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Alles nur eine Verschwörung?Warum die Corona-Krise abstruseste Theorien wuchern lässt

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Unwahrheiten über das Corona-Virus verbreitet nicht zuletzt auch der amerikanische Präsident Donald Trump selbst.

  • Wurde das Coronavirus von den Demokraten in den USA geschaffen, um Donald Trump die Wiederwahl zu kosten? Das ist eine der harmlosen Verschwörungstheorien, die derzeit ins Kraut schießen.
  • Ein Gespräch mit mehreren Experten über das Phänomen und die Ursachen, warum solche wüsten Theorien gerade populärer sind denn je.

Eine Verschwörungstheorie bietet eine bestimmte Art von Erklärung für zeitgenössische oder historische Ereignisse an. Sie behauptet, nichts geschehe durch Zufall, alles sei geplant. Irgendwo im Geheimen gebe es eine Verschwörergruppe, die die Strippen in den Händen halte und die Geschehnisse auf der Welt orchestriere. Eine Verschwörungstheorie geht davon aus, dass nichts so ist, wie es scheint.

Auch in Corona-Zeiten sind solche Verschwörer-Munkeleien längst kein gesellschaftliches Randphänomen mehr. Vielmehr landet der Irrsinn immer häufiger in der Schlange vor der Bäckerei oder über die raunende Tante in der WhatsApp-Gruppe oder in so mancher Facebook-Gruppe.

Alle möglichen Verschwörungstheorien, die vorher schon herumgeisterten, bekommen in der Corona-Pandemie einen neuen Anstrich. Allerdings ist die Annahme, Verschwörungstheorien würden die Komplexität der Gegenwart reduzieren,so nicht ganz richtig. Das stimmt zwar, indem sie etwa die Welt in Gut und Böse aufteilen. Um diese vermeintliche Zweiteilung der Welt darstellen zu können, müssen Verschwörungstheorien aber sehr komplizierte Erzählbewegungen vollführen und allerhand Verbindungen konstruieren, um die Behauptung vom einen großen Plan glaubwürdig zu machen.

Der Amerikanist Michael Butter schrieb in seinem Buch „Nichts ist, wie es scheint“ (Suhrkamp-Verlag), dass Verschwörungstheorien schlecht erforscht seien. Das gelte besonders für Deutschland, aber auch für die USA. „Das liegt vermutlich vor allem daran, dass dieser Forschungsgegenstand lange Zeit etwas Anrüchiges hatte. Man dachte auch lange, Verschwörungstheorien seien unwichtig, weil angeblich kaum jemand an sie glaubte. Das Thema wurde geradezu hinausgeschrieben aus der klassischen Forschung. Der Aufsatz, auf den über viele Jahre und Jahrzehnte immer wieder verwiesen wurde, war The Paranoid Style in American Politics des US-Historikers Richard Hofstadter aus dem Jahr 1964. Der Text enthält zwei wesentliche Thesen: Erstens seien Verschwörungstheorien eine Form von Paranoia, zweitens hätten die in den USA immer nur eine Nebenrolle gespielt. Damit ließ sich das Thema beiseiteschieben“, sagt Butter.

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„Je nach Umfrage kommt man in Deutschland auf fast die Hälfte der Bevölkerung, die an mindestens eine Verschwörungstheorie glaubt. Fragt man genauer nach, an was da geglaubt wird, sinkt der Anteil. Aber es geht um einen signifikanten Anteil an der Bevölkerung. Mittlerweile ist man sich auch sicher, dass Verschwörungstheorien früher deutlich einflussreicher waren als in der Gegenwart. Der Begriff »Verschwörungstheorie« ist halt auch relativ neu.“

Zum Beispiel blüht die seit Jahren unter dem Stichwort „Pizzagate“ kolportierte Geschichte wieder auf, nach der im Keller einer Pizzeria in Washington Kinder als Sklaven gehalten werden. Die Clintons hätten ihre Finger im Spiel, ebenso Hollywood-Stars und Bankiers. Im Grunde geht es darum, dass ein Geheimbund im Hintergrund die Fäden in der Hand hält, der sogenannte „Deep State“. Hinter dieser These steht die sogenannte „QAnon“-Bewegung aus den USA, die in den dunklen Ecken des Netzes mit anonymer Stimmungsmache ihr Gift verteilt.

