Abo

SamenspenderDer Mann mit den 102 Kindern

Lesezeit 7 Minuten
Als anonymer Samenspender hat Ed Houben angefangen, vor 12 Jahren entschied er, sein ungewöhnliches Hobby privat fortzusetzen und bot seine Dienste im Internet an.

Als anonymer Samenspender hat Ed Houben angefangen, vor 12 Jahren entschied er, sein ungewöhnliches Hobby privat fortzusetzen und bot seine Dienste im Internet an.

Ein rotes Fähnchen im Fenster dient zur leichteren Orientierung. Das unauffällige Mehrfamilienhaus in einer ruhigen Wohngegend von Maastricht ist ein paar Mal im Monat das Ziel von Frauen, manchmal auch Paaren aus ganz Holland, Belgien und der deutsch-niederländischen Grenzregion. Die Hausnummer 8c ist eine Adresse, mit der sich für die Besucher des großen kräftigen Mittvierzigers auf der zweiten Etage Zukunftsperspektiven verbinden. Hoffnungen in einem sehr elementaren Sinn: die Hoffnung auf die Verwirklichung des bislang unerfüllten Kinderwunsches.

Besuch von lesbischen Paaren aus Weißrussland

Deswegen nehmen die ganz speziellen Besucher, mit denen sich Ed Houben in seiner Mietwohnung verabredet, auch sehr viel weitere Anreisewege in Kauf, sogar in Kanada und Australien kennt man seine Anschrift. Dieser Tage war ein lesbisches Paar aus Weißrussland bei ihm. „Kaffee, Tee oder lieber ein Wasser?“ fragt Ed Houben und bittet auf die bequeme Couch im Wohnzimmer. Er ist groß, kräftig gebaut, kein Kostverächter. „Ich bin kein Modeltyp, trotzdem laufen mir die Frauen nach“, sagt er und lacht. Es ist ein herzliches Lachen, Häme scheint ihm fremd. Er wäre sicher auch ein guter Papa, wenn er eigene Kinder hätte. Einer der stundenlang mit dem Sohn auf dem Fußballplatz stehen oder vor der Disco geduldig auf die Tochter warten würde.

Ed Houben ist an der Zeugung von 102 Kindern beteiligt, vier Frauen sind aktuell von ihm schwanger. Houben ist privater Samenspender. Vermutlich einer der aktivsten in Europa. „Darüber gibt es keine Statistiken“, sagt er, während er einen Stapel Bücher sortiert, darunter eine Auswahl an Schwangerschafts-Ratgebern.

Kleinkinder als „Referenzen“

Der Blick fällt auf einen digitalen Bilderrahmen im Bücherregal. Im Zwei-Minuten-Rhythmus wechseln die Fotos, überwiegend Porträts von Kleinkindern, die in die Kamera lächeln. „Sozusagen meine Referenzen“, witzelt er. Ein Mädchen mit geflochtenem Haar strahlt den Betrachter an. „Das ist Silvie aus Brüssel“, erläutert „Papa Ed“, wie er sich der Einfachheit nennen lässt. „Und das hier ist Marco ganz hier aus der Nähe.“ Er hat alle Vornamen präsent. Die Bilder der Kinder sind alphabetisch geordnet, um sie sich leichter merken zu können. „Das ist einfacher, als die amerikanischen Präsidenten in der richtigen Reihenfolge aufzuzählen“, meint er trocken. Houben ist studierter Historiker. Im Hauptberuf zeigt er Touristen die Schönheiten seiner Heimatstadt und bildet Fremdenführer aus.

Bevor er begann, Frauen und Paaren, die aus den unterschiedlichsten Gründen keine Kinder bekommen können, zum Babyglück zu verhelfen, bot er als anonymer Samenspender Kliniken in den Niederlanden seine Dienste an. Aus reinem Idealismus, wie er beteuert. Allerdings empfand er seine Mitwirkung an der künstlichen Befruchtung durch Samenbanken mehr und mehr als einen „rein technischen Akt“, wie er sagt: „Becher in Empfang nehmen, Becher füllen, Becher verschließen und abgeben. Und das war’s dann.“ In den meisten Fällen hat er nicht mal erfahren, ob er einen erfolgreichen Beitrag zur Fortpflanzung leisten konnte.

Intimste Sache der Welt

Vor ungefähr zwölf Jahren entschied er, sein ungewöhnliches Hobby privat fortzusetzen, und fing an, im Internet auf sich aufmerksam zu machen. Anfangs hat Houben die Paare oder Single-Frauen aufgesucht, seit einigen Jahren kommen die Wunsch-Eltern nach Maastricht, wenn er durch den vorausgegangenen E-Mail-Austausch und Telefongespräche den Eindruck gewonnen hat, dass man sich sympathisch ist. Weil es sich ja schließlich um „die privateste und intimste Sache der Welt handelt“, möchten seine Klienten gern persönlich den Mann kennenlernen, der ihnen seine Samenzellen zur Verfügung stellt.

In Deutschland sind seit den siebziger Jahren mehr als 100 000 Kinder durch eine Samenspende gezeugt worden sind. Ärztesprechen von donogener Insemination. Pro Jahr werden auf diese Weise schätzungsweise 1000 Kinder in Deutschland gezeugt.

Rund ein Dutzend Samenbanken kooperieren mit Ärzten und Kinderwunschzentren. Das Sperma ist tiefgefroren und wird vor dem Einbringen auf Infektionskrankheiten untersucht. Samenspender erhalten für eine Spende meist weniger als 100 Euro.

