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AstrophysikKölner Forscher suchen nach dem Anfang

Lesezeit 6 Minuten
Hier entstehen Sterne: Gigantische Gaswolke im Orionnebel.

Hier entstehen Sterne: Gigantische Gaswolke im Orionnebel.

  • In der Atacama-Wüste von Chile forschen Wissenschaftler der Universität Köln
  • In kosmischen Gaswolken suchen sie nach dem Ursprung der Welt
  • Die Beteiligten müssen ihre Fragen und Ideen dafür in präzise technische Vorgaben übersetzen

Die Frage nach dem Anfang der Welt ist so alt wie das Staunen des ersten Homo sapiens beim Blick in den nächtlichen Sternenhimmel; und so bedeutend ist die Frage, dass der Apostel Johannes in der Bibel – und damit das Zweifeln gefälligst ein Ende habe – gleich zu Beginn klarstellt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Heute, ein paar tausend Jahre und ein paar Millionen Zweifel später, vermuten die meisten Wissenschaftler den Moment allen Anfangs eher im Urknall vor etwa 14 Milliarden Jahren. Die beste Methode, mehr darüber zu erfahren, was damals und seither passiert ist, ist auch die älteste: ein Blick in den nächtlichen Sternenhimmel.

Auf der Erde eignet sich kein Ort besser als die Atacama -Wüste in Chile

Inzwischen schaut die Wissenschaft natürlich durch fantastische Teleskope, die wie das Hubble-Teleskop in Satelliten die Erde umkreisen oder auf Berggipfeln in gewaltigen Antennenschüsseln elektromagnetische Wellen aus den Tiefen des Alls einfangen. Auf der Erde eignet sich für diesen Blick kein Ort besser als die Atacama-Wüste in Chile: bis 5600 Meter hoch, staubtrocken, klirrend kalt, keine Lichtverschmutzung weit und breit und nur selten störende Wolken am Himmel.

Es stehen bereits faszinierende Anlagen dort – etwa die europäisch-amerikanische Teleskop-Formation ALMA (siehe „Legende“) aus 66 mobilen Parabolantennen mit sieben bis zwölf Metern Durchmesser. Dorthin kommt auch das Sechs-Meter-Teleskop CCAT-Prime, das die Universität Köln derzeit in einer Kooperation mit der US-amerikanischen Cornell Universität, der Universität Bonn, dem Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching sowie dem Canadian Atacama Telescope Consortium baut.

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Legende

Abkürzungen bezeichnen viele technische Geräte und Einrichtungen:

ALMA = Atacama Large Millimeter/submillimeter Array, Name der 66-Antennen umfassenden Anlage in Chile

CCAT = der Name ist im Kern eine Ortsangabe: „Cerro Chajnantor Atacama Telescope“

SOFIA = Stratosphären-Observatorium für Infrarot-Astronomie,

DLR = Deutsche Luft- und Raumfahrt Agentur

ESA = Europäische Raumfahrt-Agentur (ksta)

Im Jahr 2021 soll alles fertig sein, Professor Jürgen Stutzki vom I. Physikalischen Institut der Universität zu Köln hofft auf erhabene „Einblicke in die kosmische Morgendämmerung“. Ja, es geht um das große Ganze: Um die Geburt der ersten Sterne nach dem Urknall, um die Entstehung von Sternen und Galaxien, um den Kreislauf des Werdens und Vergehens.

Etwas muss passiert sein

„Ganz am Anfang gab es die beiden Elemente Helium und Wasserstoff“, sagt Stutzki, „und wenn es dabei geblieben wäre, gäbe es uns nicht – Sie nicht, mich nicht, gar nichts.“ Da wir aber an diesem Morgen hier sitzen in seinem Büro im Physikalischen Institut an der Zülpicher Straße von Köln, muss nach dem Urknall etwas passiert sein, das die übrigen Elemente, die Sonne, den Mond, die Erde und letztlich das Leben, wie wir es kennen, hat entstehen lassen.

Stutzki und sein Institut haben einige Erfahrung bei der Suche nach den ersten Dingen: Die Kölner waren bereits beteiligt am Herschel-Weltraumteleskop, das im Jahr 2009 per Satellit von der Europäischen Raumfahrt-Agentur ESA ins All geschossen worden war und bis zu seiner Abschaltung im Jahr 2013 Infrarot-Aufnahmen aus den entferntesten Winkeln des Universums lieferte; aktuell sind sie mit an Bord bei SOFIA – einem famosen Gemeinschaftsprojekt von NASA und Deutscher Luft- und Raumfahrt Agentur DLR: Ein Jumbo-Jet öffnet in 14 Kilometern Höhe wie ein Cabrio sein Dach, um einem 2,7-Meter-Teleskop an Bord freien Blick in die Tiefen des Alls zu gewähren.

