K-Frage der GrünenWo Baerbock und Habeck ihre Stärken und Schwächen haben

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Köln – Bei den Grünen steht eine Premiere an: Erstmals in ihrer gut 40-jährigen Geschichte treten sie bei der Bundestagswahl im September mit dem Anspruch an, das Kanzleramt zu erobern. Die beiden Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck haben sich zur Kanzlerkandidatur bereiterklärt. Die sonst so diskussionsfreudige Partei hat es den beiden überlassen, die Frage zu entscheiden. Anders als bei der Union verlief der Prozess weitgehend geräuschlos, nicht einmal die Kriterien für die Entscheidung wurden kommuniziert. Am Montag soll nun die Personalie verkündet werden – eine Kandidatur Baerbocks gilt als wahrscheinlicher. Vorab stellen die Grünen klar: Bei einem „Spitzenduo“ soll es bleiben, egal, wer an die oberste Stelle rückt. Ein Überblick über die Profile der beiden Bewerber.

Biografie

Annalena Baerbock: Sie wolle „nicht die Frau an Roberts Seite“ sein, so hat Annalena Baerbock 2018 ihre Kandidatur für den Parteivorsitz eingeleitet. Sie setzte sich gegen die Kandidatin des linken Parteiflügels durch, obwohl sie wie Habeck dem Realo-Flügel zugerechnet wird. Seit vier Jahren war sie da Bundestagsabgeordnete und klimapolitische Sprecherin ihrer Fraktion, hatte für die Grünen die dann gescheiterten Jamaika-Koalitionsverhandlungen mitgeführt.

Nach ihrem Parteieintritt 2005 arbeitete die Völkerrechtlerin mit einem Abschluss an der London School of Economics als Referentin einer Europaabgeordneten und dann im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik der Grünen-Bundestagsfraktion. 2009 wurde sie Vorsitzende des Landesverbandes Brandenburgs. Die Partei mit ihren Verästelungen kennt sie gut – sie war über Jahre Mitglied der Antragskommission, die die Parteitage vorbereitet.

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Die 40-jährige Niedersächsin, Mutter zweier Töchter im Grundschulalter, lebt mit ihrer Familie in Potsdam. Sie tritt bei der Bundestagswahl im selben Wahlkreis wie SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz an. In ihrer Jugend war Baerbock Leistungssportlerin. Ihre Disziplin: Trampolinspringen.

Robert Habeck: Schon bei der Wahl 2017 wollte Habeck als Spitzenkandidat der Grünen antreten, damals ging es noch nicht ums Kanzleramt. Die Partei entschied sich für Cem Özdemir. Es war eine Bremse für einen steilen Aufstieg, der den promovierten Philosophen vom Parteieintritt 2002 und dem gleich darauffolgenden Kreisvorsitz über den Landesvorsitz in Schleswig-Holstein ab 2004, den Fraktionsvorsitz im Landtag und ab 2012 in die Landesregierung in Kiel geführt hatte. Sechs Jahre war er dort Umwelt- und Agrarminister und Vize-Regierungschef, in Koalitionen mit der SPD und der dänischen Minderheit zunächst, dann mit CDU und FDP.

2018 übernahm Habeck gemeinsam mit Annalena Baerbock den Bundesvorsitz seiner Partei. Neben seinem Politiker-Leben schreibt der 51-Jährige, der vier erwachsene Söhne hat und nahe Flensburg wohnt, auch Bücher: Krimis, Sach- und Jugendbücher. Sein jüngstes Kinderbuch, verfasst mit seiner Frau Andrea Paluch, trägt den Titel „Kleine Helden, große Abenteuer“.

Politische Position

Baerbock: Beide Parteichefs werden dem Realo-Flügel der Partei zugerechnet, gelten aber als so gemäßigt, dass bislang auch der linke Flügel mit ihnen leben kann. Manchmal habe sogar der Realo-Flügel mehr zu schlucken gehabt, heißt es dort. Baerbock kümmert sich um Familien- und Bildungspolitik – in der aktuellen Corona-Lage hat sie immer wieder Konzepte für Schulunterricht und Kita-Betreuung eingefordert.

