Steigende Gewalt an NRW-SchulenChemielehrer sollte mit Hämmern erschlagen werden

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Mordplan gegen Lehrer

Auf diesem Garagenhof sollte der Chemielehrer laut Anklage mit Hämmern ermordet werden.

  • Am Dienstag beginnt am Dortmunder Landgericht der Prozess gegen drei Schüler, denen versuchter Mord an ihrem Chemielehrer vorgeworfen wird.
  • Die Jugendlichen sollen den Plan geschmiedet haben, Wolfgang W. in einen Hinterhalt zu locken und ihn mit einem Hammer zu erschlagen. Weil der Lehrer etwas gewittert hatte, scheiterte das Mordkomplott.
  • Gewalt gegen Lehrer ist in NRW längst keine Seltenheit mehr. Laut Statistik steigt die Zahl der Übergriffe seit 2014 kontinuierlich an. Verbände üben scharfe Kritik

Dortmund/Köln – Am 9. Mai 2019, einem ganz normalen Donnerstag, soll Wolfgang W. sterben. Drei Schüler haben den Chemielehrer an der Martin-Luther-King-Gesamtschule in Dortmund-Dorstfeld in einen Hinterhalt gelockt. Der eine, so wird es W. später selbst erzählen, soll in einer verlassenen Ecke des Lehrerparkplatzes einen Schwächeanfall vortäuschen.

In dem Moment, in dem sich W. zu ihm herunterbeugen würde, soll ein anderer mit einem Hammer auf den Kopf des Lehrers einschlagen. Sollte er sich danach noch rühren, würde der dritte Beteiligte ihm den Rest geben – ebenfalls mit einem Hammer.

Versuchter Mord an Lehrer in Dortmund: Prozessbeginn am Dienstag

Am Dienstag beginnt der Prozess gegen die drei Schüler am Dortmunder Landgericht. Der Vorwurf: Versuchter Mord und Verabredung zu einem Verbrechen. Der Ausschluss der Öffentlichkeit gilt als wahrscheinlich. Die Jugendlichen waren zum Tatzeitpunkt zwischen 16 und 18 Jahre alt.

Allerdings scheiterte das Mordkomplott, weil Wolfgang W. nach eigener Aussage etwas gewittert hatte. Der 51-Jährige rief damals einen Rettungswagen, vermied es aber, den Jungen den Rücken zuzudrehen.

Schüler vertraute sich Mutter an

Die spätere Handy-Auswertung hatte ergeben, dass zwei der drei Schüler noch am selben Nachmittag  an einer Wiederholung ihres Mordplans gebastelt haben sollen. Zur Umsetzung allerdings kam es nicht mehr. Ein Schüler soll sich seiner Mutter anvertraut, die wiederum soll W. gewarnt haben. Am Montag darauf wurden die Schüler vorläufig festgenommen.

Die angebliche Motivation für den Mordplan ließ vor allem Lehrer im ganzen Land erschaudern: Der mutmaßliche Haupttäter, ein 16 Jahre alter Schüler, soll sich von den Lehrern benachteiligt gefühlt haben. Um seinen angeblichen Racheplan zu verwirklichen, habe er sich schließlich zwei Komplizen gesucht.

Gewalt gegen Lehrer ist längst keine Seltenheit mehr

Offenbar waren die Mordpläne in ihren Köpfen schon weit gediehen. Sie sollen diskutiert haben, „ob man meine Leiche erst noch ein bisschen versteckt oder ob man sich sofort zurück zum Schulhof begibt, damit das Alibi besser zu verifizieren ist“, sagte Wolfgang W. vor kurzem  in einem Beitrag von „Report München“. Eine Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ließ W. unbeantwortet.

Statistiken zeigen, dass Gewalt gegen Lehrer längst keine Seltenheit mehr ist. Nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) stieg die Zahl seit 2014 kontinuierlich an. Vor sechs Jahren noch notierte das BKA 1713 Vorfälle, 2018 waren es bereits 2256 Delikte – in der Mehrzahl Körperverletzung, Nötigung und Bedrohung.

500 Straftaten gegen Lehrer in NRW im Jahr 2018

In Nordrhein-Westfalen registrierte das Landeskriminalamt für das Jahr 2018 insgesamt 500 Straftaten gegen Lehrer, davon 263 Fälle von Körperverletzung und 222 Fälle von Nötigung und Bedrohung.

Die Kölner Polizei berichtet von knapp 100 Anzeigen wegen Körperverletzung an Schulen im vergangenen Jahr. Ein leichter, wenn auch nicht signifikanter Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren, wie ein Sprecher mitteilte. Gegen wen sich die Angriffe richteten – ob Prügeleien unter Schülern oder Attacken auf Lehrer –, konnte die Polizei nicht aufschlüsseln. 

