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Rechte Extremisten in NRW„Wir sind stark genug, um den Kampf zu gewinnen“

Lesezeit 5 Minuten
Aufmarsch von etwa 900 Neunazis im Juni 2016 in Dortmund

Aufmarsch von etwa 900 Neunazis im Juni 2016 in Dortmund

  • Sie finden sich gegenseitig vor allem im Netz und auf Martial-Arts-Events: Die rechte Szene radikalisiert sich zunehmend.
  • Allein in NRW sind 19 rechtsextreme Gefährder gelistet. Der Verfassungsschutz befürchtet Anschläge.
  • Doch um alle Gefährder zu überwachen, fehlt das Personal.

Düsseldorf – Endlich losschlagen. Der Mann aus Oberhausen, Ende 40, schien bereit. Er bot seinen Chat-Kumpels an, Schusswaffen aus dem Ausland zu besorgen. Die abgeschottet agierende rechtsradikale Gruppe, deren Administrator in Konstanz saß, war sich einig: „Wir müssen etwas tun.“ Für die Staatsschützer in Baden-Württemberg, die den Nazi-Chat seit Ende 2018 verfolgten, war es Zeit, einzuschreiten.

Vor acht Tagen wurden die Wohnungen der beiden Hauptakteure im Süddeutschen und in Oberhausen durchsucht. Gegen den Mann aus dem Ruhrgebiet ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Duisburg. Auch wenn bei der Razzia kein gefährliches Waffenarsenal gefunden wurde – so legt der Fall doch nahe, dass sich die rechte Szene zunehmend radikalisiert.

Sorgenvoll registrierten die NRW-Sicherheitsbehörden die Aufrufe der jüngst enttarnten Neonazi-Zelle zu Gewaltattacken gegen Politiker und gegen Flüchtlinge. Burkhard Freier, Chef des Verfassungsschutzes in NRW, fürchtet, dass rechtsradikale Einzelgänger (lone wolves) oder kleine Gruppen, die sich über das Internet radikalisieren, „Anschläge begehen können“.

Rechtsextreme Gruppierungen in NRW

Der III. Weg: Hardcore-Nazis alter Prägung. Mitglieder folgen den Dogmen des Linksflügels der NSDAP. Fordern ein neues Großdeutschland. Es gibt Plakate, die nahe legen, Volksverräter aufzuhängen. Führende Protagonisten rufen dazu auf, gegen die vermeintlich desolaten Verhältnisse in Deutschland anzukämpfen. Bisher folgen ihnen nur wenige Anhänger.

Identitäre Bewegung: Völkisch orientierte Gruppe. Sie geht von einer geschlossenen, ethnisch homogenen „europäischen Kultur“ aus, deren „Identität“ vor allem von einer „Islamisierung“ bedroht sei.

Combat 18: Militante neonazistische Organisation mit terroristischen Strukturen. Wird als bewaffneter Arm des Nazinetzwerks „Blood and Honour“ gesehen. 2007 wurde in Dortmund ein Tunesier von einem mutmaßlichen Combat 18-Mitglied vor einer Aldi-Filiale niedergeschossen.

Die Rechte: Neonazistische Kleinstpartei. Besteht seit 2012, an der Gründung waren hauptsächlich Mitglieder der Deutschen Volksunion beteiligt. Ihr wird vorgeworfen, im Ruhrgebiet eine Nachfolgeorganisation des verbotenen neonazistischen NWDO (Nationaler Widerstand Dortmund) zu sein.

Gleichgesinnte finden sich oft über Online-Ballerspiele: Einer schwärmt etwa von Weltkriegs-Games mit Judenverfolgung – „schon melden sich Interessenten“, sagt Freier dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Aus Spiel wird Ernst, die Gruppe stachelt sich gegenseitig dazu an, in der realen Welt loszuschlagen. Meist via Whatsapp oder Telegram – virtuelle Foren, für die Terror-Abwehr schwer zu knacken.

Oft ist in diesen Chats von einem „Austausch der Bevölkerung“ die Rede. Es drohe die Gefahr, dass die politische Elite Deutsche durch Asylbewerber ersetzen wolle, so der Tenor. Manche fordern einen „Bürgerkrieg“, man müsse zur Waffe greifen. „Wir sind stark genug, um den Kampf zu gewinnen“, heißt es dann.