Auch im Grünen-Kernthema Klimapolitik ist sie Fachfrau: In der Fraktion war sie über Jahre dafür zuständig, als die große Koalition mit den Ländern über den CO2-Preis verhandelte, war sie mit dabei. Gezielt positioniert hat sich Baerbock im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik, mit den Bereichen Auslandseinsätze, Rüstungsfragen und dem grundsätzlichen Verhältnis zur Bundeswehr kein einfaches Thema für die Grünen.

Habeck: Habeck hat seinen Fokus unter anderem auf Finanzthemen gelegt, inklusive der Positionierung im Wahlprogramm. Dort fordern die Grünen ein 50-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm für die Nach-Corona-Zeit, eine Reform der Schuldenbremse, höhere Steuern für Superreiche und mehr Engagement im Kampf gegen Steuerhinterziehung. Neben dem Kanzleramt haben die Grünen auch das Finanzministerium als zentrale Schaltzentrale ins Auge genommen.

Habeck ist auch einer der zentralen Köpfe hinter dem Grundsicherungskonzept, mit dem die Grünen Hartz IV ersetzen wollen. Als Landesminister in Schleswig-Holstein hat er sich um Umwelt-, Energie- und Landwirtschaftspolitik gekümmert, mitsamt der hochumkämpften Themen wie Windrad-Bau, Umgang mit Wölfen, Tierhaltung in der Landwirtschaft und Fangquoten für Fischer.

Fähigkeiten und Schwächen

Baerbock: Präzise Fachkenntnis und Hartnäckigkeit, das fällt den meisten Grünen sofort zu Annalena Baerbock ein. Sehr genau arbeite sie sich in Themen ein und stimme sich eng mit Fachpolitikern ab. Deren Votum wäge sie ab, bilde sich aber auch eine eigene Meinung – und kommuniziere klar, wenn sie anders entscheidet. Regierungserfahrung hat Baerbock nicht, gilt aber als besser vernetzt in der Partei und wird vom Netzwerk der Frauen gestützt. Auch Baerbock verspricht sich mal in einem Interview, aber sprachlos hat man sie, anders als Habeck, noch nicht erlebt.

Bei Umfragen, etwa von Forsa, zur Kanzlerfähigkeit lag Baerbock zuletzt vor Olaf Scholz von der SPD und dem möglichen Unions-Kandidaten Armin Laschet. Bei der Frage nach Kompetenzen wie Problemlösungsfähigkeit, Dynamik und Innovationskraft fällt auf, dass beide Grünen-Chefs auf die nahezu gleichen Werte kommen.

Habeck: Auf Teamarbeit setzen beide Grünen-Chefs. Habeck praktiziert das auch auf anderer Ebene: Viele seiner Bücher hat er gemeinsam mit seiner Frau geschrieben. Als einstiger Landesminister hat er Regierungserfahrung. Er hat sich in dieser Funktion um Kompromisse und Ausgleich oft sehr gegensätzlicher Interessen bemüht: Der sogenannte „Muschelfrieden“ zwischen Fischern und Naturschützern gilt als Beispiel.

Der Schleswig-Holsteiner wirkt kumpeliger als seine Co-Vorsitzende. Als ehemaliger Minister war er bekannter und galt zunächst als der neue Star der Grünen, mit höheren Beliebtheitswerten in Umfragen. Inzwischen hat sich das ausgeglichen. Habeck scheut Inszenierungen nicht, von der Bierwerbungs-Optik am Strand bis hin zum Haareschneiden auf der heimatlichen Terrasse im Lockdown. Nicht immer geht das gut: Für Kuschelfotos mit Pferden gab es viel Spott. Parteifreunde beschreiben ihn als impulsiv. In Talkshows hat er die ein oder andere inhaltliche Lücke offenbart.