Jeder dritte Schulleiter berichtet von Übergriffen in vergangenen fünf Jahren

Laut einer Umfrage des Verbands „Bildung und Erziehung“ (VBE) ist Gewalt gegen Lehrer besonders in Nordrhein-Westfalen ein Problem: 35 Prozent der befragten Schulleiter in NRW berichteten, dass es an ihrer Schule in den vergangenen fünf Jahren körperliche Übergriffe gegen Lehrer gegeben habe. Doch es sind ebenso die Fälle von Bedrohung, Nötigung und Cybermobbing, die Experten Sorgen bereiten.

55 Prozent aller NRW-Schulleiter haben angegeben, dass Lehrer in den vergangenen fünf Jahren beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt wurden. An jeder vierten Schule kam es zu körperlichen Angriffen. Knapp jeder fünfte Schulleiter berichtet zudem von Cybermobbing. Allerdings würden laut VBE längst nicht alle Fälle gemeldet, weil Schulleitungen um den guten Ruf fürchteten und Schulbehörden die Meldung von Vorfällen nicht wünschten.

Scharfe Kritik von VEB-Vorsitzendem

Der VEB-Vorsitzende Udo Beckmann übte scharfe Kritik. Es gehe um Angriffe auf Menschen, die  „sich angesichts fehlender Ressourcen zerreißen, um die junge Generation in Gebäuden von gestern und mit technischen Mitteln von vorgestern auf ein Morgen vorzubereiten“. Er ärgerte sich insbesondere über eine Einschätzung der Kultusministerkonferenz, die Angriffe auf Lehrer als Einzelfälle abgetan hätte.

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„Die Ergebnisse sind so eindeutig wie erschütternd“, sagte Beckmann. In Zeiten gesellschaftlicher Herausforderungen wie Inklusion und Integration brauche es „massive Investitionen in die Bildungsinfrastruktur, damit Lehrkräfte durch multiprofessionelle Teams mit Schulpsychologen, Schulsozialarbeitern und weiteren Fachkräften unterstützt werden können“.

„Drastische Verrohung der Sprache und der Umgangsformen“

Der Verband „lehrer NRW“, der die Haupt- und Realschulen repräsentiert, bestätigt die Entwicklung. Man habe vermehrt Rückmeldungen von Lehrkräften, die sich verbaler und in einigen Fällen auch körperlicher Gewalt ausgesetzt sähen, sagt die Vorsitzende Brigitte Balbach auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Es sei „eine drastische Verrohung der Sprache und der Umgangsformen“ festzustellen. Ein wesentlicher Grund dafür seien die sozialen Medien, wo jeder anonym „ungefiltert Enttäuschung, Frust, Hass und Wut auf andere abladen“ könne. „Aggressive Sprache ist die Vorstufe zu aggressivem Verhalten“, sagt Balbach.

Philologenverband: „Jude“ ist auf vielen Schulhöfen wieder Schimpfwort

Im Hinblick auf verbale Gewalt und die Auswüchse in den sozialen Medien spricht auch der Philologenverband NRW von einer „virulenten Problematik“. „Der Hass gedeiht, Minderheiten werden wegen ihrer Sitten und Gebräuche diskriminiert“, sagt die Vorsitzende Sabine Mistler.  Sie könne etwa bestätigen, dass der Begriff „Jude“ auf vielen Schulhöfen inzwischen als Schimpfwort benutzt werde. 

„Als echten Antisemitismus würde ich das per se noch nicht bezeichnen, da die Verwendung häufig unreflektiert geschieht“, sagt Mistler. „Aber es zeigt, dass wir Aufklärung und Zusammenhalt vermitteln müssen. Wir müssen achtsamer miteinander umgehen. Hier sind die Schulen ein wichtiger Player.“

Wolfgang W.: „Ich hoffe, dass der Haupttäter ins Gefängnis kommt“

Am Freitag erst war Mistler an ihrer ehemaligen Schule in Korchenbroich, weil sich das Gymnasium an der Initiative „Gegen Rassismus und für Courage“ beteiligt. „Es gibt immer mehr Schulen, die für das Thema sensibilisieren“, sagt Mistler.

Auch für Chemielehrer Wolfgang W. wurden die sozialen Netzwerke zum Problem. Der mutmaßliche Haupttäter hat ausländische Wurzeln, was die Rechten im Netz für ihre Propaganda benutzt hätten. Auf keinen Fall aber möchte er „vom rechten Rand der Gesellschaft instrumentalisiert werden“, schrieb er auf seiner Facebook-Seite. Was der Junge gemacht habe, „war absolut verwerflich. Aber ich weigere mich, es an seiner Nationalität oder seinem religiösen Bekenntnis festzumachen. Es war eine Frage seines individuellen Charakters.“

Dennoch erwartet W., dass von dem Prozess ein klares Signal ausgeht. In einem Statement sagte er: „Ganz konkret hoffe ich, dass der Haupttäter ins Gefängnis kommt.“  

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