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„Ich ziehe das Arsch-huh-T-Shirt an“Wie ein Kölner gegen die AfD im Osten kämpft

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Das Erstarken der Rechten hätte sich Rainer Michel, der noch die letzten Hitler-Jahre miterlebt hat, sein Leben lang nicht träumen lassen. Jetzt kämpft er aktiv gegen die AfD.

  • Rainer Michel ist vor zwölf Jahren aus Köln nach Görlitz in den deutschen Osten gezogen, weil er die Stadt für ihre Schönheit und Ruhe schätzte.
  • Im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger” erzählt er, wie das Klima in den vergangenen Jahren vergiftet worden ist und warum Smalltalk in Görlitz heute gar nicht mehr funktioniert.
  • Michel erklärt auch, warum Wegziehen für ihn trotz der erstarkten AfD nicht infrage kommt und was er an den Kölnern schätzt im Kampf gegen Rechts.

Rainer Michel, 75, dessen Vater aus Bautzen stammt und der als Kind nach Köln kam, zog vor zwölf Jahren nach Görlitz, weil er die Stadt schätzte, ihre Schönheit und ihre Ruhe. Der ehemalige Religionslehrer setzte die Alte Synagoge von Görlitz wieder instand, in der er nun lebt und Literaturveranstaltungen organisiert. Das Erstarken der AfD, sagt er, habe die Stimmung in der Stadt verändert.

Herr Michel, Sie leben in einem Land, in dem am Sonntag 27,5 Prozent der Wahlberechtigten AfD gewählt haben. Wie geht es Ihnen damit?

Es verunsichert mich. Denn so etwas habe ich mir in meinem Leben nicht mehr träumen lassen. Ich habe ja noch die letzten Hitler-Jahre miterlebt und gesehen, wie Nazitum an der Uni oder zu Hause propagiert wurde. Jetzt erkenne ich plötzlich manches wieder und frage mich: Warum? Also dass man über bestimmte Sachen nicht redet oder Dinge beschönigt, die nicht zu beschönigen sind. Außerdem kenne ich ja aus Köln diese Bands, die unter dem Motto „Arsch huh, Zäng ussenander“ Anfang der 1990er-Jahre Musik gegen Rechtsextremismus gemacht haben. In Köln gibt es Stadtteile, in denen nur Türken leben. Das fand ich immer ganz spannend. Jetzt sind plötzlich Ängste vor Fremden da. Mir ist das fremd.

Hat die Landtagswahl die Lage verschärft?

Erstmal ist es positiv, dass es so eine hohe Wahlbeteiligung gab. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Außerdem sind die Republikaner und die NPD irgendwann auch wieder verschwunden. Was mich beunruhigt, ist, dass der AfD-Kandidat bei der letzten Oberbürgermeisterwahl Polizist ist. Der Einfluss der Partei reicht also bis in den Beamtenapparat hinein.

Als Sie nach Görlitz kamen, war das alles noch nicht erkennbar?

Ich habe es nicht so empfunden. Da gab es die AfD ja auch noch gar nicht. Die ist erst in den letzten fünf bis sechs Jahren entstanden. Das Schlimmste war, dass Michael Kretschmer 2017 nicht mehr in den Bundestag kam, weil er von einem AfD-Kandidaten abgelöst wurde. Da haben meine Freunde aus dem Westen Görlitz plötzlich nicht mehr mit geklauten Autos verknüpft, sondern mit der AfD und den Rechten.

Was haben Sie denen gesagt?

Da kannst du gar nicht viel sagen. Ich konnte nur sagen, dass mir das auch fremd ist. Es ist schwer, damit umzugehen. Das Miteinander hier ist jedenfalls nicht einfacher geworden. Dabei spielt die Ablehnung von „Fridays for Future“ ebenso eine Rolle wie die Demokratieverachtung, die Europaskepsis und der Rassismus, obwohl es hier kaum Ausländer gibt. Wenn ich mit manchen Leuten über diese Themen rede, dann schimpfen die sofort. Die sagen dann, ich sei ein Gutmensch. Nur weil ich sage, dass uns Flüchtlinge doch helfen könnten. Manchmal weiß man auch gar nicht, wo jemand steht. Smalltalk klappt nicht mehr – außer mit denen, mit denen man auf einer Linie ist.

Fühlen Sie sich als Westdeutscher in einem ostdeutschen Umfeld jetzt unwohl?

Nein, so möchte ich das nicht sagen. Außerdem habe ich ja einen interessanten Ruf hier, weil ich eine Synagoge renoviert habe. Das finden manche gut, dass ich hier investiere. Die Leute sehen, dass ich kein Geld machen will, sondern Geld mitbringe. Da fühle ich mich überhaupt nicht unwohl. Es ist nur so ein Déjà-vu.

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Werden Sie denn mehr als früher als Westdeutscher angesprochen?

Ja, und das sind dann sehr intensive Gespräche, weil die Leute mir erklären, warum sie sich als Bürger zweiter Klasse fühlen – weil sie niedrige Renten haben, weil sie als Lehrer nicht verbeamtet wurden, weil Führungspositionen nicht mit Ostdeutschen besetzt werden, weil sie nichts erben, weil nichts zum Erben da ist, oder weil sie bei der Bank keinen Kredit kriegen. Manche Westdeutsche treten hier überdies sehr arrogant auf. Die Kritik an all dem kann ich nachvollziehen. Ich kann aber nicht nachvollziehen, dass man deshalb eine Partei wählt, die sehr problematisch ist. Außerdem sage ich den Leuten, dass diese Partei ja maßgeblich von Wessis mitbestimmt wird, von Höcke, Gauland und Kalbitz. Dann werden sie immer böse.

Warum?

Weil die Partei in ihren Augen positiv besetzt ist. Der westdeutsche Einfluss passt dazu nicht.

Fühlen Sie sich wie einer zwischen den Fronten?

Ich habe eine große Klappe. Mir fällt es nicht so schwer, mich zu behaupten. Aber ich möchte nicht, dass meine Umgebung von einer populistischen Partei dominiert wird.

Rücken die Westdeutschen in Görlitz nun enger zusammen?

Ja. Wir unterhalten uns über diese Entwicklung. Denn es ist schwer für uns, damit umzugehen. Außerdem bleiben in meiner Ferienwohnung neuerdings die Gäste weg. Leute aus dem Westen sagen dann: Warum muss ich da hin fahren? Da sind die Nazis. Da will ich nicht hin.

Haben Sie schon mal erwogen, weg zu gehen?

Nein, das habe ich nie. Das kann und will ich auch gar nicht. Und wie gesagt, ich habe eine große Schnauze. Manchmal ziehe ich mein T-Shirt an: „Arsch huh, Zäng ussenander“.

Aus Sehnsucht?

In Köln war die Solidarisierung gegen die Rechtsextremisten jedenfalls wunderbar.

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