„Nicht schon wieder“Was Kölner Lehrer zur Deutsch-Debatte an Grundschulen sagen

Lesezeit 4 Minuten
Schülerinnen und Schüler einer Grundschule (Symbolbild)

Schülerinnen und Schüler einer Grundschule (Symbolbild)

  • CDU-Politiker Carsten Linnemann hat eine spätere Einschulung von Kindern gefordert, die kein Deutsch sprechen können.
  • Seine Äußerungen haben eine kontroverse Debatte ausgelöst. Aber was sagen die Experten zu der Forderung, die täglich mit solchen Kindern zu tun haben?
  • Wir haben mit Kölner Grundschullehrern und Bildungs-Experten gesprochen – und die haben fast unisono eine sehr dezidierte Meinung.

Köln/Düsseldorf – Bei Ursula Brockerhoff ruft die ganze Debatte um Kinder, die angeblich nicht in die Grundschule gehören, nur Kopfschütteln hervor. „Wir reden am eigentlichen Thema vorbei“, meint die Rektorin der Kölner Gemeinschaftsgrundschule Görlinger Zentrum. In ihrer Schule, die sich „Kunterbunt“ nennt, lernen rund 70 Prozent Kinder, die nicht Deutsch als Muttersprache haben. Trotzdem hält sie gar nichts von der von CDU-Politiker Carsten Linnemann vorgeschlagenen Vorschulpflicht für Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen.

„Die mangelnden Sprachkenntnisse bei der Einschulung sind nämlich gar nicht das Kernproblem. Wenn Kinder keine anderen sozialen oder psychischen Probleme haben, lernen die das in der Grundschule. Die wuppen das“, konstatiert Brockerhoff aus Erfahrung.

„Keine Probleme, wenn wir genug Lehrer hätten“

Dafür sei in den letzten Jahren ganz viel auf die Beine gestellt worden, inklusive umfangreicher Förderprogramme und Lernprogramme. Hapern tue es an anderer Stelle: „Das System würde das problemlos schaffen, wenn wir genug Lehrer hätten“, ist sie überzeugt. Außerdem bräuchte es Unterstützung für die vielen geflüchteten Kinder, die durch Traumatisierung oder schlechte Wohnsituationen hoch belastet sind und dadurch im Lernen behindert werden. „Mehr geschultes Personal, einen Kindergartenplatz für alle Kinder und in der Kita eine individuelle Sprachförderung, dann wäre super viel gewonnen. Mehr als durch Separieren, was die Integration hemmt.“

Alles zum Thema Universität zu Köln

Das könnte Sie auch interessieren:

Damit spricht sie der Kölner Bildungsforscherin Mona Massumi aus dem Herzen. Als sie das Statement von Linnemann gelesen hat, habe sie nur gedacht: „Nicht schon wieder. Alle Jahre wieder die gleichen Debatten und immer die gleichen Reflexe, ohne dass sich was ändert.“ So sehr es richtig sei, dass es Kinder gebe, die über wenig Deutschkenntnisse bei der Einschulung verfügten, so unzureichend sei der Befund, sagt Massumi, die für die Universität Köln die Studie „Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche im deutschen Schulsystem“ verfasst hat.

„Statt das systemische Problem zu sehen, ist die Antwort von Herrn Linnemann nur: Früher selektieren und institutionell diskriminieren, um früher Homogenität herzustellen.“ Statt individueller Förderung in der Klasse durch Geld für mehr Personal und kontinuierliche Fortbildung der Lehrer werde das Problem ausgelagert, der Störfaktor „ausgesondert“. „Wie lange reden wir jetzt schon davon, dass die Kita als Institution aufgewertet werden muss, um den Spracherwerb zu fördern.“

Isabel Seehusen: Selektierung ist nicht sinnvoll

Isabel Seehusen, derzeit an die Bezirksregierung Köln abgeordnet für die Grundschullehrerausbildung, hat als Grundschullehrerin in Solingen Klassen unterrichtet, in denen 90 Prozent der Schüler Migrationshintergrund hatten. Obwohl die Herausforderung immens gewesen sei und an die Lehrer enorm hohe Anforderungen gestellt habe, findet sie es „überhaupt nicht sinnvoll zu selektieren“. In einem offenen Unterricht könne man sehr differenziert Sprache vermitteln. „Und es ist auch großartig zu sehen, wie die Kinder von- und miteinander lernen. Das ist leistbar mit mehr Personal – etwa mit Lehrertandems in jeder Klasse.“

Es gebe immer wieder Schüler, die beeindruckende Wege zurücklegen. Die ohne Deutschkenntnisse eingeschult würden und die Schule mit der Realschulempfehlung verlassen. „Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, lernen die Kinder in kürzester Zeit Deutsch“, bestätigt Mirjam Wagner, Lehrerin an der Katholischen Grundschule in Rösrath.

Opposition in NRW kritisiert Linnemann

Auch die Opposition im Düsseldorfer Landtag geht mit den Linnemann-Thesen hart ins Gericht. „Statt populistische Ausgrenzungsdebatten zu führen, sollte die CDU in NRW und im Bund daran arbeiten, die Situation an den Grundschulen zu verbessern“, sagt Sigrid Beer, Bildungsexpertin der Grünen. Joch Ott, Vizefraktionschef der SPD, weist darauf hin, dass in vielen Städten die Stellen an den Schulen mit hohem Problemdruck unbesetzt blieben.

„Ich fände es gut, wenn das Land Anreize schaffen würde, um gerade hier die Stellen attraktiver zu machen. Berlin zahlt zum Beispiel einen Besoldungszuschlag von zehn Prozent für Pädagogen, die in einem Umfeld mit hohem Problemdruck arbeiten. Auch eine Stundenreduzierung könnte solche Stellen interessanter machen.“

200 Grundschullehrerstellen sind nicht besetzt

Laut Bildungsgewerkschaft VBE sind allein in Duisburg 200 Grundschullehrerstellen nicht besetzt. Das bedeutet, dass zirka 5 600 Stunden nicht adäquat gegeben werden können, sagt VBE-Chef Udo Beckmann. Eine „unbedingte Korrelation“ zwischen Migrationshintergrund und Sprachkompetenz sei nicht festzustellen. „Zudem wissen wir, dass auch manche Kinder mit deutschsprachigen Eltern mittlerweile erhebliche Defizite im Umgang mit der deutschen Sprache haben“, so Beckmann.

Der Kölner Bildungsforscher Matthias Burchardt sieht dagegen in Linnemanns Beitrag einen Anstoß für eine „notwendige Debatte“ und hält die Vorschulpflicht für eine gute Idee: Das sichere Beherrschen der deutschen Sprache sei eine notwendige Voraussetzung für Bildung.

„Es ist doch eher eine positive Diskriminierung, wenn die Kinder, die noch Defizite im Deutschen haben, ein Jahr gezielt in einer Vorschulklasse gefördert werden. Ich würde es sogar als Akt der Humanität einer multikulturellen Gesellschaft bezeichnen.“ Petra Vogt, schulpolitische Sprecherin der CDU im Landtag nahm ihren Parteifreund ebenfalls in Schutz. Linnemanns Vorschlag sei „absolut richtig: „Wenn Kinder große Sprachdefizite haben, ist ein Scheitern programmiert.“

KStA abonnieren