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Bloße „Hysterie”?Wie politische Populisten die Gesundheit ihrer Bürger gefährden

Lesezeit 7 Minuten
Bereits vor einigen Wochen wurden 13 Mitglieder aus der Delegation von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro positiv auf Corona getest: Doch der Präsident spielt das herunter.

Bereits vor einigen Wochen wurden 13 Mitglieder aus der Delegation von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro positiv auf Corona getest: Doch der Präsident spielt das herunter.

  • Einige Staatschefs wichtiger Länder spielen die Gefahr der Corona-Epidemie dramatisch herunter.
  • Mit hanebüchenen Aussagen und öffentlichkeitswirksamen Trotz-Gesten verhalten sich Donald Trump, Boris Johnson, Jair Bolzonaro oder Wladimir Putin mehr als fahrlässig.
  • Da werden Kinder geküsst und Anhänger umarmt. Die Gründe für ihr Handeln sind in erster Linie egoistisch – doch sie riskieren dafür die Gesundheit von Abermillionen Menschen.
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Es ist Anfang Februar. In China breitet sich das Coronavirus weiter aus. Und Donald Trump? Hält das Ganze für einen Witz: Trump ist überzeugt, dass das neue Coronavirus für die USA nicht zum Problem wird. In einem Interview mit dem Fernsehsender Fox News sagte der US-Präsident Anfang Februar, man habe dafür gesorgt, dass das Virus nicht aus China in die USA gelangen könne. „Wir werden sehen, was passiert, aber wir haben es ausgeschaltet, ja.“ Da hatte seine Regierung neue Reisebeschränkungen bereits eingeleitet. „Wir können nicht Tausende von Menschen einreisen lassen, die dieses Problem haben könnten“, sagte Trump in dem Interview mit Moderator Sean Hannity. Bis dahin gab es acht bestätigte Infektionen mit dem Coronavirus in den USA. Jetzt sind es Tausende.

Trump spielte in dem Interview die Gefahren um das Virus herunter. Da war die Zahl der Todesfälle in China nochmals deutlich gestiegen. Als Trump redete und redete, das Virus werde in den USA keine Chance haben, gab es in China landesweit 2829 weitere Fälle von Ansteckungen mit dem neuartigen Coronavirus. Die offizielle Gesamtzahl der Krankheitsfälle stieg damit auf mehr als 17 200.

Die Zahl der Erkrankten in Deutschland lag da nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums bei zehn. Man erkennt die Dynamik, die sich in den darauffolgenden Wochen entfalten sollte.

Die Besorgnis über die Epidemie veranlasste die USA dann doch, den öffentlichen Gesundheitsnotstand auszurufen und neue Reisebeschränkungen einzuleiten. So dürfen Ausländer, die kürzlich China besucht haben, nicht mehr in die USA einreisen. Zudem werden US-Bürger, die innerhalb der vergangenen 14 Tage nach China gereist waren, zu einem von sieben Flughäfen geleitet, die für Gesundheitskontrollen vorgesehen sind.

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Die US-Fluggesellschaften Delta und American Airlines beschränkten ihre Geschäfte wegen des Ausbruchs. Die beiden Airlines gingen im Februar von wochenlangen Unterbrechungen ihrer Flugrouten zwischen den USA und China aus. American Airlines ging zunächst von einem Stopp bis zum 27. März aus, womit man die Gefahren erheblich unterschätzte. Delta erwartete eine Wiederaufnahme der Verbindungen nicht vor dem 30. April. Am 29. Februar: Trump spielt nicht nur die Gefahr des Virus herunter, sondern wartet gleichzeitig mit wilden Anschuldigungen gegenüber den Demokraten auf. Diese würden die Krankheit als „Trick“ missbrauchen. Trumps Regierung hatte in jüngster Vergangenheit nachdrücklich vor Panikmache gewarnt und mehrfach betont, dass das Virus bereits im April komplett verschwunden sein werde. Denn dann käme die Hitze, welche die Viren abtöten und den Covid-19-Ausbruch schließlich eindämmen werde. Es bestehe kein Grund zur Sorge. Kein Land sei „besser vorbereitet“ als die USA.

Gleichzeitig sagte Trump allerdings ein Treffen mit Österreichs Regierungschef Sebastian Kurz ab. Ein geplanter Termin sei „aufgrund der allgemeinen Coronavirus-Situation vom Weißen Haus verschoben“ worden, teilte das Bundeskanzleramt in Wien mit.

Dass das Coronavirus die US-Bevölkerung beschäftigen würde, wirft Trump insgesamt den Demokraten vor. Diese würden den neuen Virus Sars-CoV-2 verwenden, um Trump und seiner Regierung zu schaden. Chuck Schumer, Fraktionsführer der Demokraten im US-Senat, hatte vor einem schweren Ausbruch der Krankheit gewarnt. Allein diese vernünftige Warnung Schumers wurde von dem Republikaner nahem Sender Fox News bereits als gezielter Affront gegen Trump und die US-Regierung gewertet. Trump indes scheint sich nicht wirklich mit der neuartigen Krankheit beschäftigen zu wollen. Dies verdeutlicht auch einer seiner Tweets. Mit Blick auf das Coronavirus und die Folgen auf die Wirtschaft erklärte Trump, US-Fernsehsender würden gezielt Panik schüren, um die Krankheit „so schlimm wie möglich“ darzustellen. Dabei betitelte er die Krankheit kurioserweise falsch als „Caronavirus.“

Anschließend sah man Trump im Kreise von Menschen, denen er erklärte, niemand wisse besser über das Virus Bescheid als er. Selbst Experten würden über seine Kenntnisse staunen, verriet er. Vielleicht hätte er Virologe werden sollen und nicht Präsident, scherzte Trump. Die Wirklichkeit widerlegte ihn, wie man jetzt weiß. Auch in den USA wurden harte Maßnahmen ergriffen, um das Virus zu stoppen.

