Staat greift nach RosneftWarum der Staat jetzt auch noch ins Öl-Geschäft einsteigt

Lesezeit 7 Minuten
Neuer Inhalt (1)

Die zwei hiesigen Rosneft-Töchter werden unter die Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur (BnetzA) gestellt. 

Kanzler Olaf Scholz (SPD) sprach einmal mehr das Unvermeidliche aus: „Wir wissen es längst, dass wir uns auf russische Energielieferungen nicht mehr verlassen können.“ Deshalb die „weitreichende energiepolitische Entscheidung zum Schutz unseres Landes“.

Die zwei hiesigen Rosneft-Töchter werden mit sofortiger Wirkung für zunächst sechs Monate unter die Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur (BnetzA) gestellt. Damit hat der Staat das Sagen bei drei Raffinerien – die wichtigste befindet sich im brandenburgischen Schwedt, hinzukommen Anlagen in Karlsruhe und im bayerischen Vohburg. Der russische Konzern hatte laut Bundesregierung zuletzt rund zwölf Prozent der hiesigen Nachfrage gedeckt und war damit „eines der größten erdölverarbeitenden Unternehmen in Deutschland“.

Erhalt des Standorts Schwedt

Zugleich werde der Grundstein für den Erhalt des Standorts Schwedt geleistet. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) betonte, dass kein Beschäftigter sich nun Sorgen um seinen Arbeitsplatz machen müsse. Laut Scholz muss möglicherweise aber demnächst auch mit Kurzarbeit-Regelungen hantiert werden.

Alles zum Thema Olaf Scholz

Klar ist: Die BnetzA verwaltet nun die gut 54 Prozent schwere Mehrheitsbeteiligung von Rosneft an der PCK-Raffinerie in der Uckermark. Die übrigen Teilhaber - die britische Shell (37,5 Prozent) und die italienische Eni (8,3 Prozent) - bleiben erstmal an Bord, obwohl sie bereits deutlich gemacht haben, dass sie langfristig kein gesteigertes Interesse an der PCK haben.

Übernahme durch Bundesnetzagentur

So ist das britische Unternehmen Alcmene am Shell-Anteil interessiert. „Wir begrüßen diesen überfälligen Schritt sehr“, sagte Alcmene-Geschäftsführer Raul Riefler dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) zur Treuhandlösung. „Wir stehen bereit, uns als langfristiger Investor in Schwedt zu engagieren.“ Eine Vereinbarung gibt es allerdings noch nicht. „Mit Hilfe der Treuhand sollte die Grundlage geschaffen sein, notwendige Strukturmaßnahmen anzugehen, die einen reibungslosen Weiterbetrieb der Raffinerien auch ohne russisches Öl ermöglichen“, so Riefler.

Die Übernahme durch die BnetzA war schon länger erwartet worden. Unter anderem beschloss die Regierung eine „Lex Schwedt“ – eine Änderung des Energiesicherungsgesetzes, die die Treuhandlösung rechtlich erst ermöglicht. Dass es so lange mit all dem dauerte, hängt mit der äußerst komplexen Gemengelage im Fall der PCK zusammen. Die Anlage war in den 1960er Jahren zur Versorgung der DDR errichtet worden und bezog ihren Rohstoff komplett über die russische Druschba-Pipeline.

Alternativen zu russischem Öl

Über einer alternativen Versorgung haben Experten im Wirtschaftsministerium seit geraumer Zeit gebrütet. Die Aufgabe sei nicht trivial, ließ Minister Robert Habeck (Grüne) mehrfach wissen. Ein Baustein ist eine Belieferung über den Rostocker Hafen.

Laut Finanznachrichtenagentur Bloomberg hat ein Tanker bereits Anfang August eine erste Lieferung von US-Öl dort angelandet. Allerdings liegt die Kapazität der Pipeline, die vom Meck-Pom-Hafen ins Brandenburgische führt, deutlich unter dem, was durch die Druschba-Rohre gepumpt werden kann. Einspringen kann zudem der Danziger Hafen, dessen Öl-Terminal über freie Kapazitäten verfügt. Allerdings hatte die polnische Regierung immer wieder deutlich gemacht, dass da nichts läuft, solange es sich um Öl handelt, mit dem russische Firmen Geld verdienen. Mit der Treuhandverwaltung soll nun dieser Forderung entsprochen werden. Eine Reaktion der polnischen Seite blieb zunächst aus.

