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Anklage nicht ausgeschlossenWas wir über den Unfall am Baldwin-Filmset wissen

Lesezeit 5 Minuten
Schauspieler Alec Baldwin

Schauspieler Alec Baldwin nach dem Unfall.

Köln – Das Drama um den von US-Schauspieler Alec Baldwin am Set des Films „Rust“ abgegebenen Schuss ist weiterhin nicht endgültig aufgeklärt. Was wir zum jetzigen Stand wissen:

Was ist passiert?

Bei Dreharbeiten zum Western-Film „Rust“ im Bundesstaat New Mexico hat Alec Baldwin offenbar versehentlich einen Schuss abgegeben, der Kamerafrau Halyna Hutchins, die kurze Zeit darauf im Krankenhaus verstarb, am Bauch traf. Regisseur Joel Souza wurde an der Schulter verletzt. Der 48-Jährige beschrieb den Vorfall inzwischen gegenüber der Polizei. Demnach sei die Film-Crew nach einer Mittagspause an das Set zurückgekehrt. Hollywood-Star Baldwin (63) habe dann in einer Kirchen-Szene auf einer Bank gesessen und mit der Waffe eine Szene geprobt. Dabei zog Baldwin demnach die Waffe aus dem Holster „und richtete den Revolver auf die Kameralinse“.

Souza (48) selbst habe Kamerafrau Hutchins (42) über die Schulter geschaut, um den Kamerawinkel zu prüfen. Dann habe er etwas gehört, das wie eine Peitsche und dann wie ein lauter Knall klang. Er erinnere sich vage daran, dass sie über Schmerzen im Bauch klagte, sich an den Leib gefasst, dann rückwärts getaumelt und zu Boden gegangen sei. Er selbst habe an der Schulter geblutet und konnte Blut auf Hutchins sehen.

Was für eine Waffe wurde verwendet?

Die von Baldwin verwendete Waffe sollte nach ersten Erkenntnissen eine Requisitenwaffe gewesen sein. Dass sie mit scharfer Munition geladen war, konnte der Schauspieler nicht wissen. Wie aus Untersuchungsberichten der Polizei hervorgeht, hat ein Regieassistent Baldwin versichert, dass es sich um eine „kalte Waffe“ ohne Munition handelt. Der Assistent hat ausgesagt, nicht gewusst zu haben, dass die Waffe geladen war.

Die zuständige Bezirks-Staatsanwältin Mary Carmack-Altwies sagte nun in einem Interview mit der „New York Times“ allerdings, dass es sich bei der Waffe nach bisherigen Erkenntnissen nicht bloß um eine „Prop-Gun“, also um eine Requisitenwaffe gehandelt habe, die realen Waffen nur ähnele. Die in einigen Gerichtsdokumenten zu dem Fall benutzte Terminologie sei irreführend, denn es habe sich um eine echte Pistole gehandelt.

„Es war eine echte Waffe“, sagte Carmack-Altwies. Was es genau für eine Feuerwaffe war, sagte sie nicht, beschrieb sie aber als eine antike Waffe, die zu der Ära passe, in der der Film spielt. Der Western „Rust“ ist im 19. Jahrhundert angesiedelt.

Was sagen die Experten?

Oliver Rasch, Waffenexperte mit Firma in Troisdorf, erklärte gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass es „keinen Grund dafür“ gebe, eine Waffe an einem Filmset mit scharfer Munition auszustatten. An deutschen Filmsets seien scharfe Patronen „ganz klar verboten“. Über amerikanische Schauspieler sagte Rasch: „Die sind in der Regel versierter im Umgang mit Waffen, lassen sich den Ladezustand zeigen. Ich bin sogar schon gefragt worden, wie hoch die Ladestärke für die Platzpatronen sei.“

Was sind die Reaktionen?

Weltweit reagieren Menschen mit Bestürzung und Unverständnis. Baldwins Ehefrau Hilaria schrieb am Montag (Ortszeit) auf Instagram: „Mein Herz ist bei Halyna. Ihrem Ehemann. Ihrem Sohn. Deren Familie und den Angehörigen. Und bei meinem Alec“. Man sage, dass es für solche Situationen „keine Worte“ gebe, schrieb Baldwin weiter, „denn es ist unmöglich, den Schock und Kummer eines solch tragischen Unfalls auszudrücken“.

