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Armin Laschet im Interview„Mein Vater hat vielleicht am meisten gelitten“

Lesezeit 11 Minuten
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Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet beim Interview in der Düsseldorfer Staatskanzlei

Armin Laschet kommt alleine durch die Eingangstür im Landtag zum Interview. Er zieht einen Rollkoffer hinter sich her, niemand beachtet ihn. Eine Szene, die so nicht vorstellbar wäre, wenn das Jahr für den früheren Ministerpräsidenten von NRW besser gelaufen wäre. Sein Traum, Bundeskanzler zu werden, ist geplatzt. Wie geht Laschet damit um? Was ist schief gelaufen? Darüber spricht  Laschet jetzt ausführlich im großen Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Herr Laschet, Weihnachten steht vor der Tür. Wie blicken Sie auf dieses Jahr zurück? Wie tief sind Sie verletzt?

Armin Laschet: Es war ein turbulentes Jahr, das natürlich Spuren hinterlassen hat. Es begann mit der erfolgreichen Wahl zum Bundesvorsitzenden. Dann hatten wir harte Tage rund um die Ernennung eines Kanzlerkandidaten. Und dann gab es den Bundestagswahlkampf mit dem Auf und Ab. Man hat selten erlebt, dass in einem Wahljahr drei Kandidaten zeitweise auf Platz eins lagen. Zunächst war lange Annalena Baerbock vorne, dann ich, und am Ende hat Olaf Scholz die Nase vorn gehabt.

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Als einfacher Bundestagsabgeordneter haben Sie jetzt viel Zeit, um mit der Familie zu feiern. Ein positiver Aspekt in der Niederlage?

Heiligabend ist in jedem Amt gleich. Als Ministerpräsident hatte ich Zeit, mit der Familie zu feiern, als Bundeskanzler hätte ich das auch gehabt. Alle in der Familie haben mitgefiebert und zum Teil im Wahlkampf mitgeholfen. Wenn ich gewonnen hätte, hätten mir das alle gegönnt. Aber es sind jetzt auch nicht alle traurig, dass das Familienleben so weiter geht wie bisher.

In den Augen vieler sind Sie der „Gescheiterte”. Wird Ihnen das jetzt immer anhaften?

Ich habe in meinem Leben oft Wahlen gewonnen und diese Wahl verloren. Es kann halt nur einer Bundeskanzler werden. Johannes Rau, Peer Steinbrück oder auch Edmund Stoiber haben solche Momente auch schon erlebt. Aber, ja, die verlorene Bundestagswahl bleibt mit mir verbunden.

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Wie steckt man das weg?

Hätten wir ein oder zwei Prozent mehr gehabt, würden wir eine andere Situation haben. Aber es gehört mit zur Demokratie, dass man dem Anderen gratuliert, wenn er gewonnen hat. Und dann für sich selbst neue Schwerpunkte setzt. Der stilvolle demokratische Machtwechsel war mir persönlich sehr wichtig. Darum beneiden uns andere Länder in der Welt.

Fakt ist aber, dass Sie persönlich einen sehr hohen Preis bezahlt haben…

Ja. Das Amt des Ministerpräsidenten aufzugeben war schwer. Ich habe die Aufgabe mit großer Leidenschaft ausgeübt. Ich musste mir das Amt 2017 hart erkämpfen und wir haben gemeinsam mit der FDP viel erreicht. Aber es war mein Versprechen von Anfang an, dass ich auf jeden Fall nach Berlin gehen würde und es keine Rückfahrkarte gibt. Das dann einzulösen, ist mir nicht leichtgefallen.

Hat Ihnen jemand in der Situation der Niederlage besonderen Halt vermittelt?

Die Rückendeckung der Familie war mir besonders wichtig.

Sie galten bei der Bundestagswahl lange als klarer Favorit. Wann wussten Sie, dass es vorbei ist?

Diesen einen Moment gab es nicht. Selbst am Wahlabend war ja noch nicht klar, welche Konstellation sich ergeben würde. FDP und Grüne wollten über Jamaika sprechen, wir haben ja noch Sondierungsgespräche geführt. Es wurde dann aber schnell deutlich, dass es auf die Ampel hinauslief.

