Abo

„Absolut sinnbefreit“Polizei rückt in drei Wochen zu 100 eskalierten Hochzeiten aus

Lesezeit 4 Minuten
digas-163587566_MDS-EXP-2019-04-25-71-146660028

29. April 2018: Gäste einer Hochzeitsfeier in Siegburg schießen in die Luft. Das Foto wurde von der Polizei des Rhein-Sieg-Kreises aufgenommen, die Gesichter der Männer hat die Behörde unkenntlich gemacht.

  • Blockierte Autobahnen und Schüsse aus fahrenden Autos haben sich zu einem gefährlichen Trend entwickelt.
  • Die Düsseldorfer Polizei gründete sogar eine eigene Ermittlungskommission für die Angelegenheit.
  • Seit drei Wochen wird Statistik geführt über die Vorfälle. Die Zahlen sind dramatisch.

Köln – Die Beamten konnten es kaum glauben. Auf der A3 zwischen Düsseldorf und Köln bemerkte eine Zivilstreife an einem Freitagnachmittag zwei Porsche, die mit Warnblinklicht zwischen den Spuren pendelten und den Verkehr ausbremsten.

Als sämtliche Autos schließlich zum Stehen gekommen waren, setzte sich ein Fahrer mit seinem offenen Ford Mustang Cabrio an die Spitze der Blockade und ließ die Reifen qualmen. Ein Mitfahrer stand im Auto und machte Bilder. Ein Gruß an die Hochzeitsgesellschaft, die sich hinter ihm aufgereiht hatte, darunter ein Mercedes E 350 und ein Audi R8 mit Blumenbouquet, in dem mutmaßlich das Brautpaar saß und die illegale Show-Einlage bestaunte.

Als die Polizisten den Korso kontrollierten, stießen sie offenbar auf wenig Einsicht: Sie hätten nichts falsch gemacht, sollen die Verantwortliche gesagt haben. Man solle sich außerdem keine Sorgen machen, „ich kenne einen guten Anwalt“, habe einer der Männer kommentiert. Die Düsseldorfer Polizei gründete daraufhin eine eigene Ermittlungskommission für die Angelegenheit. Es geht um den Verdacht der Nötigung und der Verkehrsgefährdung.

Alles zum Thema Herbert Reul

Das könnte Sie auch interessieren:

Der Vorfall auf der A3 beschäftigte Anfang April sogar den Innenausschuss des Landtags. Für einige Hochzeitsgesellschaften in NRW aber geriet die Blockade offenbar zum Vorbild. Seitdem häufen sich spontane Feiern auf Autobahnen und Innenstädten, die meisten Beteiligten haben mutmaßlich türkische oder arabische Wurzeln. „Das ist absolut lebensgefährlich und sinnbefreit“, sagte ein Düsseldorfer Polizeisprecher. „Wenn es dabei zu einem Unfall kommt, werden die Verantwortlichen ihres Lebens nicht mehr froh.“ Auch wenn es sich den Namen nach um Fahrer mit Migrationshintergrund handele, könnten sich diese nicht auf kulturelle Bräuche berufen. 

Am Sonntag erst blockierte eine türkische Feiergesellschaft mit etwa einem Dutzend „hochpreisiger Autos“ die A2 bei Kamen. Ähnliche Vorfälle gab es am vergangenen Wochenende auf der A4 bei Elsdorf im Rhein-Erft-Kreis und auf der A52 bei Marl. Die Polizei fand deutliche Worte: „Es ist etwas anderes, wenn eine Hochzeitsgesellschaft durch die Straßen fährt und laut hupt. Den Verkehr auf einer Autobahn auszubremsen, gefährdet Leben und ist mit absolut nichts zu rechtfertigen!“

Auch um Ostern ging es in NRW hoch her

Auch während der Osterfeiertage ging es in NRW hoch her. Von Ostersamstag bis Montag wurde die Polizei laut Ministerium zu 38 Hochzeitsfeiern gerufen, die aus dem Ruder liefen. Am Wochenende davor waren es 32. Am Ostersonntag hatten bei Gladbeck rund 50 Fahrzeuge die Autobahn 52 blockiert. Laut Zeugen fackelten Hochzeitsgäste dabei Pyrotechnik ab und beleidigten Fahrer, die wegen ihnen im Stau standen.

Doch nicht immer sind es Auto-Korsos, die für Chaos sorgen. In Duisburg wurden am Ostersamstag etwa 100 Personen beobachtet, die laut Innenministerium durch die Straßen zogen, türkische Flaggen schwenkten, Bengalos abfackelten und mit Schreckschusspistolen um sich schossen.

Ein Hochzeitskorso blockierte die A 57 in Köln

Auch Köln wurde schon mehrfach Schauplatz ausufernden Hochzeitsfeierlichkeiten. Am 14. April blockierte ein Korso die A 57 in Höhe der Ausfahrt Bickendorf. Die Beteiligten legten alle Fahrspuren lahm und tanzten auf dem Seitenstreifen. Die Polizei beschlagnahmte vier Führerscheine, legte ein Fahrzeug still und erstatte Strafanzeigen wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. 

Die Ermittler betonen, dass es sich in solchen Fällen nicht um Ordnungswidrigkeiten, sondern um Straftaten handelt. Das Gesetz sieht bei einer Gefährdung des Straßenverkehrs eine Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vor, im Fall der Nötigung sind es bis zu drei Jahre. Wer ohne Waffenschein um sich schießt, dem drohen bis zu 10.000 Euro Geldstrafe.

Das NRW-Innenministerium sieht Handlungsbedarf. Seit drei Wochen erhebt die Behörde Zahlen, um eine Art Lagebild zu erstellen und zu prüfen, ob es sich wirklich um ein neues Phänomen handelt. 100 Einsätze habe die Polizei seit Beginn der Zählung gefahren, die meisten davon am Wochenende.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul hat bereits eine Warnung ausgeben. Autobahnen und Innenstädte seien keine privaten Festsäle. „Solche Exzesse missbilligen den kleinsten gemeinsamen Nenner dieser Gesellschaft. Sie sagen: Eure Gesetze und Eure Gesundheit sind uns vollkommen egal, das zählt für uns schlicht nicht“, so der Minister. Die Haltung, die dahinter stehe, mache ihm „große Sorgen“: „ Deshalb werden wir genau analysieren, was es damit auf sich hat und dann systematisch mit allen rechtlichen Mitteln dagegen vorgehen.“

Die Polizei aber hofft, dass die Lust an den Straßen-Partys demnächst wieder abebbt. Aus Ermittlungskreisen heißt: „Bald ist Ramadan, vielleicht wird es dann ja etwas ruhiger.“

KStA abonnieren