Als Kanzlerin Angela Merkel sich in Quarantäne begeben musste, da sie mit einem Arzt in Kontakt war, bei dem eine Infektion mit dem Coronavirus festgestellt worden war, hieß es, in Wahrheit sei Merkel verhaftet worden wegen ihrer Beteiligung an „Pizzagate“. Dass dies völliger Unsinn war, hätte jedem klar sein müssen, als Merkel wieder öffentliche Auftritte hatte. Für Anhänger von Verschwörungstheorien ist das jedoch anders.Sie basteln Hilfsannahme auf Hilfsannahme, um weitere Phänomene in ihrer Weltsicht einzubetten. Man kann solche Aussagen zwar widerlegen, das ganze Konstrukt bleibt dennoch bestehen. Es geht bei Verschwörungstheorien nun einmal nicht um einzelne Behauptungen, sondern um das Ganze, das im Geheimen passiert. „Es gibt mehr Verschwörungstheorien zum Coronavirus als man zählen kann, dass es das Virus überhaupt nicht gibt, dass das eine Chimäre ist, die dazu dient, China wirtschaftlich zu schaden, dass der Virus von den Demokraten in den USA geschaffen wurde, um Donald Trump die Wiederwahl zu kosten, dass der Virus von den internationalen Eliten in den Umlauf gebracht wurde, um zum großen Austausch in Europa beizutragen“, sagt Butter.

„Grob gesprochen waren Verschwörungstheorien in der Geschichte der Menschheit lange Zeit der offizielle Diskurs. Auch in der westlichen Welt und bis in das 20. Jahrhundert hinein. Letztlich gründete der Nationalsozialismus auf der in ihren verheerenden Auswirkungen monströsesten Verschwörungstheorie der Weltgeschichte. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind Verschwörungstheorien delegitimiert und stigmatisiert worden. Sie sind damit aus der Mitte der Gesellschaft an den Rand gedrängt worden“, erklärt Butter.

„Früher geriet man als Anhänger von Verschwörungstheorien in die soziale Isolation, weil die Leute um einen herum für Quatsch erklärten, woran man da glaubte. Heute muss man nur online gehen und findet Tausende Menschen, die einem sagen: Du hast recht, du gehörst zu uns, alles ist so, wie du denkst. Schon ist ein neues Mitglied einer Teilöffentlichkeit gewonnen“, erklärt der Buchautor.

Jüngst wurden Mobilfunk-Sendemasten in Brand gesteckt, weil einige der Lüge glauben, die 5G-Strahlung sei für den Corona-Ausbruch verantwortlich. Das Verhängnisvolle: Was die einen als albernes Hirngespinst belächeln, ist für andere voller Ernst.

„Gut“ gegen „Böse“, „Wir“ gegen „Die“. Gerade Rechtsextreme nutzen Verschwörungstheorien, um vermeintlich Schuldige zu finden. Etwa bei der rassistischen Vorstellung, die westliche Welt werde angeblich überrannt von Menschen aus islamisch geprägten Ländern – und die Gesellschaft dabei radikal ausgetauscht. Resultate einer solchen Ideologie sind etwa der Mord an CDU-Politiker Walter Lübcke oder die Attentate von Halle, Hanau und Christchurch.

Überzeugte Verschwörungstheoretiker kann man mit Fakten und Erklärungen nicht greifen, glaubt Butter. Verschwörungstheorien würden insbesondere diejenigen Menschen ansprechen, die schlecht mit Unsicherheit und Ambivalenz umgehen können. „Mit diesen Leuten stimmt eigentlich alles. Diese Leute sind nicht unbedingt psychisch krank. Das hat man früher geglaubt. Das stimmt aber nicht. Verschwörungstheorien sind viel zu weit verbreitet, als dass man das als Paranoia oder Psychose abtun könnte, auch wenn das jetzt im Fall von Hanau wirklich eher so der Fall war als eine klassische Verschwörungstheorie. Diese Leute suchen Erklärungen.“

Es gibt also keinen hoffnungsfrohen Schluss, dass Verschwörungstheorien irgendwie verschwinden könnten?

„Nein. Ich glaube nicht, dass wir da rauskommen. Die Verschwörungstheorien werden nicht weggehen“, glaubt Butter.

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