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Albertus-Magnus-Professor im Interview„Europas Niedergang ist unvermeidlich“

Lesezeit 8 Minuten
Achille Mbembe

Achille Mbembe ist Inhaber der Albertus-Magnus-Professur 2019

  • Achille Mbembe wurde in Kamerun geboren und lehrt in Johannesburg Philosophie.
  • Für sein zentrales Werk „Kritik der schwarzen Vernunft“ wurde er 2015 mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet.
  • Im Interview spricht er über die Vorreiterrolle Europas und dessen Probleme, Herausforderungen für die Demokratie und Kants Vision eines Weltstaates.

Köln – Professor Mbembe, ist Europa als der Geburtsort der universalen Menschenrechte heute noch ein Vorbild?

Achille Mbembe: Europa hat schon immer eine Doppelgesichtigkeit besessen. Es gab immer die helle und die dunkle Seite Europas, hier Demokratie und Freiheit, dort Kolonialismus und Sklaverei. Europas Vernunft entwickelte eine Arroganz sich selbst gegenüber, indem sie die Eroberung anderer Länder und die Unterwerfung von Menschen rational zu rechtfertigen versuchte.

Dabei setzte Europa stets voraus, dass diese Menschen irrational seien. Nur sie selbst waren unzweifelhaft mit dem Licht der Vernunft gesegnet. Europa war einer der vielen Orte, an denen sich Begriffe wie Menschenrechte oder Vernunft entwickelten, aber gewiss nicht der einzige.

Zur Person

Achille Mbembe (60) wurde in Kamerun geboren und lehrt in Johannesburg Philosophie. Für sein zentrales Werk „Kritik der schwarzen Vernunft“ wurde er 2015 mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet. Mbembe ist Albertus-Magnus-Professor 2019. Er ist Gast des Africologne-Festivals in Köln, das bis zum 30. Juni stattfindet mit zahlreichen Theater- Tanz- und Diskussionsveranstaltungen statt. In dessen Rahmen spricht Achille Mbembe am 22. Juni von 10 bis 16 Uhr mit Künstler*innen aus verschiedenen afrikanischen Ländern und Deutschland, im Depot 1 des Schauspiel Köln, Eintritt frei. www.africologne-festival.de

In Ihrem Essay „Sortir de la grande nuit“ beschreiben Sie eine Zeit, in der Sie nach Paris zum Studium kommen, die Museen, die Kultur, die großen Philosophie-Lehrer. Trotzdem fühlten sie die Dunkelheit hinter der kulturellen Schönheit. Ist das die andere Seite der Aufklärung?

Ja, das ist der andere Part des Projekts der Aufklärung. Sie hat die beiden Gesichter: ein dunkles und ein helles. Das helle Gesicht ist in unserer Zeit durch Stammesdenken und dunkle Kräfte gefährdet.

Die Wahrheit gilt nicht länger als das, was wir glaubten und uns befreite. Es gab immer schon diese andere Seite. Europas Unvernunft zeigte sich immer dann, wenn es mit anderen Menschen oder Kulturen zu tun hatte.

„Du gibst Menschen die Schuld, die schwächer sind als du.“

Nun erleben wir in Europa erneut das Ende eines rationalen Diskurses. 

Vielleicht nicht gleich sein Ende. Eher ist es ein eigentümlicher Prozess. Auf der einen Seite wird Rationalität in Instrumentalität überführt, in alle Arten technischer Objekte, die nun, vom Gesichtspunkt einer instrumentellen Vernunft betrachtet, durch Algorithmen deutlich effizienter und leistungsfähiger sind als die Menschen.

Zugleich wächst das Bedürfnis nach Mythen und Mythologien, ein Wunsch nach allen Arten von Geschichten. Es ist auffallend, dass die Menschheit nicht ohne Mythologien leben kann. Dieses tiefe Bedürfnis nach Geschichten geht Hand-in-Hand mit der Technologisierung unserer Gesellschaften.

Der Hype um die Technologie verlangt vor allen Dingen nach Mythologien, die ein Feindbild der Abgrenzung von anderen in sich tragen: Sie sind nicht wie wir. Die Gefahr ist , dass sie nicht dazu dienen, neue Beziehungen zu anderen Menschen oder Kulturen aufzunehmen, sondern diese gerade zu verhindern.

