Kind im BohrlochNach 100 Stunden ist noch immer kein Tunnel gebaut

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Totalan Erdarbeiten

In Totalán werden große Mengen Erde bewegt.

Madrid – Auch am Donnerstag versuchen Rettungskräfte in Totalán bei Malaga, zu dem Zweijährigen vorzudringen, der vermutlich in ein 100 Meter tiefes und enges Bohrloch gefallen ist. Bisher ohne Erfolg. Mit schwerem Gerät wird am Unglücksort die Erde bewegt, um die Tunnelröhren für einen vertikalen Zugang verlegen zu können. Kleinere Erdrutsche erschweren die Arbeit. Die ernüchternde Bilanz bislang: 100 Stunden, nachdem Julen verschwand, ist noch keiner der beiden geplanten Tunnel gebaut.

Unterdessen berichten die spanischen Medien, dass das Loch, in welches Julen fiel, illegal gebohrt wurde. Aufgrund der Wasserknappheit in der Region sei es gang und gäbe, dass Grundbesitzer Probebohrungen für Brunnen durchführen lassen. Wenn man dabei nicht auf Wasser stoße, würde das Loch einfach nur mit einem Stein bedeckt, aber nicht wieder zugeschüttet. So war es offenbar auch auf dem Gelände, in dem Julen mit seiner Familie unterwegs war.

Helfer finden Haare von Julen

Am Mittwoch waren Haare in dem Schacht gefunden worden. „Man hat ein paar Haare gefunden und DNA-Tests der Guardia Civil (Polizei) belegen, dass sie zu dem Kind gehören“, sagte der Präfekt von Andalusien, Alfonso Rodríguez Gómez, dem Sender Cadena Ser.

Julen Suche Retungsteams

Rettungsteams bei der Arbeit in Totalán

Die immer verzweifeltere Suche löst in ganz Spanien Mitgefühl aus. Obwohl Bergungsteams seit Sonntagmittag an der Unfallstelle sogar nachts pausenlos aktiv waren, gibt es bislang kein Lebenszeichen. Es werden zwei Tunnel gegraben, einer auf der Bergseite und einer parallel zum Kind, um den Schacht zu erreichen.

Eltern hörten ein Weinen aus dem Schacht

Die Polizei hatte zwar am Montag eingeräumt, man habe „noch keinen physischen Beweis“ dafür, dass das Kind tatsächlich in dem Loch sei. Aufgrund der Angaben der Eltern, die das Kind im Schacht hätten weinen hören, schließe man aber andere Möglichkeiten – etwa, dass er rausgeklettert sei und sich verlaufen habe – vorerst aus.

„Ich habe mich auf die Öffnung gestürzt und er war nicht mehr da. Ich habe ihn weinen hören, aber bald habe ich ihn nicht mehr gehört“, sagte der Vater des Jungen, der arbeitslose Marktverkäufer José Rosellò, weinend in unter anderem von der Zeitung „La Vanguardia“ veröffentlichten Aussagen.

Julen Suche Bevölkerung

Viele Spanier leiden mit der Familie von Julen

Rocio bedankte sich am Mittwoch bei allen Helfern, die nach dem Zweijährigen suchen. Zahlreiche Rettungskräfte, darunter vor allem die Feuerwehr, seien pausenlos im Einsatz, um das Kind in dem nur 25 Zentimeter breiten Schacht zu finden, sagte Roselló. Er bedankte sich auch bei den Psychologen, die die Angehörigen betreuten.+

Unglück geschah auf Familienausflug

Der arbeitslose Marktverkäufer wirkte gefasst – nachdem er am Dienstag noch weinend die Behörden beschimpft hatte, nicht genügend Mittel für die Rettung des kleinen Julen zur Verfügung zu stellen. Er und seine Frau Victoria seien „am Boden zerstört“, sagte der Vater. Aber sie gäben die Hoffnung nicht auf, dass Julen lebend geborgen werde.  

Der fröhliche Familienausflug aufs Land, ein Picknick mit viel Paella, wurde am Sonntag im hügeligen Waldgebiet jäh beendet. Eine Tante habe den Sturz aus einiger Ferne gesehen und laut um Hilfe gerufen, berichteten „La Vanguardia“ und andere Medien.

