„Woher kommst du wirklich?“Wie eine Kölnerin sich gegen Alltags-Rassismus wehrt

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Alice Hasters in Köln-Nippes

Alice Hasters in Köln-Nippes

  • In den USA kommt es nach dem Tod des Afroamerikaners Georg Floyd durch einen Polizisten zu großen Unruhen. Viele Menschen protestieren gegen den in Amerika allgegenwärtigen Rassismus.
  • Rassismus ist aber auch in Deutschland ein Problem, wie die Kölnerin Alice Hasters in ihrem Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten” erklärt.
  • Wir haben sie in Nippes getroffen, wo sie erzählt, wie ihr seit ihrer Kindheit das Deutschsein abgesprochen wird. „Rassismus ist nicht nur etwas, was am rechten Rand passiert”, betont sie.
  • Eine Geschichte aus unserem Archiv.

Köln – Alice Hasters ist das, was man ein kölsches Mädchen nennt. In Köln geboren, im Stadtteil Nippes groß geworden. Mit zwei Schwestern wuchs sie in einer Wohnung an der Gocher Straße auf. Kindergarten, Schule, Abitur, ein erstes Studium an der Sporthochschule – alles in Köln. Doch wenn sie jemand fragt „Woher kommst du?“, wird die nahe liegende, die einzig mögliche Antwort „Köln“ meist nicht akzeptiert. So gut wie immer schließt sich eine Frage an: „Aber woher kommst du wirklich?“ Seit frühester Kindheit sieht sich die heute 30-Jährige damit konfrontiert.

„Köln reicht nicht als Antwort. Und sogar die USA reichen oft nicht. Die Leute wollen hören, dass ich aus Afrika oder Südamerika komme, alles andere wird nicht akzeptiert. Es geht nicht darum, dass sich jemand für mich interessiert, sondern irgendetwas bestätigt sehen möchte“, erzählt die Journalistin, die jetzt in Berlin lebt, an einem warmen, sonnigen Spätsommerfreitag auf dem Wilhelmplatz in Nippes, auf dem sie schon als Kind spielte. „Man bekommt immer gespiegelt, dass man nicht deutsch sein kann. Es gibt keine Selbstverständlichkeit für mein Deutschsein.“

Deutsch ohne Nachfragen war sie nur während eines Highschool-Jahres in den USA. Dort nannten sie alle schlicht „The German Girl“. Zu Hause in Köln antwortete sie oft mit „Ich bin halb deutsch, halb schwarz“ auf die Herkunftsfrage, als schließe das eine das andere aus.

Das Buch

Alice Hasters’ Sachbuch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ ist bei Hanserblau erschienen (208 Seiten, 17 Euro).

Am Donnerstag, 26. September, stellt Alice Hasters ihr Buch um 19.30 Uhr im Buchladen Neusser Straße, Neusser Straße 195, in Nippes im Gespräch mit Fatima Khan vor. Karten kosten zehn Euro.

Lange Zeit verdrängte die Tochter einer schwarzen Amerikanerin und eines weißen Deutschen, was solche Fragen mit ihr machen. Sie ignorierte, dass völlig fremde Menschen einfach ungefragt in ihre Haare greifen, ihre Hautfarbe mit Cappuccino oder Schokolade vergleichen, ihr gutes Deutsch loben oder sie direkt auf Englisch ansprechen. „Ich bin harmoniesüchtig, konfliktscheu, introvertiert. Ich habe lange gedacht, so ist das einfach. Menschen stellen mir die absurdesten Fragen, und ich stehe Rede und Antwort. Das gehört zu meinem Leben.“

Oft musste und muss sie sich anhören, das sei ja alles nicht so gemeint. Das sei doch nur freundliche Neugier. „Es hat lange gedauert, bis ich diese Dinge selbst als Rassismus begriffen habe.“ Zudem hatte sie das Gefühl, Menschen, die extremere Formen von Rassismus erleben, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben, in anderen Regionen leben, anders strukturell benachteiligt sind, etwas wegzunehmen.

Das hat sich geändert. Sie will reden. Für sich und für andere. Besonders nach der Bundestagswahl 2017, den Erfolgen der AfD und Gesprächen mit anderen BIPOC (Schwarze Menschen/ Indigene Menschen/ People of Color) wurde ihr klar, dass man den Falschen das Feld überlässt, wenn man ignoriert, dass Rassismus existiert. „Rassismus ist nicht nur etwas am rechten Rand, etwas das nur in extremer und radikaler Form passiert, es ist in unsere Geschichte eingebettet und man kann sich dem nicht entziehen.“ Jeder Mensch sei rassistisch. Man müsse sich dessen bewusst werden.