Die Anlagen in Schwedt müssen mindestens zu 70 Prozent ausgelastet sein, um überhaupt profitabel zu können. Derartige Mengen werden aber auch mindestens benötigt, um den Bedarf an Benzin, Diesel, Kerosin und Heizöl unter anderem für Brandenburg und Berlin, den Flughafen BER und Teile Westpolens zu decken. Erschwerend kommt hinzu, dass die zweite Raffinerie für Ostdeutschland – in Leuna (Sachsen-Anhalt) - ebenfalls an der Druschba-Leitung hängt und in wenigen Monaten auch ausschließlich von den Ostseehäfen abhängig sein wird.

„Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet.“

In Branchenkreisen gibt es große Zweifel, dass die alternative Rohölversorgung der Raffinerie im brandenburgischen Schwedt über Rostock bewerkstelligt werden kann. „Wenn, dann maximal zu 60 Prozent und damit ist das Werk nicht wirtschaftlich zu betreiben“, sagte ein Vertreter eines Wirtschaftsverbandes. Es sei jeden Monat mit einer zweistelligen Millionensumme an Verlusten zu rechnen, die der Staat kompensieren müsse.

Zudem gebe es Probleme mit neuen Ölsorten, da Schwedt technisch auf die Verarbeitung des schwefelhaltigen russischen Rohöls ausgerichtet sei. Habeck betonte indes: „Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet.“ Die Umstellungen bei der Rohölbeschaffung seien vorbereitet und die Gespräche mit der polnischen Seite weit fortgeschritten. Unter anderem gilt eine enge Kooperation mit, oder sogar eine Übernahme der Raffinerie durch den polnischen Ölkonzern Orlen als denkbar.

Spritpreise in Deutschland könnten in die Höhe schnellen

Von Scholz und Habeck war dazu am Freitag nichts Konkretes zu hören. Beide betonten lediglich, dass eine Ertüchtigung der Rostock-Schwedt-Pipeline angegangen werde. Doch das wird dauern. Deshalb blieb unklar, wie die erforderlichen Rohöl-Mengen kurzfristig herbeigeschafft werden sollen. Es kursieren bereits Spekulationen, dass die Spritpreise in Ostdeutschland die Höhe schießen könnten. In Branchenkreisen gibt es denn auch große Zweifel: „Wenn, dann maximal zu 60 Prozent und damit ist das Werk nicht wirtschaftlich zu betreiben“, sagte ein Vertreter eines Wirtschaftsverbandes dem RND. Es sei jeden Monat mit einer zweistelligen Millionensumme an Verlusten zu rechnen, die der Staat kompensieren müsse. Zudem gebe es Probleme mit neuen Ölsorten, da Schwedt auf die Verarbeitung des schwefelhaltigen russischen Rohöls ausgerichtet sei.

Laut Nachrichtenagentur Reuters spielen Mineralölfirmen bereits eine Art Notfall-Szenario durch: Rohöl könnte mit mutmaßlich Hunderten von Tanklastwagen von den Häfen zu den Raffinerien transportiert werden. Über die Autobahn sind es von Rostock nach Schwedt etwa 250 Kilometer. Mehr als 800 Kilometer müssten die Tankwagen zurücklegen, um von Danzig nach Leuna zu kommen. Das Rohöl dürfte neben den USA mutmaßlich aus Norwegen, dem Nahen Osten und Westafrika kommen. Der Betreiber von Leuna, der französische Total-Konzern, hat sich bereits gut zur Hälfte von russischen Lieferungen unabhängig gemacht. Offenbar wird auch darüber verhandelt, Öl aus Kasachstan in die Uckermark zu bringen.

