Bonner Klage gegen SchummeldieselEinblicke in die Gedankenwelt von Volkswagen

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Die Stadt Bonn verlangt von Volkswagen den Kaufpreis für 27 Dieselfahrzeuge wegen manipulierter Abgaswerte zurück. (Archivbild)

  • Die Stadt Bonn hat Volkswagen auf Schadenersatz verklagt.
  • Rund 700 000 Euro will sie von VW zurückhaben.
  • Das ist der Kaufpreis für die Schummeldiesel, von denen elf neu, die restlichen 16 junge gebrauchte Autos waren.
  • Und die Chancen der Stadt stehen gut.

Bonn – Der Chef des Fuhrparks der Stadt Bonn hat am Mittwochmorgen alle Hände voll zu tun. 27 städtische Autos lässt Jörg Klippel in die Tiefgarage des Stadthauses neben dem Landgericht bringen. Alles VW – 24 Caddy, zwei Passat und ein Polo. Alle ausgerüstet mit dem Motor EA 189, Euro-Norm 5, dem Schummeldiesel, versehen mit einer Manipulationssoftware, die dafür sorgt, dass die vorgeschriebenen Abgasnormen auf dem Prüfstand eingehalten werden.

Die Stadt Bonn hat Volkswagen auf Schadenersatz verklagt. Rund 700 000 Euro will sie von VW zurückhaben. Das ist der Kaufpreis für die Schummeldiesel, von denen elf neu, die restlichen 16 junge gebrauchte Autos waren. Und die Chancen der Stadt stehen gut. Das stellt Stefan Bellin, Vorsitzender Richter der 1. Zivilkammer, zu Beginn klar. Fahrzeuge mit einer „derartigen Einrichtung in den Verkauf zu bringen“, sei eine „vorsätzliche sittenwidrige Schädigung“.

Einblicke in die Gedankenwelt von Volkswagen

Der Schaden werde auch nicht dadurch geheilt, weil durch Software-Updates seit 2015 keine Gefahr mehr bestehe, dass die Stadt Bonn die Autos stilllegen müsse. Dies habe das Oberlandesgericht Köln vom Grundsatz her entschieden. „Wir sehen uns auf einer Linie mit dem OLG Köln“, sagt Bellin. Das ist eine klare Aussage. Spätestens jetzt könnten die VW-Anwälte im Bonner Landgericht doch die Akte zuklappen und vielleicht auf die nächste Instanz hoffen. Weit gefehlt. Was in den folgenden knapp 90 Minuten passiert, gibt tiefe Einblicke in die Gedankenwelt eines großen Konzerns, dessen Strategie nach Auffassung von Rechtsanwalt Tobias Ulbrich darin besteht, sich mit geschädigten Privatkunden möglichst zu vergleichen und über das Ergebnis Stillschweigen zu vereinbaren. „Ein Fall wie dieser und die Entscheidungen der Oberlandesgerichte ziehen in aller Regel Hunderte neue Verfahren nach sich.“ Diese Breitenwirkung wolle VW unbedingt vermeiden.

Ulbrich vertritt die Stadt Bonn und wundert sich, dass es bundesweit bisher neben Bonn nur noch Baden-Baden gewagt hat, gegen die Wolfsburger zu klagen: „Die anderen Kommunen befinden sich noch ein bisschen im Winterschlaf. Bis zum 31. Dezember müsste man schon wach werden, wenn man noch etwas erreichen möchte.“ Danach drohe in vielen Fällen die Verjährung. „Deshalb kommt es VW sehr entgegen, wenn sich unser Verfahren bis ins nächste Jahr hineinzieht“, sagt Ulbrich.

Volkswagen fährt Dreifach-Strategie

Bei VW ist man angesichts der Bonner Klage tatsächlich hellwach und fährt vor der 1. Zivilkammer eine Dreifach-Strategie. Das Landgericht Bonn, sagt Rechtsanwalt Moritz Becker, sei gar nicht für alle 27 Fälle zuständig, sondern höchstens für die Gebrauchtfahrzeuge, die Bonn gekauft habe. Bei Rechtsstreitigkeiten um Neuwagen, so stehe es in der Auftragsbestätigung, gelte der Konzernsitz in Wolfsburg als Gerichtsstand. Zuständig sei damit das Landgericht Braunschweig.

