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„Ein Atomschlag“Kölner Erzbistum will Gutachten über sexuellen Missbrauch einstampfen

Lesezeit 5 Minuten
Woelki DPA 230920

Kardinal Rainer Maria Woelki gerät durch die von ihm selbst angeordnete Untersuchung unter Druck.

  • Rechtsexperten sprechen angesichts dieser Entwicklung von einem „Atomschlag“.
  • Jetzt bricht ein schwelender Konflikt mit aller Wucht auf: Das Erzbistum wirft der selbst in Auftrag gegebenen Studie gravierende Mängel vor. Die Macher der Studie sehen das allerdings anders.

Köln – Das Erzbistum Köln will das von Kardinal Rainer Woelki in Auftrag gegebene Gutachten zum Umgang der Bistumsleitung mit Fällen sexuellen Missbrauchs einstampfen. Die seit März zurückgehaltene Studie der Münchner Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl werde nicht veröffentlicht, teilte das Erzbistum am Freitag überraschend mit.

Die Zusammenarbeit sei beendet. Der Kölner Strafrechtsprofessor Björn Gercke wurde mit einer „vollständigen Neufassung“ beauftragt. Diese werde bis zum 18. März 2021 fertiggestellt und der Öffentlichkeit vorgestellt. Insider sprechen von einem „Atomschlag“.

Die Münchner Anwälte sollten in Woelkis Auftrag klären, wer im Erzbistum für etwaige Pflichtverletzungen zum Nachteil Betroffener verantwortlich war. Es ist Woelkis erklärter Wille, dass dann auch Namen genannt würden. Auch sollte es um die Frage von Begünstigung sexuellen Missbrauchs durch ein kirchliches System des Wegschauens, Verharmlosens und Vertuschens gehen.

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Ein Gegengutachten der Frankfurter Juraprofessoren Franz Streng und Matthias Jahn attestiert der Münchner Kanzlei nun „durchgreifende methodische Mängel.“ Sie sei „wiederholt an ihrem Versprechen und am Anspruch der Betroffenen sowie des Erzbistums gescheitert, eine umfassende Aufarbeitung der Ereignisse und persönlichen Verantwortlichkeiten in Form eines rechtssicheren und belastbaren Gutachtens zu erreichen und einen zur Veröffentlichung geeigneten Bericht zu erstellen“, so das Erzbistum in seiner gemeinsam mit dem von Kardinal Woelki installierten Betroffenenbeirat herausgegebenen Erklärung. Rechtliche Schritte würden geprüft.

Stellungnahme angekündigt

Diese wollte sich auf Anfrage zunächst nicht äußern und verwies auf die fortbestehende Verschwiegenheitspflicht. Befunde aus ihrem Bericht werden in dem 22-seitigen Dossier der Frankfurter Professoren Streng und Jahn in Auszügen zitiert. Diese belasten höchstrangige ehemalige Bistumsfunktionäre mit Nennung der Klarnamen schwer. Ihre Amtsführung wird als „für die Gutachter nicht akzeptabel“ bezeichnet. Ein verantwortlicher Spitzenkleriker habe sich im Umgang mit Missbrauch „jenseits öffentlicher Bekundungen“ nicht veranlasst gesehen, „die Opferbelange ernsthaft in den Blick zu nehmen und die überkommene Prioritätensetzung zugunsten der priesterlichen Mitbrüderlichkeit zu revidieren“, heißt es laut dem Bericht von Streng und Jahn in dem Münchner Gutachten. Über den engsten Mitarbeiter des Genannten steht zu lesen, er habe nicht gegen die Entscheidungen seines Vorgesetzten opponiert.

Dies ist für die Gutachter auch deshalb völlig inakzeptabel, da im vorliegenden Fall sogar fachärztlicherseits unmissverständlich eine angemessene Strafe gefordert wurde.“ Solche „allgemeinen Werturteile“ nennen Streng und Jahn „besonders problematisch“.

