„Deutschfeindlichkeit“?Warum diese neue Polizei-Kategorie ein Skandal ist

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Ist es nun deutschfeindlich oder ausländerfeindlich, wenn die Dunja Hayali, deutsch, aber mit irakischen Wurzeln, in den sozialen Netzwerken bedroht wird?

  • Erstmals weist das Bundeskriminalamt (BKA) in seiner Statistik jetzt unter dem Begriff „Deutschfeindlichkeit“ Straftaten aus, die sich „gegen die deutsche Nationalität eines Einzelnen richten, gleich ob er diese tatsächlich trägt“.
  • Ein Skandal, sagt Kolumnistin Lamya Kaddor über die neue Kategorie. Nicht nur sei sie irrelevant, sie verwässere das Problem der Hasskriminalität.
  • Das größte Problem sieht Kaddor außerdem in der Definitionsfrage: Was bedeutet deutschfeindlich genau?

Wir haben ein Problem. Deutsche werden angefeindet. Das ist schlimm. So schlimm wie andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auch. Erstmals weist das Bundeskriminalamt (BKA) in seiner Statistik jetzt unter dem Begriff „Deutschfeindlichkeit“ Straftaten aus, die sich „gegen die deutsche Nationalität eines Einzelnen richten, gleich ob er diese tatsächlich trägt“. Prompt fragte AfD-Chef Jörg Meuthen auf Twitter vielsagend: „Was ist mit Rassismus gegen Deutsche?“

Historisch betrachtet, trat Deutschfeindlichkeit am massivsten während des Zweiten Weltkriegs in den USA auf. Für Immigranten wurde es heikel, sich zu ihrer Herkunft aus Hitlers „Drittem Reich“ zu bekennen. Viele Deutsche, immerhin die größte Einwanderergruppe vor Iren, Mexikanern und Engländern, kappten ihre kulturellen Wurzeln und tauchten in der Masse unter. Germanophobie kam auch in europäischen Nachbarländern vor, klang dann mit der Zeit ab.

Heute gibt es Deutschenhass sogar in Deutschland – etwa in Schulklassen, in denen die Mehrheit eine Zuwanderungsgeschichte hat. Kinder, die sie als deutsch betrachten, werden mitunter ausgegrenzt, stigmatisiert, gemobbt, beschimpft als „Opfer“ und „Schweinefresser“. In manchen Straßenzügen von Großstädten, in denen überwiegend Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte leben, kann Passanten Ähnliches passieren. Solche rassistischen Exzesse sind inakzeptabel. Wo sie auftreten, muss gehandelt werden: vorbeugend durch Aufklärung, Erziehung, Bildung; einschreitend mit aktivem Unterbinden etwa durch Eltern, Lehrer oder die Polizei.

Was aber das BKA macht, wenn es bei der Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) nun das Themenfeld „deutschfeindlich“ einführt, ist im Grunde ein Skandal. Der historische Begriff wurde zunächst von neonazistischen Kreisen gekapert, wo er die angebliche Vernichtung des deutschen Volks durch Multikultur bezeichnet. Neuerdings benutzen ihn Rechtspopulisten, um den Diskurs zu verschieben. Sie wollen, dass wir weniger über Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Xenophobie reden, sondern mehr über Angriffe von „Ausländern“ auf „Deutsche“, um so „Ausländer“ abzuwerten. Indem eine Bundesbehörde den Begriff aufnimmt, verleiht sie ihm staatliche Weihen und beschert den Rechten einen Erfolg. Deutschfeindlichkeit steht jetzt gleichberechtigt neben Antisemitismus, Fremden- und Islamfeindlichkeit sowie dem ebenfalls neuen Themenfeld Ausländerfeindlichkeit.

Wie wenig gerechtfertigt das ist, zeigen die Zahlen: 132 deutschfeindliche Fälle stehen etwa 8000 fremdenfeindlichen, 3700 ausländerfeindlichen, 2000 antisemitischen und 1000 islamfeindlichen Delikten gegenüber. Hinzu kommen qualitative Unterschiede. Deutsche werden in der Regel nicht wegen ihrer Ethnie angegangen, sondern weil sie als Vertreter einer herrschenden Mehrheitsgesellschaft identifiziert werden. Studien und Erfahrungswerte zeigen: So etwas wie Deutschfeindlichkeit ist oftmals eine Reaktion auf eigene Ausgrenzung durch „Deutsche“.

Gewiss, es ist kindisch, Deutsche als „Kartoffel“ zu bezeichnen, nur weil man selbst „Kanake“ genannt wird. Gleiches mit Gleichem zu vergelten, hat außer kurzfristiger Genugtuung noch nie etwas gebracht. Es ist aber etwas anderes, ob jemand örtlich begrenzt etwa in seiner Klasse oder seinem Viertel beschimpft wird, oder ob jemand überall – in Schulen, auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, auf Ämtern, in Polizeikontrollen, beim Arzt, in Vereinen oder im Supermarkt – der Gefahr von Diskriminierung ausgesetzt ist. „Deutsche“, die sich in Berlin-Neukölln oder Köln-Kalk diskriminiert fühlen, könnten zumindest theoretisch nach Uedem am Niederrhein ziehen. Eine Jüdin indes kann Antisemitismus überall treffen.

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Somit existieren zwar durchaus vergleichbare Hassdelikte gegen „Deutsche“, aber im Gesamtkontext fehlt die Relevanz für eine eigene Kategorie ebenso wie etwa für Hindu- oder Chinesenfeindlichkeit. Nicht weil diese per se weniger gravierend wären, sondern weil sie für eine Statistik, die Kategorien bildet, zu selten vorkommen. Deutschfeindlichkeit wird so schlicht überbewertet, was das Problem der Hasskriminalität verwässert.

Größtes Problem aber ist die Definitionsfrage: Was bedeutet deutschfeindlich genau? Anfragen beim BKA bleiben im Unklaren. Deutschfeindlich ist, wenn Jérôme Boateng, Nazan Eckes oder ich Hasskommentare erhalten. Doch werden wir angefeindet, gilt das als islam- oder fremdenfeindlich. Was ist jeweils gemeint? Und was ist deutsch? Auch das steht nirgends geschrieben, keiner kann es sagen – abgesehen vielleicht von Jörg Meuthen, der im Deutschlandfunk befand: „Die Herkunft von Menschen, die kann man üblicherweise an ihrem äußeren Erscheinungsbild sehen.“ Also Deutsche vermutlich an weißer Haut, blonden Haaren und – blauen Augen. Legt die Polizei hier etwa auch solche völkischen Vorstellungen zugrunde? Das BKA sollte sich dazu schleunigst erklären.

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