht, „von wem und unter welchen Bedingungen klinisch relevante Antibiotika-Resistenzen auf in Trinkwasser vorhandene Bakterien zum Beispiel in Aufbereitungsprozessen übertragen werden können“.

Dietrich Borchardt, Wasserspezialist am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung warnt: „Wir müssen das Problem grundsätzlich in den Griff bekommen, damit es in Zukunft nicht bis ins Trinkwasser durchschlägt. Das muss um jeden Preis vermieden werden.“

Das Landesamt für Naturschutz stellt Informationen zu einzelnen Gewässern in NRW bereit, z.B. auch ein Badegewässerprofil und Informationen zur Gesamtkeimbelastung.

Das Umweltbundesamt beantwortet Fragen zu antibiotikaresistenten Bakterien in Badegewässern.

Drei Fragen an Norbert Jardin

Für wie dringend halten Sie den Handlungsbedarf bei multiresistenten Keimen?

Es besteht kein akuter Handlungsbedarf, aber mittelfristig muss eine Strategie entwickelt werden, um den Eintrag von MRE in unsere Gewässer zu verringern. Dies kann nachhaltig nur an den Eintragsquellen, also in der Landwirtschaft und bei Krankenhäusern, erfolgen. Für unsere Trinkwasserversorgung besteht keine Gefahr, da die Erreger bei der Trinkwassergewinnung und bei der Aufbereitung sicher entfernt werden.

Welche Gefahren bergen MRE in unseren Gewässern?

Multiresistenzen können sich in der Umwelt weiter verbreiten. Grundsätzlich muss daher darauf hingewirkt werden, dass so wenig Resistenzen wie möglich in die Gewässer eingetragen werden. Wir wissen aber derzeit zu wenig über die möglichen konkreten Risiken für Menschen und Umwelt durch die Anwesenheit von resistenten Keimen in Gewässern.

Landwirtschaft, Kliniken und Schlachthöfe sind Haupteinleiter. Sollten deren Abwässer eigens mit speziellen Filtern versehen werden?

Stoffe, die gar nicht erst in den Wasserkreislauf eingetragen werden, müssen nicht mit großem Aufwand wieder entfernt werden. Daher sollten Maßnahmen im Vordergrund stehen, mit denen der Antibiotika-Einsatz in der Tiermast und in der Humanmedizin reduziert werden. Auch eine weitere Verbesserung der Hygienemaßnahmen bei der Tierhaltung und im Krankenhaus ist sinnvoll und notwendig. Wir benötigen mehr Informationen über die konkrete Belastung von Klinik- und Schlachthofabwässern, hier sollten gezielte Untersuchungen ansetzen.

Multiresistente Erreger und ihre unkalkulierbare Wirkung

Multiresistente Erreger (MRE) sind für gesunde Menschen in der Regel ungefährlich. Tragen sie die Erreger aber in sich, können sie diese an andere Menschen weitergeben.

Gefährdet sind Menschen mit geschwächten Abwehrkräften, besonders in Krankenhäusern und Pflegeheimen. MRE können bei ihnen Infektionen auslösen, zum Beispiel in der Lunge oder an der Haut. Wenn sie eine Infektion entwickeln, ist die Behandlung erschwert, weil nur noch wenige Antibiotika wirken. Im schlimmsten Fall kann die Infektion daher lebensgefährlich verlaufen.

Antibiotika-resistente Bakterien und solche, die keine Krankheitserreger sind, kommen häufiger in der Umwelt vor als früher. Das Risiko besteht, dass sie dort neue Kombinationen von Resistenzen bei anderen Bakterien entwickeln. Sie könnten ihre Resistenz im Darm auf bisher nicht resistente Krankheitserreger übertragen.

In Deutschland werden auch über 150 Arzneimittelwirkstoffe in Oberflächengewässern, Grundwasser und Böden nachgewiesen, hat das Bundesumweltamt ermittelt. Wirkstoffe in Arzneimitteln, die über das Urin ausgeschieden werden und auf diesem Weg in die Umwelt gelangen, können dort unerwünschte Wirkungen auf Tiere und Pflanzen haben. (hch)

KStA abonnieren