„Inakzeptabler Übereifer“Warum das geplante NRW-Epidemie-Gesetz verfassungswidrig ist

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Der geplante Epidemie-Gesetzesentwurf für NRW sah unter anderem vor, dass medizinisches Personal für Krankenhäuser zwangsrekrutiert werden könnte.

  • Das Epidemie-Gesetz für NRW, das ursprünglich am Mittwoch im Landtag verabschiedet werden sollte, wird nach dem Widerstand der Opposition nun zunächst überarbeitet.
  • Zu Recht, sagt Michael Bertrams, Ex-Präsident des Verfassungsgerichtshofs NRW, kritisiert den Gesetzes-Entwurf im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger”. Es greife massiv in die Grundrechte ein. Zudem sei der Entwurf in Teilen verfassungswidrig
  • Lesen Sie das ganze Gespräch.

Herr Bertrams, wenn Ihnen das Epidemie-Gesetz der NRW-Landesregierung zur rechtlichen Prüfung vorgelegt worden wäre, was hätten Sie dazu gesagt?

Dass ich dieses Gesetz in Teilen für verfassungswidrig halte. Die Landesregierung will sich im Fall eine Epidemie besonderer Handlungsmöglichkeiten vergewissern. Soweit das aktuell die Bewältigung der gegenwärtigen bundesweiten Corona-Krise in NRW zum Ziel hat, wie zum Beispiel mit der Aussetzung des diesjährigen Abiturs, würde ich sagen: völlig in Ordnung. Daneben sollen aber auch dauerhafte Regeln für künftige landesweite Epidemien im Gesetz festgeschrieben werden, die massiv in die Grundrechte der Bürger eingreifen. Es ist mir unverständlich, dass die Landesregierung das jetzt im Eiltempo verabschieden wollte. Das ist ein Übereifer, den ich für inakzeptabel halte.

Worin genau sehen Sie den Verstoß gegen die Verfassung?

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Zum einen in dem von der Landesregierung ursprünglich ins Auge gefassten beschleunigten Verfahren mit der weitgehenden Ausschaltung der ansonsten üblichen parlamentarischen Kontrolle, wie sie durch mehrere Lesungen, Anhörungen und die Beratung von Änderungsanträgen gegeben ist. Zum anderen habe ich erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken zum Beispiel hinsichtlich der Paragrafen 12 und 15 im Gesetzentwurf. Dort soll die Möglichkeit geschaffen werden, medizinisches und pflegerisches Personal zu requirieren und Krankenhäuser zu zwingen, Behandlungskapazitäten zu schaffen und anstehende Operationen notfalls zu verschieben. Ausgeschlossen ist so etwas nicht. Aber für eine solche Beschneidung von Grundrechten, zu denen auch die Freiheit der Berufsausübung gehört, braucht es ein Höchstmaß an inhaltlicher Bestimmtheit der Voraussetzungen, unter denen ein solcher Grundrechtseingriff möglich sein soll. Es fällt auf, dass das Grundrecht der Berufsfreiheit im Gesetzentwurf erst gar nicht erwähnt wird.

Was heißt inhaltliche Bestimmtheit?

Der Gesetzgeber müsste Vorgaben machen, wann genau solche Eingriffe und Rekrutierungsmaßnahmen in Betracht kommen. Jetzt ist es einfach ins Ermessen der Behörden vor Ort gestellt.

Aber wer denn sonst sollte entscheiden können, was in einer Notlage verlangt ist?

Richtig. Aber ein niedergelassener Arzt, der von einer Behörde zwangsrekrutiert wird, muss doch wissen, warum jetzt gerade er zu dieser oder jener Mitwirkung verpflichtet wird. Womöglich hat er selbst Patienten zu versorgen, die er nicht ohne Weiteres sich selbst überlassen kann. Auf solche Situationen gibt das Gesetz den Behörden und den von ihren Entscheidungen Betroffenen keinerlei Handreichung. Sicher ist es keine einfache Übung, so etwas im Gesetzestext normativ zu regeln. Aber lapidare Formulierungen zum Ermessen der Behörden wie „sind gegebenenfalls heranzuziehen“ werden der Tragweite von Grundrechtseingriffen nicht gerecht.

Das Gesetz soll ja das Vorgehen bei landesweiten Epidemien regeln. Ist solch ein Fall überhaupt vorstellbar – also eine Katastrophenlage, die gewissermaßen an der Grenze von NRW Halt macht?

Auch das ist ein Schwachpunkt des Gesetzes. Im Infektionsschutzgesetz, einem Bundesgesetz, ist die Feststellung einer Pandemie für ganz Deutschland genau geregelt. Aber wie sieht das auf Landesebene aus? Wer sagt, es geht hier um eine Situation, die ausschließlich NRW betrifft? Man sieht, auch hier fehlt es an der notwendigen Präzision.

Nun sieht das Gesetz ausdrücklich den Parlamentsvorbehalt vor: Der Landtag entscheidet, wann die besondere Notlage einer Epidemie gegeben ist und auch, wann sie beendet ist. Ist damit nicht den demokratischen Erfordernissen Genüge getan?

Grundsätzlich ja. Aber das Parlament entscheidet ja nicht aufs Geratewohl. Es braucht eine verlässliche Grundlage dafür, die Sonderregelungen des Epidemiegesetzes zu aktivieren. Wer bietet diese Grundlage?

Zum Beispiel das Robert-Koch-Institut?

Das ist eine Bundesbehörde. Welche für das Land NRW zuständige Institution könnte eine vergleichbare Expertise liefern? Mit Erkenntnissen, die sich ausschließlich auf NRW beziehen? Wie diese Einschätzung einer lediglich landesweiten epidemischen Lage zustande kommen soll, lässt sich dem Entwurf nicht entnehmen. Und auch das ist ein nicht akzeptables Schweigen des Regierungsentwurfs. Es ist daher das Mindeste, diesen Gesetzentwurf den Fachausschüssen des Landtags zur Beratung in aller Ruhe vorzulegen und vor der Verabschiedung des Gesetzes auch Sachverständige anzuhören.

Das Gespräch führte Joachim Frank

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