Rosneft in Schwedt habe in vergangenen Wochen nie dagewesene Gewinne eingefahren

Die Bundesregierung begründete die Treuhand-Regelung damit, dass die „Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs der betroffenen Raffinerien aufgrund der Eigentümerstellung der Unternehmen in Gefahr war“. Im Klartext: Niemand wollte mehr mit Rosneft Geschäfte machen. Das gilt für Zulieferer und Versicherungen genauso wie für IT-Firmen und Banken. Obwohl der russische Ölkonzern bislang von Sanktionen noch gar nicht betroffen ist. Die Ex-Partner der Russen gehen aber auch Nummer sicher – Insider sprechen von Overcompliance, also einer Übererfüllung der staatlichen Restriktionen. Vorbild für das Rosneft-Manöver war die Treuhänderschaft über die hiesigen Ableger des Gasmonopolisten Gazprom.

Derweil haben die Betreiber der beiden Raffinerien in den vergangenen Wochen nie dagewesene Gewinne eingefahren – wegen des russischen Öls. Nach einer komplexen Formel wird der Preis für das sibirische Öl berechnet, der um etwa 35 Dollar pro Fass (159 Liter) unter der Notierung der für Europa maßgeblichen Referenzsorte Brent liegt. Wobei zu bedenken ist, dass auch Anlagen, die zum Brentpreis einkaufen müssen, zuletzt Rekordgewinne eingefahren haben.

Das könnte Sie auch interessieren:

Nach Reuters-Berechnungen, konnten in Leuna und Schwedt Gewinne von zwölf bis knapp 17 Millionen Dollar eingefahren werden – pro Tag wohlgemerkt. Das sind gut acht Millionen mehr als in einer westdeutschen Raffinerie. Brentöl hat sich in den vergangenen Wochen spürbar verbilligt kostete am Freitag um die 86 Dollar pro Fass, das war aber immer noch deutlich mehr war als zu Jahresbeginn.

Treuhand-Regelung kommt vorübergehender Enteignung gleich

Der Kreml reagierte am Freitag zunächst nicht auf den Schritt der Bundesregierung, der einer zumindest vorübergehenden Enteignung gleichkommt. Experten in Wirtschaftsverbänden fürchten, dass die Russen sofort die Belieferung von Schwedt mit Rohöl einstellen werden. Das Engagement in den drei deutschen Raffinerien sei Rosneft-Chef Igor Setschin immer besonders wichtig gewesen, von daher könne die Reaktion entsprechend heftig ausfallen.

Putin hat aber bereits mehrfach gedroht, die Energielieferungen nach Europa komplett einzustellen. Das könnte die Energiepreise erneut oben katapultieren. Ein Total-Embargo würde beim Öl vor allem die EU-Binnenländer Ungarn, Slowakei und Tschechien treffen, die von russischen Lieferungen nach wie vor komplett abhängig sind und deshalb auch beim Boykott nicht mitmachen - sie verfügen über keine Seehäfen, über die der Rohstoff angelandet werden kann.

Wie geht es in Schwedt weiter?

Scholz betonte, ein Paket mit einem Volumen von mehr als einer Milliarde Euro sei geschnürt worden, es soll den Standort sichern und einen Strukturwandel finanzieren. Woidke ergänzte, eine der Ideen sei, ein Umbau der Raffinerie zu einem Standort für die Erzeugung von grünem Kerosin. Der Standort bietet sich an, weil in der Region viele Windmühlen stehen, die Ökostrom erzeugen, mit dem grüner Wasserstoff erzeugt wird, der zu klimaneutralem Treibstoff für Flugzeuge weiterverarbeitet werden kann.

Von der CDU kommt Kritik an der Regierung: „Es ist wie immer bei Robert Habeck: Er zögert. Er zaudert, verschleppt. Er kommt zu spät. Und entscheidet sich dann für die schlechtere Variante“, sagte Gitta Connemann, Vorsitzende Mittelstands- und Wirtschaftsunion. Jetzt müsse der Steuerzahler für Rosneft Deutschland geradestehen. Dabei habe es in der Privatwirtschaft großes Interesse an der Übernahme des Unternehmens gegeben. „Auch die strategisch wichtige PCK-Raffinerie in Schwedt wollten mehrere Energieunternehmen aufkaufen. All diese Chancen wurden einfach vertan.“ (rnd) 

KStA abonnieren