Prozess um PolizistenmordÜberraschende Volte des mutmaßlichen Haupttäters

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Der Hauptangeklagte (r) spricht mit seinem Anwalt Leonhard Kaiser im Verhandlungssaal des Landgerichts Kaiserslautern.

Kaiserslautern – Mitunter folgen Angeklagte in großen Strafprozessen der Maxime „Angriff ist die beste Verteidigung“. Genau diese Devise hat Andreas S. wohl mit seinen beiden Anwälten im Sinn, als er gegen 9.10 Uhr am Dienstagmorgen den Schwurgerichtssaal betritt. Mit einer Akte in der Hand, die Corona-Schutzmaske vorschriftsmäßig vorm Gesicht, nimmt der mutmaßliche Mörder der beiden Polizisten Yasmin B., 24, und ihres Kollegen Alexander K. an Handschellen gefesselt auf seinem Stuhl Platz. Höflich nickt er den Kameraleuten und Fotografen zu. Sein Mitangeklagter und die Anwälte versuchen bereits im Vorfeld auf Distanz zur jeweils anderen Partei zu gehen. Florian V. muss sich wegen gewerbsmäßiger Wilderei und Strafverteilung vor Gericht verantworten. Zugleich gilt er als Kronzeuge der Geschehnisse. Letztlich wird das Problem durch einen weiteren Tisch gelöst, der die beiden Männer gut fünf Meter weit voneinander trennt.

Feuer eröffnet, nachdem nach den Papieren gefragt wurde

Der Vorsitzende Richter Raphael Mall lässt dem Hauptangeklagten die Handschellen abnehmen, ehe es losgeht. Anschließend verliest Oberstaatsanwalt Stefan Orthen die Anklage. Mit gefalteten Händen, die Haltung straff, fixiert der Hauptangeklagte den Strafverfolger, während der Punkt für Punkt vorträgt.

Demnach soll der 39-jährige passionierte Jäger Andreas S. bei einer Verkehrskontrolle am frühen Morgen des 31. Januar die beiden Polizisten ermordet haben, um seine Wilderei zu verdecken. Die Beamten hatten auf dem Kastenwagen des Tatverdächtigen 22 illegal erlegte Wildtiere entdeckt. Als Yasmin B. den Betreiber einer Bäckerei und eines Wildhandels um seine Papiere bat, soll dieser das Feuer aus einer Schrotflinte eröffnet haben, anschließend soll er auf den Kollegen angelegt haben, der versuchte, per Funk Verstärkung anzufordern. Mit drei weiteren Schüssen aus einem Jagdgewehr hat Andreas S. aus Sicht des Anklägers den Polizeikommissar regelrecht hingerichtet. Erfolglos hatte dieser das Magazin seiner Dienstpistole auf den Angreifer geleert.

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Ein Kranz, Blumen und Kerzen liegen im Februar am Tatort nahe Kusel in der Pfalz. 

Danach ging S. zurück, wendete den Kastenwagen mit den toten Tieren, stieg aus und bemerkte, dass Yasmin B. noch lebte. Erneut lud er laut Anklage die Schrotflinte und schoss ihr ins Gesicht. So hat es sein Jagdhelfer geschildert, umfangreiche kriminaltechnische Untersuchungen haben seine Aussagen bestätigt. Auch haben die Ermittler in einem aufwändigen Prozedere die Morde am Tatort rekonstruiert und keine Widersprüche gefunden.

Spektakuläre neue Geschichte

Am Dienstagmorgen gegen halb zehn überraschen die Anwälte des Hauptangeklagten mit einer spektakulären Volte. Monatelang hatte Andreas S. in der Untersuchungshaft geschwiegen. Um nun über seinen Anwalt Leonard Kaiser eine längere Einlassung verlesen zu lassen, die ihn von den Mordvorwürfen reinwaschen soll. Tenor: Nicht er, sondern sein Jagdhelfer ist der eigentliche Schuldige.

Detailliert baut der Anwalt ein chronologisches Gebilde auf, das seinen Klienten ent- und den damaligen Jagdhelfer schwer belasten soll. Über einen Bekannten lernen sich beide demnach im Herbst kennen. Andreas S., der längst seinen Jagdschein verloren hat und dem das Wasser geschäftlich bis zum Hals steht, sucht sich mit halblegalen und illegalen Abschüssen über Wasser zu halten. Dazu braucht er einen Gehilfen, der die erlegten Rehe, Hirsche und Wildschweine einsammelt und aufbricht.

