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Organisiertes Verbrechen im RheinlandKöln ist eine Mafia-Hochburg

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Symbolbild.

Köln – Er hatte sich rechtzeitig vor seiner Festnahme aus Italien abgesetzt: Monatelang fahndete die Staatspolizei in Catania nach Antonino C., 26, einem hochrangigen Mitglied der sizilianischen Cosa Nostra. Die Mafia-Jäger hatten am 23. Januar zahlreiche Mitglieder des mächtigen Santangelo-Clans in Adrano verhaftet, doch einige Gangster schlüpften durchs Netz und verschwanden über die Alpen.

In Köln untergetaucht

Antonino C. tauchte in Köln unter. Doch Beamte des Bundeskriminalamts spürten den Gesuchten in der Rheinmetropole auf. Vergangenen Samstag wurde er festgenommen.

Tage zuvor fassten die Ermittler im hessischen Biebesheim einen Komplizen, zudem wanderten in Italien 31 Personen in Haft. Die Vorwürfe reichen von Erpressung, Waffen- und Drogenhandel bis hin zu Raub, Hehlerei sowie Brandstiftung im Auftrag der Santangelo-Familie.

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Seltener Fahndungserfolg

Die Kölner Festnahme ist ein seltener Erfolg gegen die Mafia hierzulande. Einem Phantom gleich versucht das organisierte Verbrechen in Deutschland seine Spuren zu verwischen. Nach den Mafia-Morden von Duisburg 2007 gilt hierzulande vor allem die Devise: Nur nicht auffallen.

Laut dem NRW-Innenministerium führen „mutmaßliche Mitglieder in Deutschland zumeist ein eher unauffälliges Leben und etablieren sich zum Beispiel als selbstständige Mittelständler und Gastronomen.“ Häufig nutzen sie auch Clanverbindungen und familiäre Beziehungen, um ihre Tarnung aufrechtzuerhalten.

Hohe Dunkelziffer

„Uomini d’onore“, übersetzt die „Männer der Ehre“, sind längst dabei, auch Deutschland zu erobern. 120 Personen sind den NRW-Behörden als Mafiosi bekannt. Angesichts der schwierigen Ermittlungen gegen die Organisierte Kriminalität und der begrenzten Kapazitäten ist die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher.

'Ndrangheta beherrscht Kokainhandel

Dabei geben an Rhein und Ruhr laut NRW-Innenministerium vor allem die sizilianische Cosa Nostra und die kalabrische ’Ndrangheta den Ton an. Und das nicht nur in Deutschland: Italienischen Fahndern zufolge beherrscht die ’Ndrangheta inzwischen 80 Prozent des internationalen Kokainhandels – dabei fallen jährlich 40 Milliarden Euro ab.

In Deutschland hat sich die „Ehrenwerte Gesellschaft“ ihre Einflussbereiche aufgeteilt. Längst ist die Cosa Nostra nicht mehr nur auf ihren Ursprungsort Sizilien beschränkt. Die Verbrecherorganisation ist heute weltweit aktiv, auch in Köln hat sie seit ungefähr 25 Jahren ihre Statthalter. „Die Stadt und das Land sind Rückzugs- und Ruheraum, aber auch Aktionsraum“, weiß auch Sebastian Fiedler, der NRW-Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK).

Sechs Mafiamorde in 30 Jahren

Seit 1987 zählt die Polizei in Köln sechs Morde mit Mafia-Hintergrund. Hinzu kommen 20 große Verfahren wegen Kokainschmuggels, Schwarzarbeit auf Baustellen, Autoschiebereien und Schutzgelderpressung. Die Sondereinheit der Kölner Kripo ist vor allem in Steuerrecht und Buchhaltung geschult, weil die Cosa Nostra vor allem mit Steuerhinterziehung und Unterschlagung von Sozialleistungen im Baugewerbe agiert. Daneben spielen aber auch Drogenhandel und Geldfälschung eine Rolle.

Organisiertes Verbrechen kam mit den Gastarbeitern

Dass in Köln ausgerechnet sizilianische Syndikate aktiv sind, hat historische Gründe: Die meisten Gastarbeiter, die ab 1955 hierhin kamen und sich vor allem in Kalk und Ehrenfeld niederließen, stammten aus Sizilien.

Das Klischee vom kriminellen Pizzabäcker allerdings sei inzwischen so alt wie falsch – darin sind sich Ermittler und Mafia-Experten einig. „Die Drahtzieher heute sind intelligente Manager, Akademiker, die mehrere Sprachen sprechen und bestens vernetzt sind“, erläutert Roberto Scarpinato im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Scarpinato ist Leitender Oberstaatsanwalt in Palermo.