Ein Recht auf Anonymität haben Samenspender in Deutschland nicht. Schon 1989 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es zu den Persönlichkeitsrechten eines Menschen gehört, seine genetische Herkunft zu kennen. Seit 2007 müssen Unterlagen über eine Samenspende 30 Jahre lang aufgehoben werden. Und es gibt einen Präzedenzfall: 2013 hat ein Gericht entschieden, dass eine Samenbank einer anonym gezeugten Frau den Namen ihres leiblichen Vaters nennen muss. Auch Unterhaltsklagen wären auf diese Weise theoretisch möglich.

Im Ausland ist gesetzlich oft ausdrücklicher geregelt, dass die Samenspender keine Ansprüche und Pflichten dem Kind gegenüber haben. Auch Ed Houben befürchtet nicht, dass er für eines der von ihm gezeugten Kinder eines Tages aufkommen muss. Zwischen ihm und den Frauen gibt es Vereinbarungen, die besagen: keine Rechte, keine Pflichten, keine Unterhaltszahlungen. Ob diese privaten Abmachungen vor einem Richter tatsächlich Bestand hätten, ist allerdings fraglich. (ma)

„Dieses Vertrauen zu bekommen, ist eigentlich eine riesengroße Ehre“, sinniert Ed Houben und schenkt Kräutertee nach, „das muss ich mir immer wieder klarmachen.“ Das Einzige, worauf der Vielfach-Erzeuger besteht, wenn man sich einig geworden ist, ist ein bestätigtes Gesundheitszeugnis. Darin sei er konsequent, um sich vor Ansteckung mit HIV, Hepatitis oder Geschlechtskrankheiten zu schützen. Die Bedingungen gelten für beide Seiten: Auch er selbst unterzieht sich regelmäßig Medizin-Checks, deren aktuelles Ergebnis die Paare vorab mitgeteilt bekommen. Was das gegenseitige Vertrauen angeht, hält es der aus einer gut katholischen Maastrichter Familie stammende Glücksbringer mit Albert Schweitzer: „Ein Unbekannter ist ein Freund, den man noch nicht kennt.“

Houben wirkt zurückhaltend und nachdenklich, er mag nicht protzen mit seiner sexuellen Leistungsfähigkeit. Seine „Spermadichte“, verrät er auf Nachfrage, liege bei 100 Millionen pro Milliliter Ejakulat. Das belegt sein ärztlich bescheinigtes Spermiogramm. Ein hervorragender Wert – mindere Qualität rangiert bei 20 Millionen. In den ersten Jahren als anonymer Samenspender hatte er in einer Jackentasche stets einen kleinen Becher und eine Spritze bei sich, um immer und überall für überraschende Einsätze gerüstet zu sein. Mehr als zehn Jahre lang habe er akzeptiert, an der Entstehung von Kindern mitzuwirken, ohne mit den potenziellen Müttern Sex zu haben. Heute könne er, gesteht Houben, psychisch zunehmend schlechter damit umgehen, „dass ich gut genug bin, ein Kind zu schenken, ohne Sexualpartner zu sein“. Anfangs mochte er keine Beziehungen zulassen, heute fühlt er sich, wenn doch mal wieder nach der „Becher-Methode“ verlangt wird, eigentlich nur noch als „Sperma-Lieferant“.

Arrangierte One-Night-Stands

Immer häufiger nähmen, berichtet er, Paare seine Dienste in Anspruch, die die „natürliche Zeugungsmethode“ wünschen. Manchmal bleiben die Partner in der Nähe, wenn die Frauen zwischen Anfang 20 und Mitte 40 zum Zweck der Fortpflanzung mit dem Samenspender schlafen. Manchmal gehen sie unterdessen auch spazieren oder ins Kino. Und mehr und mehr wenden sich alleinstehende Frauen oder lesbische Paare an den dutzendfachen Papa. Er helfe allen gern, sagt Ed. „Not und Verzweiflung sind ja gleich groß, das hat nichts mit der sexuellen Ausrichtung zu tun“, findet er in bester niederländischer Liberalität.

Lange ist der Tourismus-Fachmann überzeugter Single gewesen. Immer wieder mal habe es Beziehungen mit Klientinnen gegeben, entstanden aus den arrangierten One-Night-Stands, aber es waren notgedrungen Fernbeziehungen. Ein Draufgänger ist Ed nie gewesen. Sein Bruder habe sein „erstes Mal“ schon mit 13 gehabt, er als Spätzünder erst, als er längst volljährig war. Ungefähr zehn Jahre später ließ er sich als Samenspender registrieren. Damals seien vor dem jeweiligen Spende-Termin drei Tage sexuelle Abstinenz vorgeschrieben gewesen. „Das war manchmal die Hölle für mich. Sturm-und-Drang-Zeit halt.“

Jährliche Treffen mit „seinen“ Kindern

Und heute? Kommt eine richtige Familie für ihn in Frage? „Natürlich“, sagt Ed, „ich muss nur die richtige Frau finden.“ Vorerst aber will der 45-Jährige weitermachen, die Sperma-Qualität sinke schließlich erst ab 55. Auch in diesem Jahr wird es wieder ein von ihm arrangiertes Treffen mit „seinen“ Kindern und deren „Halbgeschwistern“ in einem Maastrichter Lokal geben. Ed wird mit den Kindern spielen; und wenn sie wollen, dürfen sie ihn Papa nennen. Spät am Abend wird der so rational wirkende Mann auf einmal doch noch pathetisch. „Ich finde, ich tue etwas Gutes, auch wenn das keine gesellschaftlich anerkannte ehrenamtliche Funktion ist“, sagt er. „Ich kreiere Leben.“

KStA abonnieren