Plastik-PerserTeppich-Betrügern auf der Spur

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Zusammengerollt, lieblos in eine Gitterbox gestopft, werden die vermeintlichen Seidenteppiche für zehn Euro in diesem Geschäft im Kölner Norden verramscht. (Bild: Krasniqi)

Zusammengerollt, lieblos in eine Gitterbox gestopft, werden die vermeintlichen Seidenteppiche für zehn Euro in diesem Geschäft im Kölner Norden verramscht. (Bild: Krasniqi)

Köln – An einem besonders schwülen Tag im Juli halten es die mutmaßlichen Trickbetrüger in ihren stickigen Hotelzimmern nicht mehr aus. Sie fahren ins Freibad und nehmen ihre „Waffen“ einfach mit: Handys und ein Telefonbuch. Sie ziehen sich in eine schattige Ecke zurück, breiten ihre Handtücher aus und telefonieren die Listen mit potenziellen Opfern ab. Wird ihnen zu heiß, drehen die Männer ein paar Runden im Schwimmbecken. Was sie nicht ahnen: Ihre Telefonate werden abgehört, die Polizei ist der Gruppe bereits auf der Spur.

Die Staatsanwaltschaft führt derzeit ein Ermittlungsverfahren gegen die acht Beschuldigten. Am Donnerstag durchsuchte die Kölner Polizei Wohnungen in Wuppertal, stellte Handys und Teppiche sicher. Die Verdächtigen sollen älteren, demenzkranken Menschen in Köln und Umgebung wertlose Teppiche für mehrere tausend Euro angedreht haben. Die Masche ist altbekannt, der Nachweis aber schwierig. Erst seit 2008 zählt Bandenbetrug zu jenen Straftaten, die die Polizei mit Telefonüberwachung bekämpfen darf. Im vorliegenden Verfahren sollen die Verdächtigen zumindest im März und Mai 16 000 und 2400 Euro für Teppiche kassiert haben, die tatsächlich keine hundert Euro wert sind.

Ursprung im Kölner Norden

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Niemand weiß das besser als Ahmet Kilinc (Name geändert). Bei ihm kaufen die Betrüger die Billigteppiche ein. Kilinc führt ein großes Ramschgeschäft an einer Ausfallstraße im Kölner Norden. Weil sich außer den üblichen Verdächtigen niemand für seine minderwertigen Chemiefaserprodukte interessiert, spart Kilinc sich die Mühe, die Ware ansprechend zu präsentieren. Gleich neben dem Eingang steht eine Gitterbox mit eingerollten Teppichen, eingerahmt von Regalen mit Plastikspielzeug und Glasvasen.

Alle paar Tage, erzählt Kilinc, kämen „diese Leute“ vorbei und nähmen ein paar Teppiche mit. Kürzlich habe die Polizei ihm berichtet, wozu seine treuen Kunden die Ware benötigten. Eine „Sauerei“ sei das, findet Kilinc - aber kein Grund, die Teppiche aus dem Sortiment zu nehmen. „Alle Kunden sind gleich, solange sie bezahlen.“ Zwischen zehn und 150 Euro kosten die kleinen (Brücken) und größeren Teppiche (Läufer) bei ihm. „Sie werden maschinell in Belgien hergestellt“, erzählt der Händler. Er streicht über die glatte, rot-blau gemusterte Oberfläche. „Hundert Prozent Viskose“, sagt er, „reine Synthetik.“

Ihren wohlhabenden Opfern verkaufen die Betrüger, die sich stets als „Herr Hassani“ vorstellen, die Ware als echte, handgeknüpfte Seidenteppiche aus dem Vorderen Orient - für 1500 Euro pro Stück. Die Täter besorgen sich Kundenkarteien von Teppichgeschäften oder durchsuchen das Telefonbuch nach altmodisch klingenden Vornamen. Selbst in türkischen Ferienorten kaufen sie Händlern die Daten deutscher Kunden ab, die sich einen Teppich als Souvenir mitgebracht haben. „Je älter die Opfer sind, desto einfacher ist es meist, ihnen etwas anzudrehen, das sie gar nicht wollen“, erklärt Hauptkommissar Joachim Ludwig. Ein Täter schaffe pro Tag etwa hundert Anrufe. „Die immer gleiche Geschichte, die er seinen potenziellen Opfern auftischt, ist vollkommen hirnrissig und zugleich extrem schäbig“, sagt Ludwig (siehe „Im Wortlaut“). Von 500 Angerufenen, schätzt der Ermittler, „laden fünf bis zehn Gutgläubige die Täter zu sich nach Hause ein“. Der jährliche Gesamtschaden in Deutschland geht in die Millionen.

Denn einmal in der Wohnung, lassen sich die freundlich auftretenden Betrüger kaum noch abwimmeln. Sie überreichen das versprochene Geschenk und drängen die Opfer dazu, weitere vermeintlich hochwertige Seidenbrücken zu „einmaligen Sonderpreisen“ zu kaufen. In Einzelfällen stahlen sie Geld und Schmuck aus den Wohnungen und wurden sogar gewalttätig.

Merken die Täter, dass die Senioren wohlhabend sind und womöglich noch größere Summen bei der Bank verwahren, bitten sie ihre Opfer unter fadenscheinigen Gründen um ein kurzfristiges Darlehen - das sie den alten Menschen angeblich natürlich schnellstmöglich zurückzahlen wollen. „Es geht den Tätern einzig und allein darum, den alten, wehrlosen Menschen so viel Geld wie möglich abzunehmen“, sagt Ludwig.

Die Auswertung der angezapften Telefonate legt die Vermutung nahe, dass täglich hunderte Kölner von Teppichbetrügern angerufen werden. Die Zahl der Strafanzeigen allerdings ist gering. „Viele Opfer trauen sich aus Scham nicht zur Polizei“, vermutet Ludwig. Andere wissen bis heute nicht, dass der scheinbar seidene Orientteppich im Wohnzimmer in Wahrheit ein Massenramschprodukt aus Belgien ist.

Dabei wären die Plastik-Perser recht leicht zu entlarven - fehlt doch an ihrer Unterseite das vorgeschriebene Etikett mit dem Rohstoffgehalt. Franz ten Eikelder, Inhaber eines Teppichgeschäfts in der Südstadt und vereidigter Sachverständiger für Orientteppiche, nennt weitere Unterscheidungsmerkmale: „Bei den billigen Produkten sind die Fransen am Rand nur angenäht. Die Kettelung an der Längsseite der Teppiche ist schnurgerade, bei handgeknüpften Stücken ist sie unregelmäßig.“ Wer ahnt, dass er betrogen wurde, sollte schleunigst eines tun: die Polizei einschalten.

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