Ermittlungen in Italien leichter

In seiner Heimat gilt er als oberster Mafiajäger. Deutschland bezeichnete Scarpinato einmal als „Schlaraffenland“ für die Mafia. In Italien sind Lauschangriff und systematische Telefonüberwachung im Gegensatz zur Bundesrepublik erlaubt, außerdem erleichtert das Prinzip der Beweislastumkehr die Finanzermittlungen: Sobald der Verdacht besteht, dass es sich um eine mafiöse Vereinigung handelt, vergleichen die Ermittler das Vermögen mit dem Einkommen.

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Scarpinato: „Wenn in Italien jemand mit 200 000 Euro eine Pizzeria aufmacht, aber nur 10 000 Euro pro Jahr umsetzt, kann die Staatsanwaltschaft ihn auffordern zu beweisen, woher sein Kapital stammt. Kann er das nicht, darf der Staatsanwalt die Pizzeria beschlagnahmen.“ In Deutschland müssen Ermittler beweisen, dass das Geld aus Straftaten stammt. Ein schwieriges Unterfangen.

Viel Immobilienkäufe mit „schmutzigem Geld“

Inzwischen hat der Gesetzgeber die Regeln zur Beweislastumkehr zwar im Sinne der Strafverfolger ein wenig verändert, allerdings muss sich in der Praxis zeigen, so BDK-Chef Fiedler, „ob die Änderungen wirken.“ Jede fünfte Immobilie jedenfalls werde mittlerweile mit „schmutzigem Geld gekauft“.

Auch wasche die Mafia hierzulande ihr Vermögen mit Hilfe von Handelsgeschäften aller Art bis hin zu Autokäufen in bar. „Deshalb fordern wir, die Bargeldgeschäfte auf 10 000 Euro zu beschränken“, so Fiedler. Höhere Beträge dürften nur noch über Konten laufen, um die wahren Geldflüsse nachvollziehen zu können.

Drehscheibe für die Baumafia

Köln gilt zudem als Drehscheibe für die italienische Baumafia. Dabei führen die Spuren häufig zur Cosa Nostra. „Mitunter arbeiten die Banden der kalabrischen ’Ndrangheta und der Cosa Nostra hierzulande aber auch arbeitsteilig zusammen“, berichtet ein OK-Ermittler.

Schlechte Zusammenarbeit mit Italien

Im Kampf gegen die Mafia beklagen Strafverfolger im Kölner Justizzentrum mitunter die schlechte Zusammenarbeit mit den italienischen Behörden. Häufig dauere es viel zu lange, bis Urteile, Abhörprotokolle oder andere Ermittlungsunterlagen geliefert würden, bemängelt ein hochrangiger Ermittler. „Hinzu kommen die unterschiedlichen Zuständigkeiten der drei großen Polizei- und Justizorganisationen, die zum Teil dazu führen, das etliche Behörden parallel ermitteln, aber ihre Erkenntnisse nicht mit uns teilen.“

So geschehen, als die Kölner Justiz 2016 ein Verfahren aus Karlsruhe übernahm. Die Mafia-Jäger aus Italien hatten die deutschen Stellen um Amtshilfe gebeten. Ein hochrangiges Mitglied der Cosa Nostra namens Ivano M., 36, verschob von Köln aus Falschgeld, Kokain, Antiquitäten und Autos.

Der Gangster gehörte dem Syndikat Rinzivillo an, das gerade in Rom Fuß fassen wollte. Die Familie zählte zu den mächtigsten der „Ehrenwerten Gesellschaft“ in Sizilien. Laut dem Recherche-Netzwerk Correctiv soll der Pate Salvatore Rinzivillo seinen Kölner Residenten angewiesen haben, das Geschäft auf deutsche Städte auszuweiten. Unter anderem ging es um Geldwäsche bei Immobiliengeschäften.

Die Ermittlungen der Kölner liefen an, Telefone wurden überwacht, eine Kommission gebildet. Immer wieder kündigte die Clanspitze zwar hohe Geldlieferungen ins Rheinland an, aber tatsächlich passierte nichts. Im Herbst 2017 allerdings signalisierten die Italiener überraschend ein Ende der Ermittlungen.

Bei einer großen Razzia verhafteten sie 37 Verdächtige, darunter Clanchef Rinzivillo. In Köln-Sürth setzte ein Spezialeinsatzkommando dessen rechte Hand, Ivano M., fest. Der wurde inzwischen nach Italien ausgeliefert. „Seither“, so ein Ermittler, „haben wir nicht mehr viel von den Kollegen gehört.“

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