Anschlag von BottropAttentäter wetterte im Verhör über „Kanaken“ und „Schwarzfüße“

Lesezeit 4 Minuten
Bottrop Anschlag

Der Attentäter fuhr in Bottrop und Essen auf Passanten los.

Köln/Essen – Der Mann wirkte sichtlich aufgewühlt, als er im Süden von Essen in eine Polizeikontrolle geriet. Ohne Gegenwehr ließ sich Andreas N. nach seiner Amokfahrt mit einem alten Mercedes-Kombi in der Silvesternacht festnehmen. Dabei erging er sich in fremdenfeindlichen Tiraden: Er habe aufgeräumt, verteidigte er seine Attacken auf Gruppen feiernder Menschen in Bottrop und in seiner Heimatstadt Essen.

Insgesamt acht Verletzte

Bei den Angriffen hatte es der 50-jährige Hartz-IV-Empfänger vor allem auf Migranten abgesehen. Insgesamt acht Männer, Frauen und Kinder wurden teils schwer verletzt. Gleich vier Mal schlug der Täter zu. Videos belegen, wie er eine junge Frau beinahe über den Haufen fuhr, später dann auf dem Berliner Platz in Bottrop rammte er eine 46-jährige Syrerin. Die Frau konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden, ihr Mann und die beiden Töchter trugen ebenfalls Verletzungen davon. Weiter ging es nach Essen. An einer Bushaltestelle hielt N. auf einen Pulk wartender Fahrgäste, die sich aber in Sicherheit bringen konnten. Nahe der Wohnung seiner Freundin endete die Horrorfahrt.

Andreas N. beklagte eigene Arbeitslosigkeit

Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ konstatierte die Polizei später während der Vernehmung, der Festgenommene habe sich psychisch auffällig verhalten. Der Eindruck trog nicht. Im Verhör ließ Andreas N. offenbar seinem Ausländerhass freien Lauf. Er giftete über „Kanaken“ und „Schwarzfüße“. Auch soll er krude Angaben zu seinem Motiv gemacht haben. Demnach wollte er mit seinen Taten etwaigen Anschlägen durch syrische oder afghanische Flüchtlinge zuvorkommen. Ausländer soll er als Problem bezeichnet haben.

Alles zum Thema Herbert Reul

Zudem haderte der Essener mit seinem Schicksal. So etwa, dass er vergeblich nach Arbeit suche und von Hartz-IV leben müsse. Schließlich wütete N. über die Zuwanderer, die dieselben Zuwendungen kassieren würden wie er, ohne etwas dafür getan zu haben. Am Neujahrstag erließ ein Amtsrichter einen Haftbefehl wegen mehrfachen versuchten Mordes.

Obschon die Ermittler noch am Anfang stehen, deutet vieles auf die Tat eines psychisch gestörten Einzeltäters hin. „Es gab die klare Absicht, Ausländer zu töten“, bekundet Herbert Reul (CDU) am Tag nach der Tat. Allerdings weise nichts daraufhin, „dass dieser Mann sich in irgendwelchen rechtsradikalen Kreisen bewegte“, fügte der NRW-Innenminister am Mittwoch hinzu.

Bei den Durchsuchungen der Wohnung des Amokfahrers fanden sich zunächst keine Hinweise auf Kontakte zur Neonazi-Szene. Vielmehr scheint es wohl so zu sein, dass der mutmaßliche Täter „aus einer persönlichen Betroffenheit und aus Unmut heraus dann Hass auf Fremde entwickelt hat“.

Aus Sicht der Strafverfolger spricht einiges dafür, dass Wahnvorstellungen die Attacken mit ausgelöst haben könnten. Andreas N. litt seit Jahrzehnten unter einer schizophrenen Erkrankung. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ lebte er im Jahr 2005 zeitweilig in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik.

Festgenommener befand sich in psychiatrischer Behandlung

Im Verhör berichtete der Beschuldigte, dass er sich nach wie vor in ambulanter psychiatrischer Behandlung befinde. Vor dem Hintergrund will die zuständige Essener Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben „die Frage der Schuldfähigkeit“ durch einen Gutachter überprüfen lassen. Sollte der Sachverständige zu dem Schluss kommen, der 50-jährige Essener sei zum Zeitpunkt der Tat geistig verwirrt gewesen, so müsste er in einer geschlossenen Anstalt untergebracht werden. Derzeit aber sitzt der Delinquent noch in Untersuchungshaft.

Details erinnern an Münster

Manche Details der Pkw-Attacken im Ruhrgebiet erinnern an den Todesfahrer von Münster. Der 48-jährige Jens R., ein psychisch labiler Mann, hatte im April 2018 mit einem Campingbus in der Münsteraner Altstadt vier Menschen getötet und 20 weitere Passanten verletzt, bevor er sich erschoss. Vor seinem Amoklauf hatte Jens R. per Mail ein bizarres Memorandum versandt, in dem der Industriedesigner gravierende Probleme mit seinen Eltern sowie Schuldkomplexe, psychische Zusammenbrüche und Suizidgedanken schilderte.

Allerdings sind auch Unterschiede erkennbar. Die damaligen Nachforschungen ergaben, dass R. seine mörderische Tour über längere Zeit geplant hatte. Die Kriminologen sprechen von einem erweiterten Selbstmord, in dem der Täter wehrlose Opfer mit in den Tod nimmt.

Andreas N. spricht von Beziehungsproblemen

Die Geschehnisse in der vergangenen Silvesternacht an der Ruhr hingegen legen nahe, dass es sich um einen spontanen Terrorakt handelte. Den Erkenntnissen zufolge fuhr der Pkw-Attentäter stundenlang ziellos durch die Gegend, ehe er zuschlug. Bisher hat die Justiz noch nicht bekanntgegeben, was letztlich dazu führte, die letzte Hemmschwelle fallen zu lassen. In Ermittlerkreisen ist von Beziehungsproblemen zur Freundin die Rede, womöglich von Trennung.

Bei der Polizei gab N. nach Recherchen dieser Zeitung an, dass er zwar noch mit seiner Partnerin zusammenlebe, es dort aber keine Liebe mehr gebe. Die bisherigen Erkenntnisse zeichnen das Bild eines Verlierers, psychisch angeschlagen, der wohl glaubte, sich als Silvesterkiller in Szene setzen zu können.

Wohl kein Fall für den Staatsschutz

Angesichts der ausländerfeindlichen Motivlage habe man die Bundesanwaltschaft über den Fall unterrichtet, sagte die Essener Oberstaatsanwältin Anette Milk. Die Karlsruher Strafverfolger prüfen derzeit zwar noch. Wie aber zu erfahren war, scheint es angesichts der Geistesverfassung des Beschuldigten derzeit wenig wahrscheinlich, dass die Bundesermittler die Silvester-Attacken als herausragenden Staatsschutzfall einstufen, um ihn zu übernehmen.

KStA abonnieren