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Bundestag-Sondersitzung live„Dieser Krieg ist Putins Krieg“

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärt am SOnntag in einer Sondersitzung Deutschlands

Berlin – Die Sondersitzung des Bundestags am Sonntagvormittag wurde in kürzester Zeit zur einer historischen Zusammenkunft. 

Bei der Sitzung sitzen auch der Ex-Bundespräsident Joachim Gauck und der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk auf der Ehrentribüne. Für Meylnyk gab es zu Beginn der Sitzung Standing Ovations von den Parlamentariern.

Innerhalb weniger Minuten verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine Abkehr von lange geltenden politischen Konzepten: Aufrüstung statt Abrüstung, Energieunabhängigkeit von Russland und einzelnen Lieferanten, härtere Außenpolitik. Zudem betonte er in seiner Rede nochmal, dass das, was jetzt passiere, nicht in der Verantwortung des russischen Volkes liege. „Dieser Krieg ist Putins Krieg“, sagte Scholz. Deswegen müsse das Ziel sein, mit den Sanktionen vor allem die Verantwortlichen zu treffen.

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Die Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen will 100 Milliarden Euro an Schulden für die Bundeswehr aufnehmen, die jährlichen Ausgaben für die Verteidigung auf mehr als zwei Prozent der Wirtschaftsleistung steigen.

Unionsfraktionschef Friedrich Merz sagte der Regierung Unterstützung für die Sanktionen gegen Russland nach dem Angriff auf die Ukraine zugesagt. Die Union werde umfassende Maßnahmen unterstützen „und nicht im Kleinen herummäkeln“, so der CDU-Vorsitzende in seiner Antwort auf die Regierungserklärung.

Wenn Scholz eine umfassende Ertüchtigung der Bundeswehr wolle, werde die Union auch gegen Widerstände den Weg mit dem Kanzler gehen, sagte Merz.

Auch wenn Scholz es für nötig halte, die Energiepolitik der Regierung neu auszurichten, und mit der Union der Meinung sei, „dass wir jetzt endgültig auf keine weiteren Optionen der Energieerzeugung mehr verzichten dürfen, dann finden Sie dabei unserer tatkräftige Unterstützung“, betonte Merz.

Zugleich warnte der Unionsfraktionschef aber, das von Scholz angekündigte Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für Investitionen und Rüstungsvorhaben der Bundeswehr bedeute zunächst neue Schulden. Wie man diese neuen Schulden aufnehme und möglicherweise in der Verfassung verankere, „das geht nicht allein mit einer Regierungserklärung am Sonntagmorgen zu machen. Darüber müssen wir dann in Ruhe und im Detail sprechen.“

„Das machen wir dann in allen Teilen gemeinsam“, sagte Merz. „Nicht in der Arbeitsteilung, dass wir mit Ihnen für die unangenehmen Dinge den Kopf hinhalten und Sie in Ihrer Koalition dann unverändert weiter alle Wohltaten zu Lasten der jungen Generation verteilen“, warnte er Scholz. „Das machen wir dann nicht.“

Deutschland stehe „vor einem Scherbenhaufen der deutschen und europäischen Außen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte“, kritisierte Merz. Einige der vermeintlichen Gewissheiten gehörten der Vergangenheit an.

So führe einseitige Abrüstung nicht zu mehr, sondern zu weniger Sicherheit. Verantwortlich für den Angriffskrieg Russlands sei der russische Präsident Wladimir Putin.

„Aus diesem „lupenreinen Demokraten“, der er nie war, ist nun endgültig und für alle Welt sichtbar ein Kriegsverbrecher geworden“, sagte Merz mit einem Seitenhieb auf den früheren SPD-Kanzler Gerhard Schröder, ohne diesen beim Namen zu nennen. Schröder hatte Putin früher einen „lupenreinen Demokraten“ genannt.

Schon am Samstag hatte es eine historische Kehrtwende in der deutschen Politik gegeben. Deutschland will Waffen aus Bundeswehr-Beständen an die bedrängte Ukraine liefern. Es sollen 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ „Stinger“ aus Bundeswehrbeständen so schnell wie möglich in die Ukraine geliefert werden. Estland und die Niederlande erhielten die Erlaubnis, Waffen aus deutscher Produktion an die Ukraine zu liefern.

Bis zu dem Kurswechsel hatte die Bundesregierung alle Exporte tödlicher Waffen in die Ukraine prinzipiell abgelehnt, weil es sich um ein Krisengebiet handelt. 

Scholz sagte zu Beginn seiner Rede, dass Putin diesen Angriffskrieg auf die Ukraine kaltblütig vom Zaun gebrochen habe und das nur, weil die Freiheit der Ukraine Putins Unterdrückungsregime infrage stelle. Scholz betonte auch nochmal, dass der russische Überfall auf die Ukraine eine Zeitenwende markiere. (dpa/red)

Scholz betonte mit Blick auf die Sanktionen und den nun beschlossenen Swift-Ausschluss russischer Banken: „Dieser Krieg wird sich auch als Katastrophe für Russland erweisen.“ Schon jetzt hätten russische Börsenwerte um 30 Prozent nachgegeben, Scholz hat aber auch noch einmal betont, dass es vor allem darum gehe, die Verantwortlichen zu treffen und nicht das russische Volk, denn „dieser Krieg ist Putins Krieg“.