In einer Zeit, in der globale Unternehmen über sie bestimmen, suchen die Menschen nach Schuldigen?

Du gibst Menschen die Schuld, die schwächer sind als du. Die Brutalisierung zielt nicht auf die Mächtigen ab, sondern auf die, die schwächer sind als wir.

„Mit Feinden verhandelt man nun einmal nicht.“

Der Rassismus nimmt wieder zu auf der Welt, lange Zeit glaubte man, den Begriff der Rasse überwunden zu haben.

Er kehrt durch Genetik und Technologie mit Wucht zurück. Das ist eine große Gefahr! Es ist sogar viel gefährlicher als der frühere Begriff des Rassismus. Es gibt immer noch primitive Formen des Rassismus, wenn man ins Stadion geht, werden schwarze Spieler immer wieder mit Affenlauten bedacht oder mit Bananen beworfen.

Doch die gefährlichste Form des Rassismus in unseren Tagen ist, dass durch Genetik und Biotechnologie die Konzepte von Klassifizierung und Differenzierung wieder aufleben. Ich denke da an Gesichtserkennung und alle Vorrichtungen, durch die wir Menschen identifizieren können. Damit wird die Gefahr einer weltweiten Apartheidisierung greifbar. Mit Feinden verhandelt man nun einmal nicht.

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Die Folge davon ist die Einschränkung der Bewegungsfreiheit?

Sie ist es. Wir haben es mit Menschen, die verzweifelt sind und für die die Grenze ein tödlicher Ort wird. Und diese Veränderung der Grenze von einem Ort des Handels zu einem Ort des Todes ist vollkommen neu.

Die Welt wird immer kleiner, und wenn man sich klar macht, wie klein unser Planet ist, und wie seine Zerstörung zu einer Flut von Flüchtenden geführt hat, die aus Orten des Desasters zu entkommen versuchen, erkennt man den Skandal, der sich an den Südküsten Europas abspielt.

„Wo wir geboren werden ist reiner Zufall.“

Sie haben sich selbst als Passant beschrieben und die Menschen als Passanten beschrieben, die von Ort zu Ort ziehen. Zugleich werden in Europa die Mauern hochgezogen.

Wir wohnen hier nicht bis in alle Ewigkeit. Wir sind provisorische Bewohner der Erde. Es gibt einige grundsätzliche Dinge, die wir nicht wählen können. Wir können uns zum Beispiel nicht unsere Eltern aussuchen. Wir können weder den Zeitpunkt noch den Ort unserer Geburt auswählen. Wo wir geboren werden ist also reiner Zufall.

Wenn wir diese Annahmen ernst nehmen, müssen wir feststellen, dass die Formen der Zugehörigkeit doch sehr eingeschränkt sind. Eine fundierte philosophische Definition von Zugehörigkeit muss die ontologische Tatsache mitbedenken, dass wir nur für eine bestimmte Zeit hier sind, dass unsere Berufung das Verschwinden ist.

Die Staatsbürgerschaft, die in der heutigen Welt unsere grundlegende Form der Zugehörigkeit darstellt, ist da eine sehr eingeschränkte Art der Zugehörigkeit. Wenn wir die Welt demokratischer gestalten wollen, müssen wir eine größere Auswahl an Formen der Zugehörigkeit ermöglichen. Leider bewegt sich die Welt gerade in die entgegengesetzte Richtung, zu immer strengeren Formen des Nationalismus.

Ich predige also in der Wüste. Es ist ein aussichtsloser Kampf, aber jemand muss an diese Dinge erinnern, in der Hoffnung, dass wir in der Zukunft wieder etwas vernünftiger werden.

„Das fundamentale Recht, an die Tür zu klopfen.“

Sie träumen von einer Weltregierung, wie sie Kant vorgeschlagen hat.

Kant hat sie sich vorgestellt. Kant hatte auch einige faszinierende Gedanken zum Recht eines jeden Erdenbürgers, alle Gegenden dieser Welt zu besuchen. Das sei ein universelles Recht. Es besteht allerdings kein solches Recht darauf, Mitglied einer bestimmten Gemeinschaft zu werden. Nur der Besuch muss möglich sein. Natürlich gibt es in unserer Welt leider kein solches Besuchsrecht.