Ein Argument, dass Richter Bellin nicht so recht überzeugt. Die Stadt Bonn habe die Fahrzeuge über ein in solchen Fällen übliches Ausschreibungsverfahren geordert, das VW gewonnen habe. Dort sei eindeutig Bonn als Gerichtsstand festgelegt. In Braunschweig wird vor dem Oberlandesgericht auch über die Musterfeststellungsklage gegen Volkswagen verhandelt, der sich rund 470 000 Diesel-Besitzer angeschlossen haben. Das OLG, so scheint es derzeit, strebt einen Vergleich zwischen VW und den Klägern an. Wie viele Einzelklagen bundesweit verhandelt werden, lässt sich nur schätzen. Allein die Kanzlei Rogert&Ulbrich in Düsseldorf vertritt nach eigenen Angaben 12 000 Kläger. 3000 Fälle seien abgeschlossen – durch Urteile zugunsten der Kläger oder Vergleiche.

Volkswagen spielt Schaden runter

Zweites Argument der VW-Anwälte in Bonn: Die Klage sei aus ihrer Sicht schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil der Stadt Bonn ja gar kein Schaden entstanden sei. „Die Fahrzeuge haben alle das Update erhalten und sind spätestens seither in Ordnung gebracht“, sagt Moritz Becker. „Das ist auch nicht die Meinung der Volkswagen AG, sondern das haben mehrere Oberlandesgerichte in jüngster Zeit bestätigt.“ Im übrigen sei offen, „ob dieses Verfahren wie die anderen wenigen Großkundenverfahren, die es gibt, nicht vor dem Landgericht Braunschweig geführt werden muss“.

Und dann streiten die VW-Anwälte noch um die Details. Beträgt der Gesamtschaden tatsächlich mehr als 700 000 Euro? Oder was müsse nicht von vornherein all das abgezogen werden, was seit dem Kauf mit den Autos geschehen sei. Laufleistung und Nutzungskosten, Umbauten, die die Stadt an den Fahrzeugen vorgenommen hat und die Kosten für die Finanzierung.

Überdies, argumentieren die VW-Verteidiger, hätten Abertausende Kunden noch VW-Modelle mit der Schummel-Software in der Zeitspanne gekauft, als das Problem öffentlich und damit bekannt war, dass die Betriebserlaubnis erlöschen könne und die Software-Lösung aber noch gar nicht zur Verfügung stand. „Wir haben einen Sonderfall. Hier klagt eine Stadt, kein Privatkunde“, so die VW-Anwälte.

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Man könne gern gemeinsam ins Parkhaus gehen, die Fahrzeuge in Augenschein nehmen, die Tachostände vergleichen, schlägt Tobias Ulbrich vor und legt eine Liste mit den Details aller Autos auf den Tisch. Am Morgen fotografiert, die aktuellen Kilometer fein säuberlich dokumentiert. Das sei nun wirklich nicht nötig, so Richter Bellin. „Man kann Laufleistungen auch hochrechnen, wenn man davon ausgeht, dass die Angestellten der Stadt Bonn mit den Autos nicht morgen in den Urlaub fahren.“ Der Richter spricht von Nebelkerzen, die VW da zünde und schlägt vor, die Parteien sollten es mit einer gütlichen Einigung versuchen. Bis zum 18. Dezember haben die sie jetzt Zeit, sich auf eine Summe zu einigen, zu der VW sich bereiterklärt, die 27 Autos zurückzunehmen. Sollte das nicht der Fall sein, wird der Rechtsstreit weitergehen und Richter Bellin am 5. Februar ein Urteil verkünden. Das dürfte zugunsten Bonns ausfallen.

Am Mittag lässt Fuhrparkchef Klippel die Schummeldiesel aus der Tiefgarage am Stadthaus wieder abholen. Beim nächsten Mal, so hofft die Stadt, wird das im Auftrag von Volkswagen geschehen.

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