„Satelliten brauchen Dekaden an Vorbereitungszeit“

Im Vergleich sind Stutzki bei aller Spektakularität der Satellitentechnik die Beobachtungen per Flugzeug oder bodennah wie demnächst in Chile am liebsten. „Satelliten brauchen Dekaden an Vorbereitungszeit“, sagt er. Das kann dazu führen, dass Ideen, Ziele und die Technik bereits überholt sind in dem Moment, wo alles so weit ist. „Und die Kosten sind leicht aufzuschlüsseln“, sagt Stutzki, „eine Milliarde für die Rakete und den Satelliten, eine Milliarde für die Instrumente an Bord.“ Und wenn was nicht funktioniert, wird die Reparatur gleich noch mal so teuer. Das alles ist mit dem SOFIA-Projekt oder dem Teleskop in Chile um ein Vielfaches einfacher und günstiger – das Wunderwerk in der Atacama-Wüste kostet um die 20 Millionen Euro.

Das CCAT-Prime ist ein Radioteleskop und somit ein technischer Verwandter des gewaltigen Teleskops von Bad Münstereifel-Effelsberg, das unlängst zu einiger populärkultureller Berühmtheit gelangte, als in einer Folge der Eifel-Krimiserie „Mord mit Aussicht“ ein Wissenschaftler dort gemeuchelt und anschließend hochdekorativ in die 100-Meter-Schüssel gehängt worden war – ein kraftvolles Bild, das vom diensthabenden TV-Polizisten Dietmar Schäffer so lakonisch wie staunend kommentiert wurde: „Tss, hängt der da!“

Obwohl seit 1972 in Betrieb ist die Anlage nach wie vor gut in Schuss. „Wellen im Bereich zwischen zehn Zentimetern bis zu einem halben Zentimeter Länge werden in Bad Münstereifel tadellos empfangen, nachgewiesen und ausgewertet“, sagt Stutzki. Bauartbedingt gebe es aber Probleme mit der Präzision bei Messungen unterhalb dieses Bereichs. „Die Sterne“, sagt Stutzki, „strahlen bei Temperaturen von 6000 bis 20 000 Grad, sie leuchten weißhell im optischen Spektralbereich.“

Das Institut

Prof. Jürgen Stutzki leitet das Institut für Astrophysik an der Uni Köln. Erforscht werden die Struktur von Molekülwolken, Sternentstehung, das Zentrum der Milchstraße und anderer Galaxien; es werden Instrumente entwickelt und es wird Laborastrophysik und hochauflösende Molekülspektroskopie betrieben. (ksta)

Zielobjekt der Kölner sind aber die Geburtsstätten der Sterne und Galaxien – die kosmischen Gaswolken, die bei Temperaturen um 100 Grad Kelvin (etwa minus 173 Grad Celsius) vor sich hin strahlen mit Wellenlängen im Bereich von weniger als einem Millimeter. Die Geschichten, die diese Wellen erzählen, sind fundamental für die Entstehung der Welt – wenn man sie zu verstehen weiß. „Wir schauen auf die Gaswolken“, sagt Stutzki, „wir messen die Temperaturen, die Bewegungen und die chemische Zusammensetzung.“ Irgendwo in all dem liegt die Antwort auf die Fragen: „Warum ist alles entstanden? Warum so und nicht anders?“

All diese Fragen und Ideen müssen die beteiligten Wissenschaftler in präzise technische Vorgaben übersetzen. „Es muss festgelegt werden: Was sind unsere Ziele? Und was brauchen wir dafür?“, sagt Stutzki. Es entsteht eine Liste der Notwendigkeiten: Was muss das Teleskop, was müssen die einzelnen Komponenten können? Und wo bekommt man das her?

Die Kölner arbeiten mit der Duisburger Firma Vertex Antennentechnik GmbH zusammen – die einzelnen Teile des Teleskops werden dort konstruiert. Für einige Aufgaben aber, die die Wissenschaftler dem Teleskop zuordnen möchten, gibt es die notwendigen Techniken, Maschinen oder Geräte nicht. Noch nicht. „Dann“, sagt Stutzki, „müssen wir das, was wir brauchen, selbst herstellen.“ Für das CCAT-Prime werden zum Beispiel an der Kölner Uni neuartige Detektor-Technologien entwickelt und gebaut.

Wenn alles passt und alles funktioniert, wird das Teleskop  wieder zerlegt 

„Forschung ist wichtig“, sagt Stutzki, „eine Hauptaufgabe der Universitäten ist aber nach wie vor die Ausbildung von Studenten.“ Nun ist die Zahl der Arbeitsplätze für Astrophysiker weltweit eher begrenzt, die Fertigkeiten, die beim Studium vermittelt werden, seien aber exzellent, meint der Professor: Die Studenten lernten, hochkomplexe Zusammenhänge zu beobachten, zu analysieren, zu beschreiben und schließlich Anwendungen und Lösungen zu entwickeln. „Diese Fähigkeiten“, findet Stutzki, „sind in einer Vielzahl von Berufen von großer Bedeutung.“

Das Teleskop wird, wenn alles so weit ist, in Europa komplett zusammengebaut. Und wenn alles passt und funktioniert und kein Teil fehlt – dann wird es wieder zerlegt. In Einzelteilen wird es über den Ozean transportiert, Ende 2020 soll es so weit sein. In Chile wird das ganze Wunderwerk wieder ausgepackt und schließlich auf einem Betonsockel auf dem Cerro Chajnantor in 5600 Metern montiert.

Der Himmel und die Sterne sind dort ein gutes Stück näher.

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