Spielten dabei auch die Indiskretionen in CDU und CSU eine Rolle?

Ja. Wir waren nicht so aufgestellt, dass wir als vertrauenswürdig galten. Selbst Informationen aus Präsidiumssitzungen drangen nach außen, weil Einzelne das Ego über das Gemeinsame setzten. Die Ampel-Koalitionäre hingegen haben es geschafft, wochenlang zu tagen, ohne einen Text durchzustechen, ohne Twitter, ohne Selfies. Das muss die CDU wieder lernen.

Armin Laschet: „Mit Söder gibt es im Moment wenig abzustimmen“

Worin sehen Sie den Hauptgrund für die Niederlage?

Es gab viele Gründe. Ich habe selbst Fehler gemacht und die politische Verantwortung übernommen.

Wie ist Ihr Verhältnis zur Markus Söder heute?

(lacht) Ein schöner Übergang. Wir hatten ein gutes Verhältnis früher. Im Moment gibt es wenig abzustimmen.

Was hat Sie im Machtkampf mit Söder am meisten gestört? Die ständigen Sticheleien und Durchstechereien?

Ich will da nicht nachkarten. Klar ist: Parteien werden gewählt, wenn sie als geschlossen empfunden werden. Als geschlossen wurden aber die CDU und CSU nicht wahrgenommen, sondern die SPD – obwohl sie innerlich bei der Vorsitzendenwahl auch zerrissen war.

Sie sind erst spät als Kanzlerkandidat nominiert worden, die Pandemie hat fast alle Themen überlagert…

Ja, 140 Tage Zeit von der Nominierung bis zur Wahl war zu kurz, Corona hat uns alle 2020 mehr beschäftigt als die Frage, wer CDU-Vorsitzender werden soll. Aber von der Pandemie waren alle Parteien betroffen.

Wieviel Schlaf hatten Sie eigentlich in den letzten anderthalb Jahren? Erst die Schlacht mit Friedrich Merz, dann die mit Söder. Das wirkte manchmal deutlich drüber.

Ja, der Druck der vergangenen Monate war groß. Die Pandemie hat mich als Regierungschef hier in Nordrhein-Westfalen jede Minute gefordert. Dann kam das Hochwasser dazu. Ich habe den Wahlkampf zurückgefahren, um in den Flutgebieten präsent zu sein. Von dem positiven Krisenmanagement konnten wir dann aber nicht mehr profitieren. Dafür war die Zeit zu knapp.

In den sozialen Netzwerken hat Ihnen #laschetlacht schwer geschadet. Welche Bedeutung messen Sie dem Vorfall bei?

Das war ein ärgerlicher Vorfall, den ich zutiefst bedauere. Das hat ein anderes Bild von mir gemalt, als wie mich die Leute kennen. Ich bin ein empathischer Mensch, das war ich auch in der Flut. Aber das falsche Bild war in der Welt. Da kann man sich zwanzigmal entschuldigen oder erklären, warum das so war.

Was war denn eigentlich so lustig?

Irgendeiner macht eine blöde Bemerkung, es lohnt nicht, darüber zu reden.

Welche Rolle spielte die Welle der Empörung in den sozialen Netzwerken für Ihre Niederlage?

Dieses Bild war mit Sicherheit ein großer Fehler. Der Wahlkampf in den sozialen Netzwerken war von einem starken Negativ-Campaigning geprägt. Ich kannte sowas bislang gegen mich nur von den Rechten. Die AfD hat mich ja wegen der Flüchtlingspolitik seit 2015 bekämpft. Plötzlich kam es von allen Ecken, auch von Anhängern der SPD und den Grünen. Die CDU hat im Wahlkampf bewusst auf so etwas verzichtet.

Ihr Vater hat Ihren Wahlkampf intensiv beobachtet. Wie ist sein Blick auf die Ereignisse?

Mein Vater hat vielleicht am meisten gelitten, weil er alle aktuellen Nachrichten in den sozialen Netzwerken gelesen hat. Ihn hat das mehr mitgenommen als mich. Mir war klar, dass das ein sehr harter Wahlkampf werde würde. Es ging schließlich um das wichtigste Amt in Europa. Mein Vater hat es aber am Ende ganz gut verkraftet. Das Leben geht weiter.

