Andrea Nahles erster Auftritt nach Rückzug„Man hat nicht viel, man killt sich selbst“

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Andrea Nahles dpa 130819

Andrea Nahles bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Rückzug aus der Parteispitze in der Benediktinerabtei Maria Laach

Glees – Die Menschen aus der Eifel, sagt Maria Mühlenbruch, würden sich durch besondere Attribute auszeichnen: derb, klein, unkaputtbar. Die Andrea Nahles, die sei so eine. „Sie imponiert mir unheimlich“, schwärmt die 61-Jährige. „Sie steht mit beiden Beinen auf der Erde. Sie macht niemandem etwas vor und kehrt auch nicht den Doktor raus.“ Früher, wenn sie sich irgendwo vorstellen musste, habe sie stets gesagt: „Ich bin Maria Mühlenbruch, ich komme aus Andrea-Nahles-Land.“

Mühlenbruch ist ein paar Kilometer mit dem Auto durch die Heimat der ehemaligen SPD-Chefin gefahren, um sie persönlich zu hören. Von Mayen zum imposanten Benediktinerkloster Maria Laach, wo Andrea Nahles an diesem Montagabend einen Vortrag mit dem Titel „Die Gleichberechtigung von Mann und Frau laut Grundgesetz und im wahren Leben“ halten wird. Den Rahmen für ihren Vortrag bildet eine Ausstellung über Konrad Adenauer, der 1933 aus Köln vor den Nationalsozialisten fliehen musste und ein Jahr im Kloster Maria Laach Unterschlupf fand.

Fragen zu ihrer politischen Zukunft, zum Zustand der SPD, zu ihrem Rücktritt als Fraktions- und Parteichefin, werde Nahles nicht beantworten, sagt der Sprecher des Klosters vorab. Und doch gibt es da natürlich die leise Hoffnung, dass Nahles sich hinreißen lässt, ein paar Sätze darüber zu verlieren. Immerhin hatte sie sich seit ihrem Rückzug aus der obersten Etage des Berliner Willy-Brandt-Hauses Anfang Juni nicht mehr öffentlich geäußert. Obendrein macht seit dem Wochenende das Gerücht die Runde, dass sie im September auch ihr Bundestagsmandat niederlegen wolle.

Getragen von höflichem Applaus betritt Nahles den Saal im Klosterforum. An ihrer Seite sind ein paar Bodyguards und ein Pater in schwarzer Kutte. 420 Plätze fasst der Raum, etwa nur die Hälfte ist besetzt. Nahles, blau-weiß gestreiftes Sakko und Jeans, lächelt. Ein Urlaub in der Toskana liegt hinter ihr. Sie wirkt gelöst, fast so, als hätte sie die dramatischen Ereignisse vor ihrem Rückzug von der Parteispitze hinter sich gelassen. Der Umgang mit Nahles hatte damals sogar die politischen Gegner bestürzt. „So geht man nicht miteinander um“, raunte es quer durch die politischen Lager. Auch die Zuschauer im Klosterforum haben nicht vergessen, was „unsere Andrea“ hatte ertragen müssen.

Heimspiel in der Benediktinerabtei

Ihr Auftritt im Kloster Maria Laach ist ein Heimspiel. Nur wenige Kilometer entfernt wurde sie geboren, in der Gegend ist sie aufgewachsen, war Messdienerin, wurde zur überzeugten Katholikin. Noch heute lebt sie hier. Sie ist Mitglied des Freundeskreises der Benediktinerabtei, die sie regelmäßig besucht. Im vergangenen Jahr gab sie das ZDF-Sommerinterview vor der Kulisse der hochmittelalterlichen Klosteranlage und schwärmte von der Spiritualität des Ortes.

Damals war sie auf dem Zenit ihrer Macht. Im April 2018 wurde sie als erste Frau an die Spitze der SPD gewählt. Nahles steigt auf die Bühne und erklärt ohne große Umschweife die drei „Kernelemente“ einer starken Demokratie: Die Staatsflagge als Symbol, das Grundgesetz als Fundament und Menschen, die sich aktiv für die Demokratie einsetzen. „Wir lassen und Schwarz-Rot-Gold nicht von den Rechtsradikalen nehmen“, sagt sie auch in Richtung AfD. Sie liebe die klare Sprache, die die Mütter und Väter des Grundgesetzes gewählt hätten. „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, zitiert Nahles aus dem 70 Jahre alten Text und schwenkt zu ihrem Hauptthema. „Ein wunderbarer Satz, ein schöner Satz, aber keine Selbstverständlichkeit.“

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Den machistischen Männerbünden innerhalb der SPD setzte Nahles mit Erfolg ihre Eifeler Robustheit entgegen. Und doch erzählt sie an diesem Abend, dass sie die Seilschaften nie wirklich habe durchbrechen können. „In der Politik habe ich zu keinem Zeitpunkt erlebt, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind“, sagt sie. Früher habe sie zuschauen müssen, wie sich die Männer hinter verschlossen Türen trafen. Als sie schließlich selbst Mitglied des Präsidiums war, hätten sich die Männerzirkel eben vor der Tür versammelt. Eine Lektion habe sie dabei gelernt: „Die Macht ist ein scheues Reh.“ Es ist vielleicht einer der wenigen Sätze, mit denen Nahles einen kleinen Einblick in die turbulente Zeit vor ihrem Rücktritt gewährt.

Frauenquote im Bundestag leidet unter AfD und FDP

Überhaupt macht Nahles deutlich, dass es um den in Artikel 3 beschriebenen Gleichheitsgrundsatz der Geschlechter schlecht bestellt sei. Durch den Einzug von AfD und FDP in den Bundestag habe sich der Anteil der weiblichen Abgeordneten von 36 Prozent in der vergangenen Legislaturperiode auf jetzt 30 Prozent verschlechtert. „Es gibt einen Roll-back“, sagt Nahles. „Es geht wieder rückwärts.“ Auch in den Dax-Unternehmen sehe es „krass“ aus.

Wie sie es denn mit der Vereinbarkeit von Kinder und Familie halte, will eine Zuschauerin wissen. Nahles, Mutter einer achtjährigen Tochter, offenbart, dass sie für ihren Aufstieg in der Partei im fernen Berlin privat schmerzhafte Zugeständnisse machen musste. „Es ist sehr anstrengend“, sagt sie über ihre Doppelrolle. „Man hat nicht viel, man killt sich selbst.“ Sie habe die Hoffnung, dass die Generation ihrer Tochter zu einem „anderen Miteinander“ findet.

Schließlich kommt sie dann doch noch, die Frage nach ihrem möglichen Abschied vom Bundestag und der großen Berliner Bühne, auf der sie so lange gewirkt hat. Nahles lächelt und sagt, dass sich das in naher Zukunft klären wird. „Es wäre doch toll, wenn Sie bleiben“, ruft eine Zuschauerin. Davon allerdings ist kaum auszugehen. „Man muss manchmal wissen, wann man etwas Neues anfangen muss“, sagt Nahles. Kurz darauf steigt Nahles von der Bühne und sagt noch kurz, dass es öffentliche Auftritte dieser Art künftig nicht mehr so häufig geben werde. Und erst jetzt wird allmählich klar, dass die Genossen in Berlin, die bei den oftmals schrillen Auftritten des „Eifeler Mädchens“ peinlich berührt die Köpfe schüttelten, eine unverwechselbare Kämpferin für immer verloren haben.

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