„Tragischer Fehler“Oberster US-Gerichtshof kippt Abtreibungsrecht – Biden reagiert

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Biden 240622 afp

Joe Biden bei seiner Stellungnahme zur Entscheidung des Supreme Courts.

Washington – Der Oberste Gerichtshof der USA hat mit einer wegweisenden Entscheidung das liberale Abtreibungsrecht des Landes gekippt. Der mehrheitlich konservativ besetzte Supreme Court in Washington machte am Freitag damit den Weg für strengere Abtreibungsgesetze frei - bis hin zu kompletten Verboten in einzelnen US-Staaten. Damit ist das aktuelle Recht auf Abtreibung in den Vereinigten Staaten nach fast einem halben Jahrhundert Geschichte.

„Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung“, heißt es in der Urteilsbegründung. Die Entscheidung ist keine Überraschung: Anfang Mai hatte das Magazin „Politico“ einen Entwurf dazu veröffentlicht. Daraus ging bereits hervor, dass das Gericht so entscheiden will. Daraufhin gab es einen Aufschrei von Frauenrechtsorganisationen, Kliniken und Liberalen. Das Urteil ist nun so drastisch wie erwartet. In etwa der Hälfte der Bundesstaaten dürfte es nun zu weitgehenden Einschränkungen kommen.

Supreme Court: „Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung“

Es gibt in den USA kein landesweites Gesetz, das Schwangerschaftsabbrüche erlaubt oder verbietet. Abtreibungen sind aber mindestens bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt - heute etwa bis zur 24. Woche. Dies stellte bisher ein Urteil des Obersten US-Gerichts von 1973 sicher, das als Roe v. Wade bekannt ist. Ein weiteres Urteil von 1992, Planned Parenthood v. Casey, bestärkte die Rechtsprechung und passte sie etwas an. Der Supreme Court hat diese Entscheidungen nun gekippt.

Supreme Court Protest AP 240622

Proteste vor dem Supreme Court in Washington.

Das Abtreibungsrecht ist in den USA immer wieder Thema heftiger Auseinandersetzungen. Gegner versuchen die liberalen Regeln seit Jahrzehnten zu kippen. Unter dem vorigen Präsidenten Donald Trump rückte der Supreme Court deutlich nach rechts. Der Republikaner ernannte während seiner Amtszeit die Richter Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett. Die Richterinnen Sonia Sotomayor und Elena Kagan sowie Richter Stephen Breyer stimmten gegen die Entscheidung. Sie gelten als liberal.

Mehrere Bundesstaaten verbieten Abtreibungen sofort

Mehrere US-Bundesstaaten haben direkt nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs Abtreibungen verboten. „Missouri ist seit gerade eben der Erste im Land, der Abtreibungen wirksam ein Ende setzt“, erklärte der Justizminister des Staates im Mittleren Westen, Eric Schmitt, am Freitag auf Twitter. In South Dakota trat nach Angaben der konservativen Gouverneurin Kristi Noem ein bereits vorbereitetes Gesetz in Kraft. Der Gouverneur von Indiana, Eric Holcomb, berief für den 6. Juli das Parlament des Bundesstaats ein, um ein Abtreibungsverbot zu beschließen. 

In einer ersten Reaktion hat US-Präsident Joe Biden unterdessen das Urteil des Obersten Gerichtshof als Fehler bezeichnet. „Es ist meiner Ansicht nach die Verwirklichung einer extremen Ideologie und ein tragischer Fehler des Obersten Gerichtshofs“, sagte Biden am Freitag in Washington.

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Auch der ehemalige US-Präsident Barack Obama meldete sich kurz nach der Gerichtsentscheidung mit scharfer Kritik zu Wort. „Heute hat der Oberste Gerichtshof nicht nur fast 50 Jahre Präzedenzfälle rückgängig gemacht, sondern auch die persönlichste Entscheidung, die jemand treffen kann, den Launen von Politikern und Ideologen überlassen – er greift die grundlegenden Freiheiten von Millionen von Amerikanern an“, schrieb Obama am Freitagnachmittag bei Twitter.

Republikaner zufrieden mit Urteil

Der Republikaner Mitch McConnell, Minderheitsführer im US-Senat, begrüßte die Entscheidung unterdessen. „Das wegweisende Urteil des Obersten Gerichtshofs ist mutig und richtig", erklärte McConnell. „Dies ist ein historischer Sieg für die Verfassung und für die Schwächsten in unserer Gesellschaft.“

Deutsche Politiker haben unterdessen entsetzt auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA reagiert. „Das ist ein Rückschlag für Frauen weltweit“, sagte die erste parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, am Freitag der Nachrichtenagentur AFP. „Niemals dürfen wir zulassen, dass aus grundlegenden Frauenrechten ein vermeintlich politischer Kulturkampf wird.“Das Selbstbestimmungsrecht von Frauen weltweit sei „unantastbar“.

Entsetzen in Deutschland

Der erste parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, nannte die US-Entscheidung „furchtbar“. Sie zeige, dass eine liberale und selbstbestimmte Gesellschaft immer wieder neu politisch erkämpft werden müsse, schrieb er auf Twitter. Freiheit und Fortschritt seien nie selbstverständlich. Mast wie Vogel verwiesen darauf, dass der Bundestag am selben Tag beschlossen hatte, das Werbeverbot für Abtreibungen des Strafrechtsparagrafen 219a abzuschaffen. Praxen und Kliniken war dadurch etwa untersagt, ausführlich über unterschiedliche Methoden der Abtreibung zu informieren. (das/afp/dpa)

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