Was werfen Sie sich heute noch vor?

Ich habe mir den Rückwärtsblick abgewöhnt. Es gibt einen schönen Spruch aus der Operette „Die Fledermaus“ von Johann Strauss: „Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist.“

„Ich muss Hendrik Wüst keine Ratschläge geben“

Wie erklären Sie sich, dass Sie zu so einer Reizfigur wurden, obwohl Sie für eine Politik von Maß und Mitte und des Ausgleichs stehen?

Das habe ich mich auch gefragt. Ich habe in Nordrhein-Westfalen immer viel Anerkennung gefunden für das Versöhnende in meiner Politik. Mein Ziel war es, Gegensätze zu überwinden, Wirtschaft, Gewerkschaften, Stadt und Land, aber auch zum Beispiel Zuwanderer zu integrieren. Ich hätte nicht gedacht, dass ich zum Feindbild tauge. Aber es war im Wahlkampf so.

Sie waren viereinhalb Jahre Regierungschef in NRW. Was bleibt von Armin Laschet?

Das müssen natürlich irgendwann andere bewerten. Ich habe mit der Berufung von Herbert Reul 2017 einen neuen Kurs in der inneren Sicherheit eingeführt, der weit über die CDU hinaus Anerkennung findet. Zusammen mit der FDP haben wir auch in der Bildungs- und Wirtschaftspolitik und bei der Digitalisierung vieles zum Guten verändert. Auch der Kohleausstieg war ein zentrales Thema meiner Amtszeit, erst 2018 die Steinkohle, dann 2019 die Braunkohle. Ich bin stolz darauf, dass wir beim Bund 15 Milliarden Euro für die Unterstützung des Strukturwandels im Rheinischen Revier ausgehandelt haben. Das hilft den Menschen noch in den nächsten Jahrzehnten.

Das Amt hat Ihnen, so wirkte es immer, große Freude gemacht. Was vermissen Sie am meisten?

Den Kontakt mit den Menschen im Land. Als Ministerpräsident hat man ja eine Doppelfunktion: Man repräsentiert das Land und regiert es gleichzeitig. Das ist das Schöne an diesem Amt. Wenn man die Jahre Revue passieren lässt, konnten wir viel für die Menschen verbessern, auch sehr persönlich.

In NRW tritt jetzt Hendrik Wüst als CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl im Mai 2022 an. Worauf sollte er achten, um Fehler zu vermeiden?

Ich muss ihm keine Ratschläge geben. Hier bei uns ist die CDU in einer anderen Lage als im Bund, weil es hier eine große Geschlossenheit gibt. Als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz hat Hendrik Wüst jetzt die Chance, in der Corona-Politik die Stimme der deutschen Länder zu sein und ein sichtbarer Akteur zu werden. Ich finde, das macht er bisher sehr gut.

Ist es für die NRW-CDU gut oder schlecht, dass mit Friedrich Merz Ihr alter Rivale und ein Konservativer zum CDU-Chef gewählt wurde?

Er war mein Wettbewerber, nie mein Rivale. Wir verstehen uns sehr gut. Er war Teil meines Zukunftsteams. Bei seiner Kandidatur hat Friedrich Merz deutlich gemacht, dass er auch in seinem Präsidium und bei den Stellvertretern die Breite der Partei widerspiegeln will. Ich glaube, dass seine Wahl bei der Aufstellung in der Opposition hilft.

„Das Ergebnis ist für Friedrich Merz eine riesige Rückendeckung“

Sie stehen für einen kooperativen Führungsstil. Raten Sie Ihrem Nachfolger an der Spitze der CDU, dies genauso zu tun – also keine One-Man-Show Merz?

Das 62-Prozent-Ergebnis ist eine riesige Rückendeckung. Mich hat erfreut, dass alle drei Bewerber gesagt haben, die CDU müsse sozialer, ökologischer, weiblicher und diverser werden. Mit dieser Meinung stand ich früher oft alleine da.

Hilft Merz der CDU bei der NRW-Landtagswahl?

