Analyse der NRW-WahlEs gibt eine vergessene Siegerin

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Merz und Wüst

CDU-Chef Friedrich Merz (l.) applaudiert dem NRW-Wahlsieger Hendrik Wüst.

Köln – Als Meinungsforscher weist Forsa-Chef Manfred Güllner nach wichtigen Wahlen gern auf eine große, vergessene Gruppe hin: die „Partei der Nichtwähler“. Tatsächlich bringt sie regelmäßig mehr Menschen hinter sich als jede der politischen Parteien.

Auch in der NRW-Landtagswahl vom Sonntag, so Güllner in seiner Analyse des Ergebnisses, war die „Partei der Nichtwähler“ mit 44,9 Prozent und einem Plus von 85,5 Prozent im Vergleich zu den 24,2 Prozent Nichtwähler-Anteil bei der Bundestagswahl im September 2021 „der größte Gewinner“. Und das sogar im historischen Maßstab: 5,82 Millionen Nichtwähler – eine so große Zahl gab es zuvor in keiner Landtags- oder Bundestagswahl in NRW.

Nur der CDU gelang die Mobilisierung ihrer Wähler

Den Erfolg der CDU führt Güllner in erster Linie darauf zurück, dass es ihr als einziger Partei gelang, zur Landtagswahl genau so viele Wähler zu mobilisieren wie zur Bundestagswahl im vorigen Herbst. Alle anderen Parteien mussten hingegen einen Wählerschwund hinnehmen (siehe Grafik). „Selbst die als großer Sieger gefeierten Grünen erhielten fast 290.000 Stimmen weniger als in der Bundestagswahl – ein Wählerschwund von 18 Prozent“, rechnet Güllner vor.

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Am schlimmsten traf es FDP und Linke. Aber auch die SPD musste Stimmenverluste in erheblichem Maße hinnehmen: 33,5 Prozent oder 975.000 Stimmen büßten die Sozialdemokraten ein.

Wähler handeln und entscheiden auf der Zeitachse

Dass Güllner als Bezugsgröße die vorige Bundestagswahl und nicht zuerst die Landtagswahl von 2017 heranzieht, erklärt der Demoskop mit Wählerpsychologie: „Die Bürgerinnen und Bürger handeln und entscheiden auf der Zeitachse von Wahl zu Wahl. Sie wissen, für welche Partei sie zuletzt gestimmt haben und überlegen dann vor der nächsten Wahl, ob sie hingehen und erneut so abstimmen werden oder anders.“

Gemessen am Zuspruch aller Wahlberechtigten relativiert sich für Güllner auch der von den NRW-Grünen als „Auftrag für eine konsequente grüne Politik“ reklamierte Wählerwille: 90 Prozent der Wahlberechtigten hätten der Öko-Partei diesen Auftrag eben nicht erteilt. „Auch in Nordrhein-Westfalen sind die Grünen somit weit davon entfernt, eine »Volkspartei« zu sein, die von allen Bevölkerungsschichten gewählt wird.“ Sie blieben – ablesbar auch an den sieben Wahlkreisen mit grünem Direktmandat – „eine Klientelpartei für die oberen Bildungs- und Einkommensschichten im Umfeld des öffentlichen Dienstes sowie von Bildungseinrichtungen in den urbanen Metropolen und Universitätsstädten“.

Düsterer Befund für die Volksparteien CDU und SPD

Für die bisherigen sogenannten Volksparteien CDU und SPD fällt der Befund des Forsa-Chefs ähnlich düster aus. Ihre Bindekraft schwindet zusehends. Gaben Anfang der 1980er Jahre fast 80 Prozent aller Wahlberechtigten der CDU oder der SPD ihre Stimme, waren es in der Wahl am Sonntag nur noch 34,4 Prozent. Das einstige Wählerpotential von CDU und SPD ist somit in vier Jahrzehnten um mehr als die Hälfte geschrumpft.

Güllner warnt in seiner Analyse vor zwei gängigen Lesarten des Ergebnisses vom Sonntag. So sei die These, wonach die schwarz-gelbe Landesregierung „abgewählt“ worden sei, doppelt trügerisch: Erstens dächten Wählerinnen und Wähler nicht – wie politische Akteure oder Medienleute – in Koalitionsarithmetiken. „Sie wählen keine Regierung oder Koalition, sondern Parteien.“ Zweitens hätten die „Ampel-Parteien“ SPD, Grüne und FDP im Vergleich zur Bundestagswahl zusammen deutlich mehr Stimmen (1,97 Millionen / 35,1 Prozent) verloren als die bisherigen Düsseldorfer Koalitionäre CDU und FDP (726 000 Stimmen / 19,4 Prozent).

Keine „kleine Bundestagswahl“

Auch der Titulierung der NRW-Wahl als „kleine Bundestagswahl“ kann Güllner auf Basis der Zahlen wenig abgewinnen. „Die Meinung, dass Landtagswahlen immer ein „Stimmungstest“ für die Bundespolitik seien, ist leider unausrottbar, entbehrt aber jeder Grundlage.“ Vielmehr hätten die Menschen auch am vorigen Sonntag in NRW ihr Urteil über den Zustand der Landesparteien gefällt – „mit nur geringen bundespolitischen Einflüssen“.

Güllner macht das insbesondere am ausgeprägten „Landes-Bonus“ der CDU fest. „Ihr Sieg ist also mitnichten ein Erfolg für Parteichef Friedrich Merz in Berlin, sondern ein Votum für die NRW-CDU mit Hendrik Wüst.“ Die NRW-SPD wiederum sei „dafür abgestraft worden, dass sie über Jahre und fast Jahrzehnte hinweg ihre einstige Verankerung in der Wählerschaft durch eine an ideologischen Normen orientierte Politik verloren hat“, so Güllner.

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Wäre am Sonntag nicht der Landtag, sondern der Bundestag neu bestimmt worden, wäre das Wahlergebnis signifikant anders ausgefallen: Die CDU hätte laut „Trendbarometer“ von RTL/n-tv nur 29 Prozent der Stimmen bekommen, die SPD in etwa gleich viele. Die Grünen wären auf ein Rekordergebnis von 24 Prozent geklettert.

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