Hasters hat ein Buch geschrieben, das in dieser Woche erschienen ist und das sie am Donnerstag in Nippes vorstellt. „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ heißt es. Und ihr ist bewusst, dass manche sich durch diesen Titel angegriffen fühlen werden, denn nichts sei anstrengender, als mit Weißen über deren Rassismus zu sprechen. Selten fühlten sich diese so attackiert und missverstanden wie dann, wenn man sie, ihre Handlungen oder Aussagen rassistisch nenne. „Das Wort wirkt wie eine große Gießkanne voller Scham, ausgekippt über die Benannten“, schreibt sie in ihrem Buch. Weiße Menschen wollen sich freisprechen von dem Vorwurf. Und auf einmal muss Hasters sie beruhigen und ihnen versichern, dass sie gute Menschen und keine Nazis seien – und über das eigentliche Problem wird nicht mehr gesprochen.

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Hasters weiß, dass sie ihre Mitmenschen stresst, wenn sie deren Alltagsrassismus thematisiert. Aber sie will sich nicht mehr dafür entschuldigen. Ihr Buch ist flüssig geschrieben, anschaulich schildert sie ihre Erlebnisse. Dennoch ist die Lektüre anstrengend. Und das ist gut so. Weil man als weißer Mensch einen Eindruck davon bekommt, was es heißt, jeden Tag mit Rassismus konfrontiert zu sein, sich ihm nicht entziehen zu können.

Sie berichtet, wie in der Schule Philosophen wie Kant und Hegel für ihr fortschrittliches Denken gefeiert wurden, aber niemals auch mit nur einem Wort deren Rassismus thematisiert wurde. Kolonialgeschichte und deren Folgen waren kein Thema. „Die armen Kinder in Afrika haben nichts zu essen“ – auch sie hat früher diesen Satz gehört. „Aber hat sich schon mal jemand gefragt, warum die Menschen dort arm sind? Das hat ja einen Grund. Und er liegt nicht darin, dass weiße Menschen schlauer und besser sind, sondern dass sie Strukturen und Kulturen in Afrika und anderswo über Jahrhunderte systematisch zerstört haben.“

Den Weg in den Journalismus fand sie erst über den Umweg eines Sportstudiums. An der Deutschen Journalistenschule in München studierte sie Journalismus. Heute arbeitet sie unter anderem für Deutschlandfunk Nova und den rbb. Gerade in der Medienlandschaft sei es so, dass eine weiße, besonders eine weiße männliche Perspektive, als neutrale Perspektive gelte. „Selbst wenn es auf theoretischer Ebene keine Hürden mehr gibt, gibt es Grenzen im Kopf mangels Repräsentation, mangels einer Akzeptanz unterschiedlicher Perspektiven. Man hat einfach das Gefühl, dieser Platz ist nicht für mich, da gehöre ich nicht hin.“

„Heimat ist Herkunft plus Zugehörigkeit”

Geht man mit Alice Hasters durch Nippes, trifft sie beinahe an jeder Ecke jemanden, den sie kennt. Sie sieht sofort, wo ein neues Café aufgemacht hat, wie sich das Viertel verändert. Ist das ihre Heimat? Die Antwort ist kompliziert. „Heimat ist Herkunft plus Zugehörigkeit. Ich kann nicht auf eine Stelle auf der Landkarte zeigen und sagen: Da ist es.“ Die große Sehnsucht nach Zugehörigkeit müsse sie akzeptieren. Das Gefühl, nicht ganz dazuzugehören, werde sie wohl immer begleiten. „An manchen Tagen ist das positiv, ich habe das Gefühl, überall Zuhause zu sein. Und an anderen empfinde ich es negativ, nirgendwo bin ich vollkommen eins.“

Der Mut, den sie aufgebracht hat, um ihre Geschichte zu erzählen, und die Offenheit, mit der sie über ihre eigenen Verletzungen und Unsicherheiten spricht, sind ein Appell an weiße Menschen, Rassismus nicht zu ignorieren, sondern offen darüber zu sprechen. Nur dann sei Veränderung möglich. „Man wird immer in Situationen kommen, in denen wir unsicher sind. Da müssen wir durch. Ich wünsche mir, dass die Leute das mehr aushalten würden.“ Wenn man etwas verändern wolle, dann sei es eben manchmal etwas wackelig. „Das gehört dazu. Aber wir treten auch irgendwann wieder auf festen Boden. Das ist besser, als an alten Strukturen festzuhalten, weil sie uns Sicherheit geben.“

Der Artikel ist im September 2019 im „Kölner Stadt-Anzeiger” erschienen.

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