Die Landtagswahl wird mit erfolgreicher Landespolitik entschieden. Wenn Friedrich Merz der Start gut gelingt, kann es sein, dass der Bundestrend Rückenwind gibt.

Mit Merz an der Spitze sind die Probleme der CDU aber noch lange nicht gelöst…

Nein, das wird eine längere Zeit brauchen.

Im Wahlkampf hat der Union eine klare Botschaft gefehlt…

Unser Wahlprogramm war besser als sein Ruf. Vieles, was die Ampel jetzt plant, wäre auch von Jamaika umgesetzt worden, wenn man mal von der Cannabis-Freigabe absieht. Wir müssen jetzt die Ampel an ihren Versprechungen messen, zum Beispiel beim Thema Planungsbeschleunigung. Bislang waren SPD und Grüne immer dagegen. Der Kohleausstieg darf nicht zu Lasten der Versorgungssicherheit gehen und muss sozialverträglich gestaltet werden. Das sind schwere Aufgaben.

Was muss bei der nächsten Entscheidung der K-Frage in der Union anders laufen? Braucht es ein ganz anderes Verfahren? Ein neues Gremium?

Man bräuchte ein Verfahren, wie CDU und CSU sich einigen. Das zu finden, ist aber bislang in 70 Jahren nicht gelungen.

Wüst hat in NRW Ihr politisches Erbe übernommen – welches Thema könnte für den Wahlausgang entscheidend sein?

Das ist heute schwer zu sagen. Für viele Wähler ist entscheidend, dass die erfolgreiche Politik der vergangenen Jahre fortgesetzt wird. Nordrhein-Westfalen hat eine neue Dynamik. Ich sehe keine Wechselstimmung oder eine Sehnsucht rückwärts zu Rotgrün. Da sind die negativen Erinnerungen noch zu frisch.

Sie wollen die Legislaturperiode im Bundestag auf jeden Fall zu Ende bringen und sind im Auswärtigen Ausschuss. Was ist da von Ihnen zu erwarten?

Das Außenpolitische war ja bei mir immer ein Schwerpunkt. Ich war deutsch-französischer Kulturbevollmächtigter für alle 16 Länder. Als Ministerpräsident habe ich immer darauf geachtet, dass wir gerade für Nordrhein-Westfalen unsere Internationalität im Blick haben. So hat uns die gute Zusammenarbeit mit Belgien und den Niederlanden in der Pandemie geholfen, die Grenzen offen zuhalten. Zudem habe ich eine Vertretung des Landes in Israel errichtet, mit der der Austausch bei Forschung, Wissenschaft und Bildung intensiviert wird. Das hat kein anderes Bundesland. Und mit der Gründung der Akademie für Internationale Politik in Bonn haben wir den UN-Standort am Rhein gestärkt.

„Ich tue mich schwer, mein Versprechen zur Impfpflicht zu ignorieren“

Kennen Sie persönlich Impfgegner? Wie gehen Sie damit um?

Nein. Aber wir müssen Menschen respektieren, die in der Pandemie andere Meinungen vertreten, wenn es sich nicht um Verschwörungstheoretiker, Antisemiten oder Rechtsradikale handelt. Die Debatte um die Impfpflicht muss respektvoll geführt werden und nicht so, als wenn es nur eine Antwort geben würde. Die Spaltung geht quer durch Familie, Freundeskreis und die ganze Gesellschaft. Wir müssen sehen, dass wir nach der Pandemie wieder vernünftig zusammenleben.

Was halten Sie von einer Impfpflicht?

Wir alle haben vor der Wahl versprochen, dass es keine Impfpflicht geben wird. Ich tue mich schwer damit, eine Zusage einfach zu ignorieren und jetzt das Gegenteil zu vertreten. Es gibt kein Land in der EU, das eine verpflichtende Impfpflicht hat, wie sie hier gerade diskutiert wird. Die Impfpflicht wirkt auf mich noch nicht durchdacht. Uns fehlt zum Beispiel ein Nationales Impfregister. Viele Fragen sind offen. Die müssen erst geklärt werden.

Werden Sie sich die Neujahrsansprache von Olaf Scholz ansehen?

Ja. Und die von Hendrik Wüst. 

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