Kurswechsel in Verteidigungspolitik: 100 Milliarden extra für Bundeswehr

Einen Kurswechsel kündigte Scholz mit Blick auf die Ausstattung der Bundeswehr an. So werde es ein Sondervermögen Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro geben, um in neue Ausrüstung und Technik der Bundeswehr zu investieren. Scholz fordert zudem dieses Sondervermögen im Grundgesetz zu verankern. Zudem wolle Deutschland künftig mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. „Wir tun das für unsere Sicherheit“, sagt der Bundeskanzler.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj begrüßte zuvor die deutsche Entscheidung. „Weiter so, Kanzler Olaf Scholz“, schrieb er auf Twitter. Der ukrainische Botschafter in Berlin würdigte den Kurswechsel als historischen Schritt. „Wir sind froh, dass Deutschland endlich diese 180-Grad-Wende vollzogen hat“, sagte Botschafter Andrij Melnyk der Deutschen Presse-Agentur.

Die Ukraine hatte monatelang Waffenlieferungen gefordert. Die Bundesregierung blockte sie unter Verweis auf die strengen deutschen Rüstungsexportrichtlinien und den Koalitionsvertrag ab. Nach den Richtlinien, die vor mehr als 20 Jahren unter der rot-grünen Bundesregierung entstanden, werden keine Waffen in Krisengebiete geliefert.

Im Krieg Russlands gegen die Ukraine droht derweil eine Ausweitung der Kampfhandlungen vor allem in der Hauptstadt Kiew. Der Kreml behauptete, die Ukraine habe am Samstag Friedensverhandlungen mit Russland abgelehnt. Daher werde der „Vormarsch der wichtigsten russischen Streitkräfte“ wieder aufgenommen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Die ukrainische Führung dementierte. „Ihre Kommentare, dass wir Verhandlungen abgesagt hätten, sind lediglich Teil ihrer Taktik“, sagte Präsidentenberater Mychajlo Podolak einer Mitteilung zufolge.

Ukraines Präsident ruft zum Widerstand auf: Innenministerium gibt Waffen aus

Selenskyj rief seine Landsleute in Videobotschaften zur Abwehr russischer Angriffe auf. Nach Angaben des Innenministers wurden 25.000 automatische Waffen sowie zehn Millionen Patronen an Einwohner Kiews ausgegeben. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) teilte mit, dass weit mehr als 100.000 Menschen aus der Ukraine in Nachbarländer geflüchtet seien.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am Donnerstagmorgen den Angriff auf die Ukraine begonnen. Bereits am Freitag drangen russische Truppen an den Rand Kiews vor, die Hauptstadt wurde auch aus der Luft beschossen. In Kiew leben rund 2,8 Millionen Menschen.

Der Westen dreht die Sanktionsschraube enger. Die USA, Deutschland und weitere Verbündete vereinbarten am späten Samstagabend einen Ausschluss russischer Finanzinstitute aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift. Dies gilt als die bislang weitreichendste Reaktion. Der Schritt könnte dazu führen, dass der Handel zwischen Russland und dem Westen weitreichend eingeschränkt wird.

Betroffen werden nach Angaben der Bundesregierung alle russischen Banken sein, die bereits von der internationalen Gemeinschaft sanktioniert sind. Hinzu kommen sollen - soweit erforderlich - weitere russische Banken. Damit sollten diese Institute von den internationalen Finanzströmen abgeklemmt werden. Man arbeite mit den europäischen Behörden zusammen und bereite sich darauf vor, „den gesetzlichen Anweisungen nachzukommen“, teilte die 1973 gegründete und in Belgien ansässige Organisation mit. Swift stellt die technische Infrastruktur, damit Finanzinstitute bei Geldtransfers über Landesgrenzen hinweg sicher miteinander kommunizieren können.

Zusätzliche Sanktionen gegen russische Zentralbank geplant

Zudem soll es zusätzliche Sanktionen gegen die russische Zentralbank und auch gegen Oligarchen aus dem Umfeld Putins geben. Kanzler Scholz war wegen seiner Zurückhaltung beim Thema Swift-Sanktionen zuletzt international stark unter Druck geraten. Deutschland galt wegen der voraussichtlich hohen Kosten zuletzt als einflussreicher Bremser bei den Planungen für einen solchen Schritt.

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Erst kurz vor der Videokonferenz wichtiger westlicher Bündnispartner am Samstagabend hatten mehrere deutsche Minister bestätigt, dass die Bundesregierung einem Ausschluss russischer Finanzinstitute aus Swift nicht mehr im Wege stehen will. (dpa/red)

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