Vor 50 JahrenDer Tag, an dem Boxweltmeister Muhammad Ali den Wehrdienst verweigerte

Lesezeit 6 Minuten
Muhammad Ali am 29. April 1967, dem Tag nach seiner Wehrdienstverweigerung.

Muhammad Ali am 29. April 1967, dem Tag nach seiner Wehrdienstverweigerung.

Muhammad Ali wollte den Tag in Jeans und T-Shirt hinter sich bringen. Bequeme Kleidung wie vor großen Kämpfen. Am Vorabend hatte er ein mageres Steak, Salat und eine gebackene Kartoffel gegessen, zum Frühstück gab es fünf Rühreier, zwei Scheiben getoastetes Vollkornbrot, zwei Gläser Orangensaft und ein Glas Eiswasser. Alles genau wie vor einem großen Kampf. Aber am 28. April 1967 kämpfte der damalige Boxweltmeister im Schwergewicht nicht im Ring. Vor 50 Jahren verweigerte der gläubige Muslim Muhammad Ali, geboren in Louisville als Cassius Clay, bei seiner Musterung in Houston den Schritt nach vorn. Er trat nicht in die Armee der Vereinigten Staaten von Amerika ein.

Ali beschreibt diesen Tag in seiner mit Richard Durham verfassten Biografie von 1975 sehr ausführlich. Tut er den Schritt oder tut er ihn nicht? Er lässt die Frage bis zum letzten Moment offen, obwohl natürlich jeder, der seine Biographie heute zur Hand nimmt, die Antwort kennt. Denn sie ist es ja, die aus Ali so viel mehr gemacht hat als einen herausragenden Boxer. Sie hat das charismatische Großmaul mit den schnellen Beinen und den starken Fäusten zu einer politischen Figur im von Rassenunruhen und schwarzer Bürgerrechtsbewegung geprägten Amerika der 60er Jahre werden lassen. Zu einem Mann, der bis zur letzten Konsequenz bereit war, für seine Überzeugung einzustehen.

Ali verweigert die Musterung – und will nicht im Vietnam kämpfen

In seiner Erzählung verrät Ali zunächst weder den Journalisten am Flughafen von Chicago, was er in Houston zu tun gedenkt, noch seinem Zimmer-Boy im Hotel oder der Kellnerin beim Frühstück. Die allerdings bewirkte, dass er seine Freizeitkleidung noch kurz vor der Abfahrt gegen „meinen besten schwarzen Mohairanzug, dazu ein weißes Hemd, schwarze Krawatte und frisch geputzte Schuhe“ tauscht. Weil die Kellnerin glaubte, an seiner legeren Kleidung erkannt zu haben, dass er sich einberufen lassen würde. Sie erklärte Ali, dass es nach der Musterung mit einem Bus in die Kaserne gehe und sich dabei niemand seinen Anzug ruinieren wolle.

Wollte Ali natürlich auch nicht. Aber er wollte ja auch nicht in den Bus steigen. Als es so weit ist und er aufgereiht mit anderen Rekruten dasteht, als er von Leutnant S. Steven Dunkley mit den Worten „Cassius Clay – Armee!“ aufgerufen wird und nach vorn über die Linie treten soll, um seinen Eintritt in die Streitkräfte der USA zu bestätigen, bleibt Ali stehen, getreu seiner Überzeugung, im Vietnamkrieg nichts verloren zu haben.

Kein Titel, keine Kämpfe und eine Gefängnisstrafe

Muhammad Ali, wie sich Cassius Clay seit seinem Übertritt zum Islam 1964, zwei Tage nach dem Gewinn seines ersten WM-Titels gegen Sonny Liston, nannte, hätte es einfacher haben können, wenn er nur dem Kriegsdienst hätte entgehen wollen. Angebote von höchsten Stellen gab es genug. Aber darum ging es Ali nicht. Lange bevor diese Haltung Mainstream wurde, war Ali von der Unrechtmäßigkeit des Vietnam-Krieges überzeugt.

In seiner Biographie schreibt er: „Ich weiß, dass ich niemals im Dreck liegen und niemals schießen müsste. Aber wenn ich das könnte, dann hätte ich vor Gericht und in den Straßen nicht so viel Krach geschlagen. Ich hätte nicht auf die Millionen verzichtet, die ich nun sicher nicht bekommen werde, weil ich nicht nach Vietnam gehe.“

Boxweltmeister Muhammad Ali bei einem Training im Jahr 1966.

