Kölner ProfessorinDisruptionen bieten Chancen für Wirtschaft und Gesellschaft

Lesezeit 3 Minuten
39063906-Rockenbach

Bettina Rockenbach, Prorektorin und Professorin für Experimentelle Wirtschafts- und Verhaltensforschung an der Universität zu Köln

Köln – Schon in der Gegenwart zeigt sich, dass einzelne Herausforderungen wie Digitalisierung, Finanzkrisen, Klimawandel oder Pandemien ein doch eigentlich etabliertes Wirtschaftssystem durchrütteln können. Sorgen um die Zukunft der Wirtschaft macht sich Bettina Rockenbach aber wenige: „Ich glaube, unser Wirtschaftssystem kann schon viel vertragen“, erklärt die Prorektorin und Professorin für Experimentelle Wirtschafts- und Verhaltensforschung an der Universität zu Köln im Gespräch mit dem Kölner „Stadt-Anzeiger“.

„Disruptionen bieten immer auch Chancen“, sagt Rockenbach. Als Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und Teil des interdisziplinären Clusters ECONtribute erforscht sie Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft mit Blick auf die Herausforderungen der Zukunft.

Digitalisierung in Höchstgeschwindigkeit

Rockenbach spricht aus eigener Erfahrung. Wie viele andere musste sie zu Beginn der Pandemie ihren Forschungs- und Lehralltag innerhalb kürzester Zeit in den digitalen Raum verfrachten. Eine Digitalisierung im Hochgeschwindigkeitstempo sozusagen. Ohne diese Disruption wäre das nicht möglich gewesen, sagt sie.

Alles zum Thema Universität zu Köln

Für eine Ökonomie kann eine Disruption sehr hilfreich sein, da schnell ein Wandel herbeigeführt wird und Abläufe neu strukturiert werden können, erklärt sie und hofft, dass einige der Errungenschaften wie digitale Meetings auch in postpandemischen Zeiten selbstverständlich bleiben. „Wir müssen schauen, dass wir das Beste aus der alten und der aktuellen Situation zusammenführen, um damit dann voranzuschreiten. Disruption kann also auch ein willkommener und erholsamer Schock für eine neue Entwicklung sein.“

Gesellschaftliche Auswirkungen

Doch sie birgt auch Gefahren. Die Zyklen, in denen sich gesellschaftliche und wirtschaftliche Umstände neu arrangieren, werden immer kürzer, erklärt die gebürtige Kölnerin. Was vor zehn Jahren war, hat mit dem, was in zehn Jahren sein wird, nicht mehr viel zu tun: „Da können nicht alle Menschen in gleichem Maße mithalten. Als Gesellschaft müssen wir darauf achten, dass wir alle möglichst gut mitnehmen und sie in diesen schnellen Entwicklungen nicht verlieren.“

Rockenbach fordert daher, nicht nur auf technologische Möglichkeiten und Errungenschaften zu blicken, sondern auch ihre Auswirkungen gesellschaftswissenschaftlich und ethisch zu analysieren. Andernfalls drohe, dass Menschen abgehängt werden.

Fortschritte im Bildungssektor

„Ob durch die Digitalisierung auch wirklich Arbeitsplätze verloren gehen, ist ja durchaus umstritten, weil auf der anderen Seite auch neue entstehen“ – es änderten sich eher die Anforderungsprofile für Berufe, erklärt sie. „Es wird viel mehr Flexibilität von den Menschen verlangt, lebenslang dazuzulernen und das ist etwas, was nicht jeder gleich gerne tut.“ Menschen bräuchten langfristige Perspektiven.

Möglichkeiten, sich zu bilden, gibt es einige. In dem Sektor sieht Rockenbach nämlich Bewegung: „Heute kann man sich auf YouTube ein Nachhilfevideo zu mathematischen Fragestellungen für die Schule anschauen. Das ist speziell für Kinder, die in einer Familie leben, die sich keinen Nachhilfelehrer leisten kann, ein großer Fortschritt“, erklärt sie. Man könne sich, ohne Studiengebühren zu zahlen, Vorlesungen der Universität Harvard anschauen und das auch dort, wo der Zugang zu Bildung deutlich schwieriger ist.

Warnung vor Überforderung

Chancengleichheit und Partizipation für alle Mitglieder der Gesellschaft hält Rockenbach für ein sehr wichtiges Zukunftsthema. Gleiches gilt für den Fachkräftemangel: Sobald die Generation der Baby Boomer im Alter gepflegt werden muss, wird sich dieser noch verstärken.

Auch eine kurzfristige Entwicklung bereitet Rockenbach Sorgen: Die Inflationsrate stieg im September auf 4,1 Prozent, bedingt durch steigende Energiepreise. „Ich würde auch gerne als Privatperson glauben, dass die Dinge, die jetzt sehr viel teurer geworden sind, auch wieder billiger werden. Da fehlt mir aber ein bisschen der Glaube dran.“

Da diese Entwicklung alle Einkommensklassen trifft, warnt Rockenbach vor einer Überforderung der Bevölkerung. Ein Ausweg wäre die stärkere Nutzung erneuerbarer Energien, sagt sie: „Wenn es nach mir ginge, würde ich da auch gerne ein paar rechtliche und bürokratische Hürden abbauen, damit die Dinge etwas schneller vorangehen.“

KStA abonnieren