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70 Jahre BRD: Konrad AdenauerWarum der sittenstrenge Rheinländer Berlin so hasste

Lesezeit 6 Minuten
Konrad Adenauer

Als erster Bundeskanzler hat Konrad Adenauer Deutschland und die BRD ganz besonders geprägt.

  • Vor 70 Jahren trat das Grundgesetz in Kraft – die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland.
  • Zum Geburtstag der Bundesrepublik Deutschland porträtieren wir in einer siebenteiligen Serie Menschen aus NRW, die Zeitgeschichte geschrieben haben.
  • Unsere Serie beginnt mit den 50er Jahren und – natürlich – Konrad Adenauer. Als erster Bundeskanzler amitierte er 14 Jahre.

Köln – Als Konrad Adenauer 1876 geboren wurde, gehörte seine Geburtsstadt Köln zu Preußen, dem weitaus größten Land des gerade fünf Jahre alten wilhelminischen Kaiserreichs. Er selbst war also „Rheinpreuße“. Als der Gründungskanzler der Bundesrepublik 1967 starb, gab es Preußen nicht mehr, nicht einmal (in der früheren DDR) das Land Brandenburg. Das ehemalige Rheinpreußen war im neuen, von den britischen Besatzern geschaffenen Bindestrich-Bundesland NRW aufgegangen – bis auf seine südlichen Teile, die jetzt zum Saarland und zu Rheinland-Pfalz gehörten.

Hat das etwas zu bedeuten, das über das Faktum einer möglicherweise unerheblichen Verschiebung von Landesgrenzen hinausgeht? In Adenauers Fall muss die Antwort lauten: auf jeden Fall.

Eine preußisch geprägte Rheinprovinz

Während sich das preußische Machtzentrum und zugleich das Machtzentrum des Reiches bis zum Ende der NS-Herrschaft in Berlin befunden hatte, verlagerte sich der Schwerpunkt in der neuerstandenen Bundesrepublik an den Rhein – also in das ehemalige Rheinpreußen, das aber zwischen 1815 und 1945 lediglich der westliche Ausläufer – eben die „Rheinprovinz“ – eines auch in seinem Selbstverständnis eben nicht rheinisch, sondern preußisch geprägten Staatswesens gewesen war. Die Strukturgegensätze lagen dabei auf der Hand: Dem agrarischen Osten stand der industriell entwickelte Westen gegenüber, dem dominierenden Protestantismus des „alten“ Preußen die katholisch geprägte Lebenswelt am Rhein.

Konrad Adenauer nun war – diese steile These sei hier gewagt – nichts anderes als die Personifizierung der beschriebenen Machtverschiebung – wie er, vice versa, als Politiker seinerseits von dieser Verschiebung profitierte. Anders formuliert: Im Fall des kirchentreuen Katholiken und ehemaligen Kölner Oberbürgermeisters, dessen Wohnhaus sich in Rhöndorf befand und der seinen Bundestagswahlkreis in der (von ihm selbst über mehr als ein Jahrzehnt dominierten) Bundeshauptstadt Bonn hatte; der seine politische Nachkriegskarriere im wirtschaftlich stärksten und bevölkerungsreichsten Bundesland der neuen Republik begann – in seinem Fall also gelangten persönliches Profil und allgemeine politische Umstände auf bemerkenswerte Weise zur Deckung. Die allgemeinen Umstände – sie eben waren durch die Etablierung eines neuen Machtzentrums im deutschen Westen, am Rhein, bezeichnet.

Ein einflussreicher Politiker

Ein Vergleich mit der Weimarer Zeit verdeutlicht den Unterschied: Adenauer war auch in den 20er Jahren ein einflussreicher Politiker, machte als Kölner Oberbürgermeister einen derart guten und auch überregional so wahrgenommenen Job, dass sogar ein Diktator namens Adolf Hitler den ehemaligen Zentrumsmann als tätigen Mitarbeiter im NS-Staat gewinnen wollte – eine Offerte, die dieser sofort und unter Inkaufnahme schwerer persönlicher Nachteile zurückwies.

Indes: Wenn Adenauer als Präsident des Preußischen Staatsrats nach Berlin fuhr, betrat er stets ein Terrain, das ihm von Herzen fremd, um nicht zu sagen: zuwider war. Die Anekdote, derzufolge er in Deutz (oder je nach dem auch an der Elbe) die Vorhänge im Zugabteil zuzog, um unterwegs nicht die „asiatische Steppe“ sehen zu müssen, hat einen authentischen Kern. Zu Adenauers Preußen-Aversion gehörte auch die Verachtung des eingefleischten Zivilisten für alles Militärische – dass er als Bundeskanzler die Wiederbewaffnung forcierte, hatte mit seiner Deutschlandpolitik zu tun, nicht mit einer persönlichen Disposition.

Lieber Bonn statt Berlin

Die Abneigung gegen Berlin hatte freilich noch einen anderen Grund: Er mochte die Lebensform dieser Stadt einfach nicht: Das „Babylon Berlin“ der 20er Jahre in seiner säkularisiert-vergnügungssüchtigen Leichtigkeit war für den bürgerlich-sittenstrengen Asketen in der Tat ein „Sündenbabel“. So beschreibt es Adenauers Enkel, der Kölner Notar Konrad Adenauer, im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ über seinen Großvater. Er war bei dessen Tod 22 Jahre alt, hatte den Patriarchen also bei den ritualisierten Familienfesten – „fünfmal im Jahr“ – sehr bewusst erlebt und beobachten können.