Aus Freiers Sicht wächst die Terrorgefahr von rechts zunehmend: „Schon 2015 haben wir davor gewarnt, dass immer mehr Politiker bedroht werden.“ Der Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lücke beweise, „wie groß die Gefahr ist, dass vor allem Einzeltäter aus dem rechtsextremen Rand, die gar nicht so sehr in die einschlägigen Organisationen eingebunden sind, plötzlich zuschlagen.“ Diese Leute verfügten nur über rudimentäre Kontakte in die Szene: „Deshalb verschwinden sie von unserem Radar.“

So war es beim mutmaßlichen Lübcke-Mörder, so war es beim Attentäter, der die Kölner Oberbürgermeisterin Reker angriff. NRW gilt neben Sachsen, Thüringen und Süddeutschland als Hotspot sowohl für islamistische als auch für rechtsradikale Umtriebe. 120 der gut 2000 gewaltorientierten Personen listet die Polizei in ihrer Datei rechtsextremer Intensivtäter auf. Von den 39 Gefährdern aus den bundesweiten Nazi-Zirkeln leben 19 Hochrisikopersonen in NRW. Zum Vergleich: 250 Gefährder stammen aus dem radikalislamischen Salafisten-Milieu – die meisten befinden sich noch in den Kriegsgebieten in Syrien oder im Irak, etwa 100 leben derzeit in NRW.

Davon gilt gut ein Viertel als extrem gefährlich. Und auch für alle rechten Gefährder herrscht Alarmstufe Rot: militant, jederzeit zum Umsturz bereit. Also müssten diese Leute beschattet werden. Doch für einen Gefährder der höchsten Risikostufe bräuchte es täglich 35 Observanten – wollte man die etwa 44 Top-Gefährder aus dem islamistischen und dem rechtsextremen Feld überwachen, wären etwa 1540 Einsatzkräfte jeden Tag vonnöten. Eine Zahl, die alle Kapazitäten der NRW-Sicherheitsorgane sprengt. Daher nutzen die Ermittler diverse technische Beschatter-Methoden, doch ist nicht sicher, dass die Beamten alles mitbekommen.

19 Rechtsextremisten werden stetig überwacht

Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, führen die NRW-Verfassungsschützer eine Liste von 19 Rechtsextremisten, die stetig überwacht werden. Der Titel des Programms lautet: Personen mit erhöhtem Gefahrenpotenzial und Ansätzen für rechtsterroristische Aktionen. In diesem Katalog steht Sven Skoda weit oben. Der gebürtige Düsseldorfer gilt als einflussreicher Einpeitscher. Der ehemalige Anführer der Kameradschaft Düsseldorf trommelt für den Kampf gegen das System. Im November 2018 verteidigte er als Redner in Bielefeld die verurteilte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck (89). Skoda muss sich vor dem Koblenzer Landgericht wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verantworten.

Als „Aktionsbündnis Mittelrhein“ sollen Skoda und seine Kollegen Aufmärsche und Attacken auf Andersdenkende organisiert haben. Anfang des Jahres wurde er einer von zwei Bundesvorsitzenden der Partei „Die Rechte“. Sein Kompagnon im Bundesvorsitz, Sascha Krolzig (32), muss für 14 Monate in Haft. Der mehrfach Vorbestrafte hatte in einer Dortmunder Kneipe Gäste rassistisch verunglimpft und den verbotenen Hitler-Gruß gezeigt.

Die Splitter-Partei „Die Rechte“ breitet sich laut Staatsschutz von Dortmund-Dorstfeld aus; sie gilt als Sammelbecken verbotener NS-Kameradschaften und militanter Rechter. Die Agitatoren halten den Dortmunder Norden mit Demos in Atem; allein NRW zählt ein Dutzend Filialen. Von 170 stieg die Mitglieder-Zahl laut Verfassungsschutz in 2018 auf 280. Einschüchterung und Bedrohung von Journalisten und Politikern gehören zur Tagesordnung. Schnell sind ein paar Hundert Nazis für Aufmärsche mobilisiert.

Die Kontakte der Spitze reichen nach Ostdeutschland, Ungarn, Russland, Tschechien und Bulgarien. So soll Robin Schmiemann Schießübungen in Osteuropa organisiert haben. Der Dortmunder zählt zur militanten Gruppe Combat 18, die sich als bewaffneter Arm des Neonazi-Netzwerks Blood and Honour versteht. Schmiemann ist einschlägig bekannt. Er saß lange in Haft, weil er bei einem Supermarkt-Überfall einen Kunden mit einem Schuss schwer verletzt hatte. Auch er steht auf der Observationsliste, zudem fiel er als Brieffreund von Beate Zschäpe auf, der Überlebenden der Mörder-Zelle NSU.

Zulauf erhält die Partei „Die Rechte“ laut Behörden durch Martial-Arts-Events. Der Dortmunder Neonazi Alexander Deptolla, ebenfalls auf der Risiko-Liste, mischt offenbar bei der Organisation der braunen Veranstaltungsreihe „Kampf der Nibelungen“ mit. Allein in Olpe-Kirchhunden kamen 800 Nationalisten zusammen.

Die NS-Anhänger arbeiten mit dem faschistischen Netzwerk „White Rex“ aus Russland zusammen. Dessen Anführer Denis Nikitin soll bei einer Veranstaltung klargemacht haben, wer die Welt beherrscht: „Wir sind das weiße Volk.“

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