„Als moralische Instanz versagt“Woelki-Kritik wird zur Rebellion der Basis

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Gespraechsrunde_Woelki

Erzbischof Rainer Woelki bei einer vom Land NRW veranstalteten Gesprächsrunde zum Thema Missbrauch im September 2019 in Düsseldorf. 

Köln – Beispiellos. Dieses Attribut hat beste Chancen, im Erzbistum Köln zum Wort des Jahres zu werden. In tatsächlich noch nicht dagewesener Schlagzahl melden sich Seelsorger, Gemeinden und Verbände mit Kritik an Kardinal Rainer Woelki und der Bistumsleitung zu Wort. Im Zentrum stehen Woelkis Entscheidung, ein Rechtsgutachten zum Missbrauchsskandal unter Verschluss zu nehmen, der Umgang mit dem Betroffenenbeirat sowie Woelkis Versäumnis, den Missbrauchsfall eines mit ihm befreundeten Priesters 2015 zu untersuchen und nach Rom zu melden. Hier steht der Vorwurf einer möglichen Vertuschung im Raum.

Der Diözesanrat, die Vertretung der Laien im Erzbistum, hat inzwischen etwa zwei Dutzend offene Briefe, Zeitungsinterviews und andere Stellungnahmen gesammelt, die durch die Bank von einem Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust sprechen und persönliche Konsequenzen verlangen – bis hin zu direkten Rücktrittsforderungen an den Kardinal.

Dieser Liste kann der Diözesanrat das Votum seines Vorsitzenden Tim Kurzbach und die Beschlüsse der jüngsten Vollversammlung hinzufügen. Die Laienvertretung setzt ihre Mitarbeit an der von Woelki initiierten Bistumsreform aus und kündigt dem Erzbischof damit faktisch die Gefolgschaft auf. Es fehle die Akzeptanz, hieß es zur Begründung für diesen Schritt, der in der Bistumsgeschichte einmalig sein dürfte.

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Kurzbach: „Größte Kirchenkrise, die wir alle je erlebt haben“ 

Kurzbach sprach am Freitag von der „größten Kirchenkrise, die wir alle je erlebt haben.“ Es sei „schier unglaublich, wie sich die Leitung des Erzbistums verhält“, sagte Kurzbach mit Blick auf das Aufklärungsbemühen im Missbrauchsskandal. „Der Erzbischof hat als moralische Instanz versagt und zeigt bis heute keine Haltung.“ Stattdessen werde ein gescheitertes Handeln „chronisch fortgeführt“. Kurzbach verwies auf das geheim gehaltene Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl l und auf Versuche, kritische Stimmen durch Drohungen einzuschüchtern. „Phrasen werden gebetsmühlenartig wiederholt“, monierte Kurzbach. Stattdessen solle die Bistumsleitung endlich Verantwortung übernehmen. Dies forderte auch der Diözesanrat in einem zweiten Beschluss, der mit nur einer Gegenstimme fiel. „Wir brauchen jetzt Klarheit! Sonst haben wir nie wieder die Chance aus dieser Misere herauszukommen.“

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) als nationaler Dachverband der Laien solidarisierte sich mit der Entschließung des Diözesanrats, „nicht zuletzt wegen der Ausstrahlung der Kölner Vorgänge auf die gesamte katholische Kirche in Deutschland“. ZdK-Präsident Thomas Sternberg zollte Kurzbach Respekt. Den Ruf nach dem Einstehen für persönliches Verschulden auch jenseits juristischer Klärung nannte er „folgerichtig und absolut notwendig“.

Katholikenausschuss verlangt Übernahme persönlicher und institutioneller Verantwortung

Am Donnerstag hatte bereits der Vorsitzende des Kölner Katholikenausschusses, Gregor Stiels die Lage der Kirche in Köln als „beispiellose Krise“ charakterisiert, in der die Glaubwürdigkeit massiv beschädigt, das Vertrauen in Kardinal Woelki „vollständig verloren gegangen“ sei. „Fassungslos schauen wir auf die Haltung und das autoritäre Selbstverständnis unserer Kirchenleitung, die – gepaart mit einer desaströsen Kommunikation – für diese Krise verantwortlich ist.“ Auch der Katholikenausschuss verlangt die Übernahme persönlicher und institutioneller Verantwortung. „Wir erwarten pastorale Zeichen der Reue, Umkehr und Wiedergutmachung, die bis heute fehlen.“

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, sieht die öffentliche Anerkennung für das Bemühen der katholischen Kirche um Aufarbeitung insgesamt belastet. Was in Köln derzeit zu erleben sei, sei „destruktiv, diplomatisch ausgedrückt“.

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Im Erzbistum Berlin, Woelkis Wirkungsstätte von 2011 bis 2014, wurde am Freitag ein eigenes Missbrauchsgutachten präsentiert. Es bestätigt die Befunde von Studien aus anderen Bistümern, wonach etwa vier Prozent der katholischer Priester als Beschuldigte mit Missbrauch in Verbindung gebracht werden müssen. Im veröffentlichten Teil der 669-Seiten-Studie fehlen praktisch alle Hinweise auf die Mitverantwortung von Bischöfen, Generalvikaren und Personalchefs. Etwaige persönliche Konsequenzen „im Falle nachgewiesener Vertuschung“ sollten aber nach Sichtung des Gutachtens durch eine Kommission aus Priestern und Laienvertretern gezogen werden, versprach Woelkis Nachfolger, der aus Köln stammende Erzbischof Heiner Koch.

Das Gutachten der Bonner Kanzlei Redeker Sellner Dahs, die auch das Erzbistum Köln zum Umgang mit dessen zurückgehaltenem Gutachten berät, spart in seinen Empfehlungen alles aus, was an die Strukturen der katholischen Kirche oder ihre Sexualmoral rühren würde. Dies zu beleuchten, sei aber auch nicht der Auftrag gewesen, betonte Generalvikar Manfred Kollig. „Wir wollen an dem arbeiten, was wir ändern können und wofür wir Verantwortung haben“ – die moralische Verantwortung ausdrücklich eingeschlossen.

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