Alec Baldwin selbst hatte sich bereits am Freitag auf Twitter zu dem tödlichen Zwischenfall geäußert: „Es gibt keine Worte, um den Schock und die Trauer auszudrücken angesichts des tragischen Unfalls, der das Leben von Halyna Hutchins beendet hat - Ehefrau, Mutter und zutiefst bewunderte Kollegin von uns“, schrieb der Schauspieler und kündigte seine Kooperation bei allen polizeilichen Untersuchungen an.

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Auch eine Gedenkfeier hat inzwischen stattgefunden. „Ich hatte das Vergnügen mit Halyna zu arbeiten“, sagte die Schauspielerin Sharon Leal dort. „Sie war eine wunderbare Frau und wir sind alle einfach nur erschüttert.“ Mehrere Teilnehmer erhoben zudem den Vorwurf, am Set sei an der Sicherheit gespart worden. Der Regisseur Gustavo Sampaio, der vor vier Jahren mit Hutchins zusammenarbeitete, sagte: „Low-Budget-Produktionen wollen häufig größer aussehen, als sie sind. Und dann sparen sie überall und die Sicherheit steht hinten an, obwohl sie doch ganz vorne stehen sollte, bei allem, was am Set passiert.“

Auch die Produzentin Sabrina Oertle warf den Verantwortlichen vor, an der falschen Stelle gespart zu haben. „Jemand hat beschlossen, ganz unten anzusetzen, das heißt, im Budget zu bleiben, billig zu arbeiten“, sagte sie.

Was sind die Konsequenzen?

In Hollywood mehren sich lautstark die Rufe nach einem Schusswaffenverbot an Filmsets. Eine Petition auf der Website change.org, die genau das und zudem bessere Arbeitsbedingungen für Filmteams forderte, wurde von mehr als 32.000 Menschen unterzeichnet. „Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass so etwas im 21. Jahrhundert passiert“, heißt es in der Petition, die von dem Drehbuchautor und Regisseur Bandar Albuliwi gestartet wurde.

Auch aus der Politik kommen inzwischen Forderungen, scharfe Munition an Filmsets zu verbieten. Der Politiker Dave Cortese, der für die Demokraten im kalifornischen Senat sitzt, forderte ein gesetzliches Verbot in Kalifornien, dem Zentrum der US-Filmindustrie. Erste Produktionen reagierten bereits: Das erfolgreiche Polizeidrama „The Rookie“ aus Los Angeles beschloss mit sofortiger Wirkung, scharfe Munition vom Set zu verbannen, wie das Branchenblatt „The Hollywood Reporter“ berichtete.

Strafrechtliche Konsequenzen stehen ebenfalls noch im Raum. Bezirks-Staatsanwältin Carmack-Altwies sagte der „New York Times“, dass auch eine Strafverfolgung in dem Fall möglich sei. „Wir haben noch nichts ausgeschlossen“, wurde sie am Dienstag von der Zeitung zitiert. „Zu diesem Zeitpunkt ist alles, einschließlich strafrechtlicher Anklage, auf dem Tisch.“ Im Mittelpunkt stünden derzeit ballistische Untersuchungen, um zu klären, welche Art von Munition verwendet wurde und wie sie in die Waffe hineinkam.

Wer steht im Fokus der Ermittlungen?

Eine Produktionsfirma hat nach dem tödlichen Schuss Vorwürfe gegen den Regieassistenten erhoben, der ihm die Waffe gab. Dave Halls soll bereits 2019 aus der Produktion zu dem Film „Freedom's Path“ wegen eines Schusswaffenunfalls entlassen worden sein, sagte ein Produzent des Films der Nachrichtenagentur AFP am Montag. Bei dem Zwischenfall sei ein Teammitglied leicht verletzt worden.

Im Fokus der Ermittlungen steht neben Halls auch die Film-Waffenmeisterin Hannah Gutierrez-Reed. Die 24-Jährige soll während des Drehs für die Sicherheit der Requisitenwaffen verantwortlich gewesen sein. Medienberichten zufolge hatten Mitglieder des Filmteams am Morgen vor dem tödlichen Schuss auf Hutchins Schießübungen mit scharfer Munition gemacht. (mit dpa, afp)

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