Und Großbritannien? Die vergleichsweise moderaten staatlichen Eingriffe mögen erstaunten angesichts der Rhetorik, die Premierminister Boris Johnson zuletzt anschlug. „Die Zahl der Infektionen wird steigen, sie ist wohl weit höher als die Zahl, die wir bisher bestätigt haben“, sagte er bei einer jüngsten Pressekonferenz. „Ich muss zur britischen Bevölkerung ehrlich sein: Mehr Familien, viel mehr Familien werden geliebte Angehörige vor der Zeit verlieren.“ Großbritannien geht im Vergleich zu den anderen großen Staaten Europas noch relativ gelassen mit der Pandemie um. Schulen und Universitäten sind weiter offen, sollen jedoch geschlossen werden, das Arbeits- und Geschäftsleben läuft weiter, es gibt keinerlei Bewegungs- oder Veranstaltungsverbote.

Gesundheitsminister Matt Hancock beharrte im BBC-Fernsehen auf dieser Linie. „Wir wollen das Richtige zur richtigen Zeit tun, auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnis und mit absoluter Transparenz.“ Natürlich behalte sich die Regierung radikalere Schritte vor, beispielsweise die Abschottung älterer Menschen in Pflegeheimen. Aber wann dieser Zeitpunkt kommen könnte, das wollte Hancock nicht beantworten. „Binnen der nächsten Wochen“, sagte er. Bis dahin waren 21 Menschen im Land am Coronavirus gestorben und mehr als 1100 wurden positiv getestet. Die Ideen der britischen Regierung lösten vielerorts Entsetzen aus. „Dein Haus brennt, aber die Leute, denen du vertraust, wollen es nicht löschen. Sondern die Flammen noch antreiben. Meine Kollegen und ich hier in den USA dachten zuerst, das sei Satire“, schrieb William Hanage, Harvard-Professor für Epidemiologie und Infektionskrankheiten, im „Guardian“.

Offener Brief von Wissenschaftlern

Auch in einem offenen Brief, den zahlreiche Wissenschaftler unterzeichneten, wird der Ansatz der Johnson-Regierung verdammt, weil er den nationalen Gesundheitsversorger National Health Service (NHS) „noch stärker unter Stress setzen und noch mehr Leben als notwendig riskieren würde“. In Mittel- und Südamerika ist die Lage ungleich schlimmer, was das Leugnen der Fakten angeht, zumindest, wenn man nach Mexiko und Brasilien schaut. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro tut alles, um das Coronavirus zu verharmlosen. In mehreren Interviews bezeichnete Bolsonaro die Reaktionen auf die Pandemie als eine „Hysterie“. Während sich viele Brasilianer ohne Aufforderung in Isolation begeben, verkündete der Rechtspopulist, dass er keinen Grund sehe, sein Geburtstagsfest am Samstag abzusagen.

Am Wochenende hatte Bolsonaro sich ungeachtet der ihm verschriebenen Isolation unter seine Anhänger gemischt, die gegen den Kongress demonstrierten, und Dutzende Hände geschüttelt. Nach einem Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump waren in der vergangenen Woche 13 Mitglieder aus Bolsonaros Delegation positiv auf Corona getestet worden, unter anderen sein Kommunikationschef. Während fast alle Länder Lateinamerikas drastische Maßnahmen ergreifen, um die Verbreitung des Coronavirus frühzeitig zu verlangsamen, ignoriert Bolsonaro die Ratschläge von Fachleuten. Bolsonaro spricht im Hinblick auf das Coronavirus von einer „Fantasie“ und einer – von den Medien geschürten – „Hysterie“. Sein Land, glaubt er, werde ohne größere Schäden durch diese „kleine Krise“ kommen.

Kinder geküsst, Anhänger umarmt

Auch Mexiko hat mit dem Linkspopulisten Andrés Manuel López Obrador einen Präsidenten, der nach wie vor das Bad in der Menge genießt, Anhänger umarmt und Kinder küsst. Am Wochenende fanden in Mexiko wie gewöhnlich Fußballspiele statt. Ein Konzert der Band „Guns N“ Roses“ zog Tausende an. Man dürfe keine verfrühten Maßnahmen ergreifen, die nicht der Größe des Risikos entsprächen, sagte Mexikos Gesundheitssekretär Hugo López Gatell. Inzwischen wurde die Absage von Großveranstaltungen mit mehr als 5000 Personen empfohlen.

Die Strategie von López Obrador und Bolsonaro ist offensichtlich: Beide konnten die großen Erwartungen, die sie geweckt hatten, bisher nicht erfüllen. Eine Wirtschaftskrise können sie sich politisch nicht leisten. Und Russlands Präsident Wladimir Putin? Der nächste im Bunde. Er will an dem Datum für die Volksabstimmung festhalten.

Für eine Verschiebung gebe es „keine objektiven Gründe“, sagt sein Sprecher. Im Kampf zwischen dem Autokraten und dem Virus soll offenbar das Virus nachgeben. Auch er mimt den Harten in der Ausnahmezeit, als würde ihm kein Virus der Welt etwas anhaben können. Putin werde „eine große Zahl Rentner opfern, die sich anstecken und schwer erkranken“, kritisierte der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny. Doch Appelle an die Vernunft sind bei den Gefährdern scheinbar sinnlos.

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