Boxweltmeister Muhammad Ali bei einem Training im Jahr 1966.

Direkt nach dem verweigerten Schritt wurde Ali von den Boxverbänden ins Exil geschickt. Ihm wurde sein Titel aberkannt und für gut drei Jahre keine Kampferlaubnis mehr erteilt. Der Staat brauchte länger für sein Urteil. Im Juni 1967 bekam Ali die Höchststrafe für eine Wehrdienstverweigerung aufgebrummt: Fünf Jahre Gefängnis und eine Geldbuße von 10.000 US-Dollar. In einem Interview aus dieser Zeit sagt Ali: „Mein Gewissen erlaubt mir nicht, loszugehen und auf meinen Bruder zu schießen, oder auf irgendwelche Leute mit dunklerer Haut oder auf ein paar arme, hungrige Menschen im Schlamm, alles im Namen des großen, mächtigen Amerika. Warum sollte ich auf sie schießen? Sie haben mich niemals Nigger genannt.“ Lieber wolle er ins Gefängnis gehen.

Wehrdienst-Verweigerung kostet Ali die besten Jahre seines Lebens

Doch dazu kam es nie. Ali focht sich vor Gericht durch die Instanzen, bis die Stimmung im Land umschlug. Diesmal waren die Boxverbände schneller als der Staat: Ende 1970 durfte Ali wieder erste Kämpfe bestreiten. Vor Gericht wurde er im Juni 1971 freigesprochen.

Bis dahin war Ali für viele Jahre Hassfigur des weißen Establishments in Amerika. Schon mit seinem Übertritt zum Islam, seiner Nähe zu Malcom X und zur von Elijah Muhammad geführten „Nation of Islam“ war er auf Unverständnis gestoßen. Ein Schwergewichtsweltmeister mit Kontakten zur Unterwelt, wie Sonny Liston, war dem weißen Amerika lieber als einer wie Ali, der nie die Klappe hielt und im Ring und außerhalb gegen die Unterdrückung der Schwarzen durch Weiße eintrat.

Als Ali den Wehrdienst verweigerte, war er 25 Jahre alt, boxerisch auf der Höhe seiner Kunst. Die Sperre habe ihn die besten Jahre seiner Karriere gekostet, heißt es oft. Ali, der die Zeit mit Vorträgen überbrückte, schreibt dazu in seiner Biographie: „In gewisser Hinsicht lohnt es sich auch wieder, nicht boxen zu dürfen; wie hätte ich sonst einige der nettesten, wachsten und intelligentesten Gruppen kennengelernt, mit denen ich je zu tun hatte.“

„Muhammad Ali kann man mit niemandem vergleichen“

Nach seiner Sperre boxte Ali noch bis Ende 1981, schon damals gezeichnet von seiner Parkinson-Krankheit. Am 3. Juni 2016 starb er im Alter von 74 Jahren. Seine Kämpfe wurden von Menschen in aller Welt verfolgt, auch in Deutschland weckten Väter ihre Söhne, wenn Ali boxte. In der ehemaligen DDR sah Henry Maske den „Rumble in the Jungle“ im Westfernsehen. „Darüber hat niemand offiziell gesprochen, damit war es nicht verboten“, erklärt der 53-Jährige, der später selbst eine große Karriere als Box-Olympiasieger und Weltmeister hinlegte. Für ihn besonders einprägsam: „Die Bilder, wie Ali 1996 in Atlanta das olympische Feuer anzündet, werde ich nie vergessen. Es war grandios, wie das gleiche Land, das ihn einst verurteilte, ihm viele, viele Jahre später die Hand reichte. Das war eine Korrektur der ursprünglichen Haltung.“

Für Bernd Bönte, den Manager von Wladimir Klitschko, ist Ali der Hauptgrund, warum er angefangen hat, sich mit dem Boxsport zu beschäftigen. Am Samstag bestreitet der ukrainische Ex-Weltmeister Klitschko im Londoner Wembley-Stadion vor 90.000 Zuschauern einen Kampf der Superlative gegen den britischen Weltmeister Anthony Joshua. Aber einen Vergleich mit den Kämpfen Muhammad Alis lässt auch Bönte nicht zu. Er sagt: „Muhammad Ali kann man mit niemandem vergleichen. Er wird immer der Größte bleiben. Für das, was er im Ring und außerhalb geleistet hat.“

KStA abonnieren