AfD-AussteigerinPetrys Alternative zur Alternative ist die „Blaue Wende“

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Petry Die Blauen

Frauke Petry gibt den Startschuss für ihr neues Bürgerforum „Blaue Wende“.

Rodgau – Gegen Mittag zieht Frauke Petry plötzlich ein blaues Plastikschwein unter dem Tisch hervor. In die Spardose sollen die Besucher des ersten „Bürgerforums“ ihrer neuen „Blauen Partei“ Spenden einwerfen. Rund 50 Interessenten sind am Samstag in ein Konferenzhotel im Industriegebiet in Nieder-Roden, rund 30 Kilometer von Frankfurt entfernt, gekommen: Petry und ihr Mann Marcus Pretzell werben dort für ihr neues rechtspopulistisches Projekt nach ihrem AfD-Austritt vor einigen Wochen.

Sie werben um Unterstützer, um Spenden fürs Sparschwein – aber nicht um Parteimitglieder. Denn die „Blaue Partei“ selbst ist nur ein „notwendiges Übel“ um bei Wahlen antreten zu können, erklärt Pretzell, der für die AfD in den nordrhein-westfälischen Landtag und ins Europäische Parlament gewählt wurde. Die „inhaltliche Arbeit“ solle in der „Blauen Wende“ ihren Platz haben, einem niedrigschwelligen „Bürgerforum“. So wolle man Menschen gewinnen, die nie in eine Partei eintreten würden. Auf den Listen sollen auch Externe kandidieren.

Petry inspiriert von Macron

Das Duo will sich mit der als Bewegung inszenierten Organisationsform ausdrücklich an dem Modell des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem des österreichischen Wahlsiegers Sebastian Kurz orientieren. Weil nicht jeder sofort in die Partei eintreten dürfe, beschreibt Petry diese Konstruktion als „Firewall“ gegen „Glücksritter“ oder Verschwörungstheoretiker. Die „Blaue Wende“ habe eine „sehr geringe Barriere zum Rauswurf“, kündigt die ehemalige AfD-Chefin an – eben weil sie keine Partei ist. Nicht gleich jeden aufnehmen, sei eine Erfahrung aus der AfD-Zeit.

Klar ist aber auch: Nur Parteimitglieder haben Stimmrechte, wenn es etwa um Posten geht. Der Gedanke drängt sich auf, dass hier auch aus einer anderen AfD-Erfahrung Konsequenzen gezogen werden: Nachdem Petry zweimal erlebt hat, wie schnell Vorsitzende aus der eigenen Partei gedrängt werden können, will sie wohl verhindern, dass es ihr noch einmal so geht, wie AfD-Gründer Bernd Lucke, den sie 2015 noch mit zu Fall brachte.

Abrechnung mit deutschem Parteiensystem

In dem kleinen, stickigen Konferenzraum wird am Samstag grundsätzlich mit dem deutschen Parteiensystem abgerechnet. Über Listenplätze entschieden letztlich Klüngel und nicht Kompetenz, sagt Pretzell. Wie genau aber Inhalte aus der „Blauen Wende“ verlässlich in die „Blaue Partei“ übersetzt werden sollen, bleibt undurchsichtig. „Wie soll es denn jetzt funktionieren?“, will nicht nur ein Zuhörer wissen. Eine präzise Antwort gibt es nicht, dennoch nehmen etliche später Flyer mit, schütteln Petry die Hand. Gekommen sind nach eigenen Angaben auch noch aktive AfD-Mitglieder, ein ehemaliger SPDler meldet sich zu Wort und der stellvertretende Vorsitzende der Freien Wähler NRW, Henning Rehse. Petry und Pretzell haben zudem die hessische Autorin Katja Schneidt gewinnen können.

Kritik gibt es am Samstag kaum aus dem Publikum, Aufbruchstimmung kommt aber auch nicht auf. Man habe absichtlich dafür gesorgt, dass ein „überschaubarer Kreis“ zusammenkommt, sagt Pretzell. Das Treffen wurde nicht öffentlich beworben – und war zeitgleich zum hessischen AfD-Landesparteitag angesetzt. Reiner Zufall, sagt Petry.

Gegen Asylrecht, gegen Abtreibungen, gegen den Islam, für Grenzkontrollen

Pretzell Petry Die Blauen

 Marcus Pretzell (l.), Frauke Petry und Michael Muster (r.) in Rodgau

Inhaltlich sehe sich die „Blaue Partei“ selbst vor allem als konservativ, aber auch als bürgerlich-liberal, sagt Petry. Auch das „christlich-konservative Potenzial“ wolle man ausschöpfen. Ein knappes Kurzprogramm hat die im September gegründete Partei bereits online gestellt.

Viele der Positionen sind von der AfD bekannt: Asyl soll vom Grund- zum „Gnadenrecht“ werden, man ist gegen Abtreibungen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den Islam in seinem „politischen Anspruch“ und für „umfassende Grenzkontrollen“. Den Mindestlohn lehnen die „Blauen“ hingegen ab und geben sich marktliberal. Ihrer alten Partei wirft Petry im Gespräch nicht nur deren vermeintlich linkes Wirtschaftsprogramm vor, sondern auch, durch die „Verniedlichung der NS-Diktatur“ bürgerliche Wähler verschreckt zu haben.

Sie distanziere sich auch vom „Ethnopatriotismus“ der AfD, wie sie die völkisch-nationalistischen Aussagen ihrer früheren Mitstreiter nennt. Man setze sich für kulturelle „Identitätsbewahrung auf der europäischen Ebene“ ein, denn mit Franzosen oder Polen habe man viel gemein, mit Menschen aus Afrika und dem Mittleren Osten eher weniger.

100 Mitglieder zugelassen

Nach Angaben des Parteivorsitzenden Michael Muster habe man rund 100 Mitglieder zugelassen, etwa die Hälfte kämen von der AfD. Das nächste Ziel: Die sächsische Landtagswahl 2019. Bei der Bundestagswahl hatte Petry dort in der Sächsischen Schweiz ein Direktmandat errungen – allerdings als AfD-Kandidatin. Auch bei der Europawahl wolle man 2019 antreten, nicht zuletzt weil es keine Fünf-Prozent-Hürde gibt. Ob die Partei an den Landtagswahlen in Bayern und Hessen nächstes Jahr teilnimmt, sei noch ungewiss.

Die Bundestagswahlen 2021 sieht Pretzell als „Schicksalswahl“. Bis dahin will Petry das Parlament als „Bühne für Öffentlichkeitsarbeit“ nutzen. Auch eine dritte AfD-Erfahrung dürfte sie im Hinterkopf haben: Wie schnell man in der Bedeutungslosigkeit verschwinden kann, auch das hat Lucke vorgemacht.

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