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Opern-Ikone José Carreras wird 75

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Barcelona/Andorra – Für Opern-Weltstar José Carreras hat bereits der Countdown begonnen. Zum 75. Geburtstag, den er am 5. Dezember im Kreise seiner großen Familie in seiner Wahlheimat Andorra feiern wird.

Aber auch zum endgültigen Abschied von den Bühnen - über den der Spanier aus Katalonien erst seit kurzem im Klartext spricht. Im Interview der Zeitung „El Mundo” nannte er auch eine konkrete zeitliche Frist. „Es wird an der Zeit, dass ich in den Ruhestand gehe. Ich werde noch ein oder zwei Jahre singen, ich glaube nicht, dass es länger dauern wird”, sagte das ehemalige Mitglied der legendären „Drei Tenöre” im Herbst nicht ohne Wehmut.

Er hat die Leukämie besiegt

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Altersmüdigkeit? Keineswegs. Es sei für ihn immer noch „bewegend”, auf die Bühne zu gehen, erzählte er nach einem Auftritt in Sevilla mit Flamenco-Tänzerin Sara Baras (50), bei dem er mit einer Ovation gefeiert wurde. Aber er werde „ein Dreivierteljahrhundert alt”. Da komme man schon ins Grübeln. „Vielleicht sollte ich mehr mit meinen Enkelkindern sein”. Der schicksalserprobte Mann, der auf seinem Karriere-Höhepunkt eine Leukämie-Erkrankung besiegte, weiß, dass „auch die wunderbarsten Dinge im Leben irgendwann enden” müssen.

Doch vorerst müssen Ruhestand und Enkelkinder noch etwas warten. Schon sechs Tage nach der Geburtstagsparty gibt Carreras am 11. Dezember ein Weihnachtskonzert in Andorra. Am 16. Dezember findet anschließend in Leipzig unter anderem mit Roland Kaiser und Die Prinzen in Live-Übertragung des MDR wieder die jährliche TV-Gala statt, mit der der Mann aus Barcelona seit 27 Jahren Spenden für seine Leukämie-Stiftung sammelt. Sechs Tage vor Heiligabend tritt Carreras auch in Bulgarien auf. Für 2002 stehen zudem Konzerte unter anderem in Italien, Russland und Polen auf dem Programm.

Seine Konzerte sind blitzschnell ausverkauft

Die Fans, die Carreras ein letztes Mal live erleben wollen, müssen auf der Hut sein. Denn bei seinen Auftritten sind die Karten immer schnell ausverkauft. Der Polizisten-Sohn, der in Mamas Friseurladen als Knirps die Kundinnen mit seiner Stimme erfreute und dafür ein paar Münzen bekam, ist im fortgeschrittenen Alter immer noch eine weltweite Musik-Ikone, die nicht nur von Opern-Fans verehrt wird.

1947 in Barcelona geboren, begeisterte sich Klein-José schon als Sechsjähriger für die Oper, nachdem er mit seinem Vater im Kino den Film „Der große Caruso” mit Mario Lanza gesehen hatte. In der Schule trällerte er Opernstücke, weshalb Mitschüler ihn in Anlehnung an die Giuseppe-Verdi-Oper „Rigoletto” nannten. Obwohl sie von Musik wenig Ahnung hatten, förderten die Eltern das Talent ihres Sohnes und schickten ihn aufs Konservatorium. Das „Wunderkind” trat zunächst im Radio auf und war erst 11 Jahre jung, als es im Gran Teatre del Liceu in Barcelona sein Debüt feierte.

Von da an ging es rapide bergauf. Die Pläne, Chemiker zu werden, wurden kurz nach Aufnahme des Studiums ad acta gelegt, denn bereits seinerzeit verdiente er sich als Sänger einen guten Lebensunterhalt. Die katalanische Landsfrau Montserrat Caballé (1933-2018), die damals schon als beste Sopranistin der Welt galt, erkannte seine Begabung und wurde zu einer Art Mentorin. Ebenso wie der österreichische Stardirigent Herbert von Karajan (1908-1989), mit dem Carreras dann jahrzehntelang eng zusammenarbeiten sollte.

Die Welt lag dem Spanier bald zu Füßen. Der schmächtige Tenor mit dem schüchternen Lächeln begeisterte Mitte der 1970er Jahre das Publikum unter anderem in der Metropolitan Opera von New York, im Londoner Covent Garden und in der Wiener Staatsoper. An der Donau riss er 1977 in Zusammenarbeit mit Karajan das Publikum als Rodolfo in Puccinis „La Boheme” 35 Minuten lang zu Beifallstürmen hin. Als der Tenorstar dort erst im September zur Abschiedsgala lud, hörte man das Publikum nach spanischen Medienberichten laut trauern: „Eine Ära geht zu Ende” und „Er hat Geschichte geschrieben”.

Seine Ausstrahlung ist einmalig

Carreras faszinierte mit dem besonderen Timbre, der gefühlvollen Ausdruckskraft und der Verletzlichkeit seiner Stimme, mit seiner außerordentlichen Beherrschung des dramatischen Registers. Seine persönliche Ausstrahlung tat ein Übriges. Carreras erzählte, Karajan habe ihm einmal gesagt: „Weißt Du, warum du so erfolgreich bist? Weil jeder Opernbesucher glaubt, du singst nur für ihn alleine.”

Doch auf dem Gipfel des Erfolgs kam im Sommer 1987 die Schock-Nachricht: Carreras hat Blutkrebs. Die Karriere schien zu Ende, schlimmer noch: Die Überlebenschancen galten als gering. Nach einer Knochenmarktransplantation konnte er aber die Krankheit besiegen. 1988 gründete er die Carreras-Stiftung, um den Kampf gegen Leukämie zu finanzieren. Bei seinen alljährlichen TV-Benefizshows in Deutschland kamen schon unzählige Millionen zusammen. Sein Ziel: „Leukämie muss heilbar werden. Immer und bei jedem.”

Carreras ist unterdessen davon überzeugt, dass die Krankheit ihn auch stärker gemacht hat. „Ich denke, ein Mensch, der in seinem Leben solch harte Momente hat, wird reifer und hat andere Ansichten und Prioritäten”, sagte vor einigen Jahren der Mann, dessen Mutter an Krebs starb, als er erst 17 war. Nach der Leukämie setzte Carreras in der Tat noch mehrere Karriere-Meilensteine. Etwa 1990, als der Verdi- und Puccini-Interpret durch einen Auftritt bei der Fußball-WM 1990 in Rom mit dem Italiener Luciano Pavarotti (1935-2007) und seinem spanischen Landsmann Plácido Domingo (80) als „Die Drei Tenöre” über Nacht einem breiten Publikum bekannt wurde.

Viele Kritiker klagen zwar, Carreras Stimme sei schon seit vielen Jahren ein Schatten ihrer selbst. Das mag stimmen und wird auch vom stets bescheiden auftretenden Spanier nicht bestritten. Carreras hat aber immer noch „ranghohe” Fans auch unter jüngeren Experten und Kollegen. Der Mexikaner Rolando Villazón (49), einer der besten Tenöre der Welt, sagte: „Wenn ein Sänger mich bewegt hat, war es José Carreras. Sein Gesang, sein Stil sind für mich vorbildlich.”

© dpa-infocom, dpa:211130-99-196555/5 (dpa)

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