Rhetorik

Baerbock: Sprache ist wichtig für Spitzenpolitiker: Es geht unter anderem um Präzision, Einprägsamkeit und Glaubwürdigkeit. Bei Baerbock stellt der Berliner Kommunikationstrainer Karsten Noack eine Entwicklung fest: Sie wirke „deutlich überlegter“ als noch vor ein paar Jahren. Auch die Schlagfertigkeit habe zugenommen.

Baerbock spreche viel in Bildern. Mit Analogien, Metaphern oder anderen visuellen Sprachbilder spreche sie die Sinne der Zuhörer an. Manchmal wirke das dann aber auch inszeniert: Beim letzten Parteitag etwa habe Baerbock „regelrecht übervorbereitet“ gewirkt. Sie habe Worte betont, die sie vorher nie betont habe und Pausen an seltsamen Stellen gemacht.

Einen Nachteil könnte es bei der Stimme geben, findet Noack. „Eine Stimme, die gequält klingt, am Ende eines Satzes häufig nach oben geht oder wackelt, kann negative Gefühle übertragen und unsicher wirken“, sagt er.

Habeck: Der Grünen-Chef wirke beim Sprechen wie der „nette Nachbar von Nebenan“, stellt Noack fest. Durch seine Stimme könne Habeck nachdenklich und vorsichtig herüberkommen. „Er wirkt aber auch oft als plaudere er“, sagt der Experte.

Das ist nicht immer positiv: Es könne auch wirken, als ob er nicht auf den Punkt komme. Ins Auge falle das, wenn Habeck ein Thema nicht zusage: „Da wird er ausschweifender, benutzt mehr Füllwörter, und er will auf Teufel komm raus keine klare Aussage geben.“ Bei Lieblingsthemen dagegen setze Habeck gute Pausen und strahle Souveränität aus.

Er erzähle Geschichten aus der Vergangenheit und wirke authentisch. Ausgefeilte Formulierungen erkenne der Sprechcoach zwar nicht bei Habeck, das passe jedoch in dessen Bild. „Entweder er hat sie nicht parat oder nutzt sie nicht, um den Eindruck zu erwecken, jeder könne mit ihm reden.“

Körpersprache

Baerbock: In Baerbocks Gesten liegen ihre Stärken, lobt Noack. „Sie beherrscht viele positive Gesten: Sie zeigt zum Beispiel die Handflächen, was Offenheit ausstrahlt“, sagt er. Präzisionsgesten wie das mit Daumen und Zeigefinger geformte O.k. beobachtet Noack ebenfalls häufig bei Baerbock – ein weiterer Pluspunkt.

Bei Mimik und Körperhaltung gebe es dagegen Verbesserungspotenzial: „Ihre Mimik wirkt nahezu immer kontrolliert, es sei denn, ein Thema passt ihr nicht. Ist das der Fall, geht ihr Lächeln nach unten, und sie wirkt angestrengt.“ In der Kombination von Mimik und Stand wirke Baerbock „oft zu kalt und ablehnend“. Das könne ihr als berechnend ausgelegt werden und sei im Wahlkampf nicht optimal.

Habeck: Ruhig und akzentuiert seien die Gesten Habecks, analysiert Noack. „Sie unterstreichen sein Auftreten und seine Rede.“ Zuweilen blieben seine Hände zu weit unten. „An geeigneten Stellen könnte er da auch emotionalere Gesten folgen lassen.“ Habecks Mimik sei deutlich lebhafter als die seiner Co-Vorsitzenden.

Er blicke auch mal etwas spitzbübisch: „Das kommt glaubwürdig und sympathisch herüber.“ Vor Kameras stehe Habeck oft hüftbreit. Das wirke souverän und stabil. Es werde deutlich: „Er möchte alle Menschen ansprechen.“ Auffällig sei, dass Habeck eine besonders für Kampfeslust stehende Geste nun deutlich seltener verwende als noch als Minister in Schleswig-Holstein: Er schüttelt weniger seine Fäuste.

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