Der Kleine soll beim Spielen mit anderen Kindern in den offenen Schacht gefallen sein. Die Bergungsarbeiten werden von der Tatsache erschwert, dass der Schacht nur einen Durchmesser von rund 25 bis 30 Zentimetern hat.

Schacht wohl ohne Genehmigung gegraben

Mit einer Roboter-Kamera war man am Montag bis in eine Tiefe von knapp 80 Metern vorgedrungen. Dort hatte man eine Tüte mit Süßigkeiten entdeckt, die Julen bei sich trug. Weil sich Erde gelöst habe, die den Schacht verstopfe, komme man mit der Kamera bisher aber nicht weiter vorwärts, teilten die Rettungsteams mit. Der Schacht, der erst vor ein paar Wochen bei der Suche nach Wasser gegraben worden sei, sei insgesamt 107 Meter tief, hieß es. Das entspricht ungefähr der Höhe eines 30-stöckigen Gebäudes.

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Bau des Rettungstunnels dauert mehrere Tage

An der Suche nahe dem 352 Meter hohen Hügel Cerro de la Corona rund 15 Kilometer nordöstlich der Küstenstadt Málaga beteiligen sich mehr als 100 Angehörige der Feuerwehr, der Polizei, des Zivilschutzes und anderer Notdienste. Auch Experten von Firmen und von Universitäten wurden hinzugezogen. Am Dienstag wurden zudem erfahrene Minenarbeiter der nördlichen Kohle-Region Asturien zu Hilfe gerufen. Eingesetzt wurden in dem für größere Fahrzeuge nur schwer zugänglichen Gebiet die verschiedensten Maschinen.

Zunächst hatte man erwogen, nach der Abtragung der abgelösten Erde und der Stärkung der Innenwände des Schachtes ein Bohrloch parallel zum Schacht zu bauen. Am Dienstag entschloss man sich aber dazu, das Gefälle des Terrains auszunutzen und von einem Abhang aus einen horizontalen, etwa 50 bis 80 Meter langen Tunnel zu graben, der direkt an das Ende des Brunnenschachts führen soll. Dann will man wieder die Roboterkamera einsetzen, um Julen zu finden. „Das ist die sicherste und schnellste Methode“, sagte die Vizedelegierte der Zentralregierung in Andalusien, María Gámez.

Bohrloch

Gerade einmal 25 Zentimeter breit ist der Schacht, in den der Junge gestürzt sein soll.

Ein Experte erklärte im Fernsehen, der Bau eines solchen Tunnels werde zwei bis drei Tage in Anspruch nehmen, und das auch nur, falls keine Probleme auftauchten. Die Spanier hoffen, dass das Kind dank einer Luftblase länger überleben kann. „Mit jeder Minute, die vergeht, schwinden aber die Hoffnungen“, kommentierte die Zeitung „ABC“.

Julens älterer Bruder starb an Herzversagen

Mit jeder Minute wurde aber auch die Anteilnahme der Spanier größer. Ministerpräsident Pedro Sánchez hatte schon am Sonntag dazu aufgerufen, die Hoffnung nicht aufzugeben. Mut sprachen der Familie auch viele andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu. Königin Letizia, selbst Mutter zweier Töchter, erkundigte sich am Dienstag nach den Chancen des Kleinen.

Mehr als 100 Unternehmen unter anderem des Bausektors boten Hilfe an. Das Madrider Innenministerium sicherte „alle Mittel“ zu. Die Kirche forderte dazu auf, um den Kleinen zu beten. Auch Menschen, die die Familie nicht kannten, weinten vor laufenden TV-Kameras. „Alle sind erschüttert und bangen“, sagte Journalist Onega.

Die Eltern von Julen, José und die Fastfood-Bedienung Victoria, waren bereits im Mai 2017 vom Schicksal hart getroffen worden. Bei einem Strandspaziergang starb damals Julens älterer Bruder Oliver (3) an einem Herzversagen. José und Victoria wollten die Unfallstelle nicht für eine Minute verlassen. Die Nachbarn der Familie im armen Málaga-Vorort El Palo waren ebenfalls untröstlich. „Der Kleine war hier immer mit seinem grünen Dreirad rauf und runter unterwegs. Mir fehlen die Worte“, sagte eine ältere Frau weinend. (dpa, red)

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