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Der Vorsitzende des Parlamentarischen Rates und spätere Bundeskanzler brauchte jedenfalls für seine Amtsgeschäfte nicht mehr nach Berlin zu fahren – Bonn lag vor seiner Haustür. Und in gewisser Weise konnte Adenauer im Land Nordrhein-Westfalen die Verwirklichung einer Idee sehen, die ihn bereits in den 20er Jahren umgetrieben, allerdings mit Separatismus (dies ein lange Zeit von Rechts wie von Links erhobener Vorwurf) nichts zu tun hatte: die eines von Preußen abgetrennten, aber eben nach wie vor im Reichsverband verankerten westlichen Reichslandes.

Von seiner Herkunft war Adenauer unstrittig Rheinländer, obwohl man diesen Umstand nicht – und schon gar nicht unbedingt positiv – mythisieren sollte. Der joviale Singsang im Tonfall, die Schlagfertigkeit, auch die zynische Gerissenheit und die gelegentliche Neigung zum Selbstmitleid, dazu eine zutiefst pragmatisch-ideologiefreie Lebenseinstellung – das alles mag man auch im Abstand der Jahrzehnte als „typisch rheinisch“ einschätzen (so man überhaupt eine regional vermittelte Charakterprägung als Tatbestand zu akzeptieren bereit ist). Es paarte sich freilich mit einem unbeugsamen, Gegner jeglicher Couleur gnadenlos an die Wand drückenden Machtwillen, mit zutiefst autoritären Verhaltensmustern, denen die legendäre rheinische Gemütlichkeit durchaus abging.

Grundmisstrauen gegenüber Menschen

Die Frage nach dem rheinischen Anteilen an Adenauers Persönlichkeit beantwortet der Enkel denn auch sehr zurückhaltend: „Seine Pünktlichkeit, sein Fleiß, seine Leistungsbereitschaft und -forderung, die Strenge seiner Amtsführung schon als Kölner OB – diese Eigenschaften waren ja nicht rheinisch, sondern sogar eher preußisch.“ Der Großvater trank und rauchte auch nicht und war, wie jener aus eigener Erfahrung weiß, „überhaupt kein Genießer“.

Hinzu kam Adenauers – durch die Erfahrungen im Dritten Reich noch geschürtes – Grundmisstrauen gegenüber Menschen, das jeden karnevalistisch getönten und zur Verbrüderung neigenden Frohsinn blockierte. So zögert der Enkel auch nicht, auf die Frage, ob der Kanzler einsam war, ein klares „Ja“ zu äußern: „Zwei Ehefrauen waren ihm gestorben, und wirkliche Freunde hatte er kaum.“

Kontaktaufnahmen auch seitens der Familie hatten schriftlich zu erfolgen – „Anrufen war nicht möglich“. Briefe wurden allerdings, so der Enkel, beantwortet. Und Adenauer erschien auch bei Taufen, Erstkommunionfeiern und Begräbnissen. Selbst gegenüber engeren Familienmitgliedern wurde dabei aber stets eine allein körperlich wirksame Distanz gewahrt. Umarmungen, Küsschen rechts und Küsschen links – das alles ging mit dem Kanzler nicht.

Strikte Bindung an die westliche Demokratie

Zweifellos rheinisch determiniert allerdings waren – obwohl diese Behauptung auf Anhieb merkwürdig anmutet – Adenauers politische Koordinaten. Zu ihnen gehörte die Überzeugung, dass das Heil des neuen Staatswesens in einer strikten Bindung an die westlichen Demokratien liege – und das heißt vor allem: in der Verständigung mit dem ehemaligen französischen „Erbfeind“. Weitere Kriege zwischen Deutschland und Frankreich ein für allemal unmöglich zu machen – das war in der Tat einer der zentralen, normativ und nicht primär machtpolitisch gesteuerten, Impulse von Adenauers Politik.

Dass die Wiedervereinigung darüber zum Fixpunkt eines in Sonntagsreden zwar beschworenen, tatsächlich aber auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschobenen Prozesses erstarrte, nahm der Kanzler in Kauf. Seine Sorge, der Westen könne bei entsprechenden Verhandlungen von den Sowjets über den Tisch gezogen werden, war „ehrlich“ – und wohl auch berechtigt. Man musste halt in dieser Sache, das war Adenauers in die Öffentlichkeit hinein nicht leicht zu vermittelnde Überzeugung, einen langen Atem haben.

Die deutsche Zweistaatlichkeit aber hatte aus seiner Sicht auch Vorteile für die eigene Situation: Eine Wiedervereinigung hätte den in der alten Bundesrepublik kulturell dominierenden Katholizismus erneut in eine Minderheitenposition gebracht, und an den traditionell die Arbeiterparteien bevorzugenden Gebieten in Thüringen und Sachsen war ihm im Interesse des Machterhalts seiner Partei einstweilen wohl auch nicht übermäßig gelegen.

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