Wilderei als lukratives Geschäft

Florian V. lebt von Hartz-IV und hat wegen kleiner Delikte Probleme mit der Justiz. Der Darstellung zufolge macht er sich aber fortan gut beim Wildern, es erweist sich als lukrativ. Allerdings fällt Andreas S. auf, dass sein Jagdhelfer Drogen konsumiert haben soll. Amphetamine und Marihuana. Nur so schafft er die harte Arbeit.

Irgendwann will V. lernen, wie man so gut schießt wie sein Chef. Die Angeklagten üben zusammen. Der Einlassung zufolge soll sich der Jüngere vor allem im Umgang mit der Schrotflinte ausgezeichnet haben. Die habe er gleich zwei Mal benutzt, um Wildschweine „bei der Nachverfolgung zu erschießen“, heißt es.

Als Andreas S. nach dem einträglichen Weihnachtsgeschäft das Wildern ausklingen lassen will, da die Jagdsaison zu Ende geht, soll sein Kompagnon darauf gedrängt haben, weiter zu machen. Wenn er nicht weiter so viel verdienen könne, müsse er „wieder in den Drogenhandel einsteigen“, so seine Begründung.

Tödliche Dynamik

Am 30. Januar will Andreas S. zur letzten Tour in der Saison gestartet sein. Dabei soll sein Helfer bei einem Treffen mit einem Unbekannten Pakete mit Amphetamin übergeben haben. V. selbst sei ebenfalls zugedröhnt gewesen. Vom Auto aus erblickte das Duo per Wärmebildkamera die Wildtiere. Andreas S. schoss sie dann ab, sein Assistent packte die Beute ein.

Und dann entwickelte sich angeblich gegen vier Uhr morgens eine tödliche Dynamik, in der Andreas S. den Überblick verloren haben will. So soll er seinem Jagdgehilfen die Schrotflinte überlassen haben, weil der noch ein erlegtes Wildschwein aufspüren sollte.

Ein Zivilfahrzeug habe sich an der Landstraße nahe Kusel genähert. Der Wagen sei so nah rangefahren, dass S. die Fahrertür nicht mehr habe öffnen können. Ein Mann habe ihn aufgefordert, seine Papiere zu übergeben. Dann habe er zwei Schüsse gehört, die eine zweite Person getroffen hätten. Laut Anwalt will Andreas S. zwei Mal einen großen Knall vernommen haben. Überrascht habe er festgestellt, dass dann plötzlich Schüsse von einer zweiten Person auf seinen Kastenwagen mit den 22 erlegten Wildtieren abgefeuert worden seien. Er habe zum Jagdgewehr auf dem Armaturenbrett gegriffen, sei über die Beifahrerseite ausgestiegen und habe nacheinander drei Mal abgedrückt. „Herr S. wollte einfach nur, dass das Feuer auf ihn von der Person aufhörte“, erklärte der Verteidiger.

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Nach dem dritten Schuss sei es ruhig geworden. Anschließend näherte sich S. nach eigenen Angaben dem Polizeifahrzeug in Zivil. In einem Feldstück habe er dann den getöteten Alexander K. entdeckt. Erst dort will Andreas S. gemerkt haben, dass es sich um einen uniformierten Polizeikommissar handelte.

Schilderung von S.: Erst bekreuzigt, dann geflüchtet

Kurz darauf habe er seinen Komplizen aufgefordert nach seinen Ausweispapieren zu suchen. Als er den Wagen voller erlegter Wildtiere gewendet habe, sei der nächste Knall erfolgt. Mit Entsetzen habe er feststellen müssen, dass sein Gehilfe mit der Schrotflinte die schwerverletzte Polizeianwärterin getötet habe. Mit Blick auf das zerschossene Gesicht des Opfers will sich Andreas S. bekreuzigt haben. Nach kurzem Streit sei man dann geflüchtet.

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Später dann habe sich der Mandant der Polizei stellen wollen, erklärt Anwalt Kaiser. Allerdings sei er just zu jenem Zeitpunkt durch ein Spezialeinsatzkommando festgenommen worden.

Verteidiger bleibt gelassen

Folgt man dieser Darstellung hätte der Hauptangeklagte womöglich in Notwehr gehandelt. In diesem Falle würde der Jagdgehilfe die Hauptschuld auf sich nehmen müssen. Dessen Verteidiger Christian Kessler, reagierte gelassen. „Diese erfundene Geschichte war vorhersehbar, damit hat sich der Mitangeklagte keinen Gefallen getan.“

Immerhin steht bei Andreas S. im Falle der Verurteilung die Sicherungsverwahrung im Raum. Folglich wählte er angesichts der Beweislast den Angriff, um sich juristisch zu verteidigen. Ein gutes Recht, das jedem Bürger zusteht. Für die Angehörigen der Opfer, die dem Prozessauftakt fernblieben, wird es gewiss schwierig sein, damit umzugehen.

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