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Woelki räumte Fehler des Erzbistums ein. „Wir haben wertvolles Vertrauen bei den Betroffenen verloren.“ Deren Perspektive sei „handlungsleitend“. Er sei zuversichtlich, dass der nun eingeschlagene Weg zu einem rechtssicheren Ergebnis kommen werde. Daran hatten seit der Fertigstellung des ersten Gutachtens erhebliche Zweifel bestanden. „Ich erwarte keine Schonung – im Gegenteil. Hinsehen und Handeln ist unser Anspruch und unser Auftrag.“ Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus sicherer Quelle erfuhr, enthält das jetzt jetzt endgültig gestoppte Gutachten keine Details, die Woelki aus seiner Zeit als Weihbischof zwischen 2003 und 2011 persönlich belasten würden. Die Protokolle des für Personalangelegenheit verantwortlichen Gremiums, dem Woelki angehörte, gäben dazu nichts her, hieß es. Ehemalige und aktive Mitglieder berichteten, dass Kardinal Joachim Meisner die heiklen Fälle stets im allerkleinsten Kreise verhandelt und entschieden habe. Als sein Nachfolger hatte den Verbleib im Amt 2018 vom Ergebnis der Untersuchung abhängig gemacht. „Nur auf einer vollständigen und sauberen Grundlage kann ich weitere Konsequenzen ziehen“, erklärte der Kardinal jetzt.

Im September hatte sich der heutige Hamburger Erzbischof Stefan Heße gegen Negativ-Urteile der Münchner Anwälte über seine Arbeit als Kölner Personalchef von 2006 bis 2012 zur Wehr gesetzt. Er sieht sich fälschlich belastet. In einem Interview verlangte er die Möglichkeit, dem Bericht bei einer Veröffentlichung seine abweichende Sicht der Dinge gleichberechtigt an die Seite stellen zu können.

Der Sprecher des Betroffenenbeirats, Patrick Bauer, stellt sich für das Gremium hinter den Erzbischof. „Wir sind enttäuscht und wütend, dass die Münchner Kanzlei derart schlecht gearbeitet hat und damit Versprechen einer gründlichen, juristisch sauberen Aufarbeitung gebrochen hat“, so Bauer. „Wir haben dem Kardinal geraten, die Zusammenarbeit mit Westpfahl Spilker Wastl sofort zu beenden und Schadensersatz zu fordern.“ Der Ruf nach der Übernahme von Verantwortung und Konsequenzen bleibe bestehen. „Ich glaube dem Kardinal, dass er die Untersuchung will, so schmerzhaft sie für ihn sein wird“, sagte Bauer dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Als amtierender Erzbischof trage er auch Verantwortung für die Geschichte des Erzbistums. „Ich habe ihm gesagt, ich will, dass Sie Konsequenzen ziehen. Das hat er mir ins Angesicht versprochen.“ Dass die Betroffenen nun erneut fünf Monate warten müssten, „ist schrecklich“, fügte Bauer hinzu.

In einer internen Runde am Donnerstag mit Woelki und Generalvikar Hofmann habe sich der neu bestellte Gutachter Björn Gercke, ein Experte für Strafrecht, „schon jetzt sicher“ gezeigt, dass seine Arbeit „dem Erzbistum wehtun wird.“

Interessant ist, dass das Nachbarbistum Aachen einer gleich gearteten Studie derselben Kanzlei unverändert in Kürze vorstellen lassen will. An diesem Plan werde nicht im Ansatz gerüttelt, erfuhr der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus gut informierter Quelle.

„Gravierende Mängel“

Bauer erklärte weiter, dass die im März behaupteten „äußerungsrechtlichen Bedenken“ gegen das Kölner Gutachten im Wesentlichen nur vorgeschobenen gewesen seien. In Wahrheit sei es immer um die Art gegangen, wie die Anwälte die Vorgänge der Vergangenheit aufbereitet und bewertet hätten. Das Erzbistum spricht heute von „gravierenden Mängeln“, die eine Veröffentlichung unmöglich machten. „Ich habe schon im März gefordert, sagt doch, wie es wirklich ist“, so Bauer im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Mit dem Fall vertraute Experten zeigten sich überrascht und irritiert über den Schulterschluss des Betroffenenbeirats mit dem Erzbistum und warfen diesem eine Instrumentalisierung des Gremiums vor.

Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller, der schon kürzlich die Veröffentlichung der Studie durch das Erzbistum als Beitrag zur Transparenz verlangt hatte, erneuerte diese Forderung und sprach von einem „Super-GAU“. Man könne die Kritik an dem Münchner Gutachten nur dann valide juristisch bewerten, wenn man es im Wortlaut nachlesen könne. Das sei ein Gebot der Fairness. „Auf dem Rücken der Opfer werden gutachterliche Fechtereien inszeniert, die die Aufklärung von Verantwortlichkeit im Erzbistum Köln verschleppen und verzögern“, kritisierte Schüller. „Ein dunkler Tag für das Erzbistum Köln und Kardinal Woelki - und ein bitterer Tag für die Opfer.“

Das Gutachten über die Arbeit der Münchner Kanzlei finden Sie hier.

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