In Deutschland nannte man die Menschen, die aus Italien, Griechenland oder der Türkei als Arbeitskräfte angeworben wurden, Gastarbeiter. Heute bedauert man, die Chance zur Integration verpasst zu haben. Kann ein Recht auf Besuch da ausreichen?

Das fundamentale Recht, ist das Recht, an die Tür zu klopfen. Niemand auf der Welt sollte, wenn er oder sie sich bedroht fühlen, davon abgehalten werden, von dieser Gefahr zu fliehen. Dieses Prinzip und das, um Einlass zu bitten, müssen wir hochhalten.

Wenn sie sagen, komm herein, müssen sie über die Regeln der Gemeinschaft sprechen, über die Bedingungen für den Schutz, den sie gewähren. Aber was heute bedroht ist, ist das Recht von Menschen, an die Tür zu klopfen. Deshalb kommt der Frage des Asyls bei der Zukunft einer menschenwürdigen Gesellschaft eine Schlüsselrolle zu.

Wenn das Recht auf Asyl aufgegeben wird, hat die Menschheit einen Riesenschritt rückwärts gemacht. Ich denke, wir müssen an der Idee der menschlichen Gemeinschaft festhalten. Und diese Gemeinschaft benötigt eben fundamentale Gesetze, die das, was wir als Menschen erstreben, beschützen.

„Eine scheinbar aussichtslose Sache kann zu einer siegreichen werden.“

Sie haben sich eben als jemand beschrieben, der einen aussichtslosen Kampf kämpft…

… ja, aber ich bin ja nicht der einzige und wir brauchen Stimmen, die uns an fundamentale Rechte erinnern, auch wenn es in diesem Augenblick keine Chance gibt, diese Rechte durchzusetzen.

Aber Sie haben doch sicher auch darüber nachgedacht, wie man ein aussichtsloses Anliegen in ein mögliches verwandeln könnte?

Ja, doch. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. In Afrika gibt es 54 Staaten, das bedeutet ein Labyrinth aus Grenzen. Vor 15 Jahren brauchten sie, mit Ausnahme Westafrikas, ein Visum für jeden einzelnen dieser Staaten.

Deswegen hatten einige von uns die Idee, dass man es Menschen mit einem afrikanischen Pass ermöglichen sollte, ein Visum mit Eintritt ins jeweilige Land zu erhalten. Das galt anfangs auch als aussichtslose Sache. Aber inzwischen haben bereits 27 Staaten ein Abkommen unterzeichnet, das ein solches Visum bei Ankunft ermöglicht. Eine scheinbar aussichtslose Sache kann also zu einer siegreichen werden.

„Die Menschheit hat Europa fraglos viel zu verdanken.“ 

Halten Sie als Afrikaner die Herabstufung Europas für eine gute Sache?

Sie ist unvermeidlich. Ob das eine gute, oder eine schlechte Sache ist, steht zur Diskussion. Aber es passiert so und so. Natürlich ist Europa damit nicht glücklich, aber hoffentlich für diese Herabstufung dazu, dass sich Europa zu anderen Formen des Umgangs mit dem Rest der Welt entschließen wird.

Die Menschheit hat Europa fraglos viel zu verdanken. Wir wären nicht, wer wir heute sind, ohne die Beiträge Europas. Die will ich gar nicht schmälern. Aber wir sollten in diesen Beiträgen die Dinge ausfindig machen, von denen alle profitieren können. Europa muss sich umgestalten, um sein eigenes Versprechen zu erfüllen. 

Kann es sein, dass es gerade in den reichen Ländern ein zynisches Bewusstsein dafür gibt, dass andere die schlimmsten Folgen des Klimawandels tragen werden?

Die sollten jedenfalls besser schnell aufwachen. Natürlich werden die Armen den größeren Preis zahlen. Das machen sie leider immer, wenn solche Verheerungen stattfinden. Aber im Falle der ökologischen Transformation unserer Erde wird es niemanden geben, der verschont bleibt.  

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