Pasveer-Interview„Er wollte diese Welt schöner machen“

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"Ein sehr expressiver Mann": Der Komponist Karlheinz Stockhausen im Jahr 1987. (Bild: Friedrich)

"Ein sehr expressiver Mann": Der Komponist Karlheinz Stockhausen im Jahr 1987. (Bild: Friedrich)

Frau Pasveer, nachdem Karlheinz Stockhausen sich 25 Jahre lang den Wochentagen gewidmet hat, wollte er in „Klang“ die 24 Stunden des Tages komponieren. Aber er starb, bevor der Tag zu Ende gegangen war . . .

KATHINKA PASVEER: Stockhausen hatte 21 Stunden komponiert. Die 21. Stunde trägt den Titel „Paradies“. Als er damit fertig war, hat er im September 2007 das Werk „Tierkreis für Orchester“ dazwischengeschoben. Er hat also bewusst nach der 21. Stunde eine Zäsur gesetzt. Am 4. Dezember ist er gestorben. „Klang“ beginnt mit „Himmelfahrt“ und schließt mit dem „Paradies“. Was sollte nach dem Paradies kommen? Nach Stockhausens Tod habe ich in seinen Skizzenbüchern nach Vermerken für die nächste Stunde gesucht. Ich fand nichts. Ich glaube, dass er die drei restlichen Stunden woanders komponiert.

Nun wird „Klang“ im Rahmen der Kölner Musiktriennale uraufgeführt. Wie kam es zu der ungewöhnlichen Form mit neun Stätten, die zweimal 12 Stunden lang bespielt werden?

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PASVEER: Stockhausen hatte die Idee von einem großen Museum, in dem alle Teile von „Klang“ als Installation in 24 Räumen aufgeführt werden. Aber es ist sehr schwer, ein solches Haus zu finden. Die „musikFabrik“ und die Triennale haben dann einfach mal geschaut, wie viele Spielstätten sich in Köln eignen würden. Dass das Publikum von Stunde zu Stunde läuft, sich aussuchen kann, was es gerade hören möchte, war ja Stockhausens Wunsch.

Logistisch ist das wohl ein sehr aufwändiges Unterfangen?

PASVEER: Wir haben schon voriges Jahr angefangen, zu proben. Die Stücke sind sehr schwer zu spielen. Aber alle Musiker lieben die Musik.

Sie haben sich bereits als junge Solistin für Stockhausens Musik begeistert . . .

PASVEER: Ich war noch am Konservatorium und Stockhausen kam mit seinem Ensemble für einen Monat nach Den Haag, für ein großes Projekt und auch für Workshops. Und da habe ich mit ihm und der Klarinettistin Suzanne Stephens gearbeitet und das hat total geklickt. Kaum war er abgereist, erhielt ich schon einen Anruf aus Deutschland: „Ich habe eine ganz tolle Idee, ich muss ein Stück für dich schreiben.“ Das war „Kathinkas Gesang“ von 1983 und seitdem haben wir immer zusammengearbeitet.

Was hat Sie so an der Musik angezogen, dass sie sich ihr ein Leben lang verschrieben haben?

PASVEER: Als ich diese Gruppe von Stockhausen-Musikern am Konservatorium sah, eröffnete sich mir eine völlig neue Welt. Alles wurde auswendig gespielt, dazu gab es Theater, Bewegung, Tanz und Kostüme. Davon hatte ich geträumt, aber nie gedacht, dass so etwas möglich sei. Ich hatte schon vieles an Neuer Musik gespielt, war auch im Ensemble von Iannis Xenakis. Aber die tiefe Berührung durch die Schönheit der Musik, das gab es erst bei Stockhausen.

War Stockhausen denn in der Zusammenarbeit geduldig oder musste sich der Performer sehr hart disziplinieren?

PASVEER: Er war ein Perfektionist, aber nie unfreundlich. Er hat schon erwartet, dass man sehr fleißig ist. Und das war er ja selbst auch, er hat immer von morgens früh bis abends spät gearbeitet. Wenn er mal während einer Probe wütete, er war ja ein sehr expressiver Mann, war das nie gegen jemanden persönlich gerichtet, es ging um die Sache.

Von Stockhausen ist ja auch der Satz überliefert: „Für Frauen muss man komponieren“.

PASVEER: Frauen haben weniger Ego. Bei Männer funktioniert die Zusammenarbeit nur bis zu einem bestimmten Punkt, danach lässt sich kein Mann etwas von einem anderen Mann sagen.

Aber doch nicht als schwärmerische Hommage, an der die Frau völlig unbeteiligt war?

PASVEER: Nein, wir waren gleich wichtig. Wie man für Instrumente schreibt, das hat er von seinen Interpreten gelernt. Wir haben sehr viel gelacht. Das vermisse ich am meisten. Er hatte immer verrückte Ideen und in jedem Stück von ihm finden sie sehr humorvolle Momente. Viele Leute wagen nur nicht zu lachen.

Haben Stockhausens strenge Aufführungskriterien verhindert, dass seine Musik im Konzertbetrieb häufiger gespielt wurde?

PASVEER: Das glaube ich nicht. Das größte Problem war die Klangtechnik. Im normalen Konzertbetrieb gibt es vormittags eine kurze Einspielprobe, dann wird schon gespielt. Wir mussten immer einen Tag vorher aufbauen. Vor 20 Jahren mussten wir sogar noch riesige Lautsprecher vom WDR zum jeweiligen Aufführungsort bewegen. Für ein Konzert in Venedig haben wir diese Lautsprecher sogar mit der Gondel transportiert, da ist prompt einer ins Wasser gefallen.

Hier in Kürten, befindet sich alles - vom Manuskript bis zum Mischpult - vor Ort. Da fragt man sich: Wo bleibt das Festspielhaus?

PASVEER: Klar, das wäre wahnsinnig schön. Stockhausen hatte auch Pläne gezeichnet. Aber das können wir niemals finanzieren und auch nicht die Gemeinde Kürten. Das bleibt Utopie. Schon ein Raum für die elektronischen Werke wäre wunderbar.

Kann man Stockhausen hören, ohne die Mythologie zu schätzen, die hinter seinen Werken steht?

PASVEER: Das ist keine Mythologie. Die Geister in „Licht“ waren für Stockhausen präsente Geister. Aber er hat nie von seinen Interpreten verlangt, etwas zu glauben. Er war ein tiefgläubiger Mensch, und die Personen aus „Licht“ passten in sein religiöses Weltbild. Aber er war nicht dogmatisch. Er wollte keine Religion gründen, war kein Guru. Er wollte diese Welt schöner machen.

Ist das Interesse an Stockhausens Musik nach dem Tod gestiegen?

PASVEER: Ja. Stockhausen hat immer gesagt: Ich muss nur sterben, dann geht es los. Er hätte sich über die „Klang“-Aufführung so gefreut, oder über das Glockenspiel, das jetzt jeden Tag um 12 Uhr die „Tierkreiszeichen“ spielt. Oder die Oper „Sonntag aus Licht“, die 2011 an der Kölner Oper 2011 uraufgeführt wird. Dass er zu Lebzeiten überall, aber nicht in seiner Heimat aufgeführt wurde, hat ihm sehr weh getan.

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