Clans in NRWReul: „Problem ist in meiner Amtszeit nicht zu lösen“

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Reul Razzia Clans

NRW-Innenminister Herbert Reul bei einer Razzia im Januar in Bochum

Düsseldorf – Dieser Auftrag seines Innenministers hat Thomas Jungbluth, Abteilungsleiter für Organisierte Kriminalität im Landeskriminalamt (LKA), vor einen ganzen Berg von Problemen gestellt. Ein Lagebild über kriminelle Familienclans in NRW zu erstellen – und das möglichst schnell – habe polizeiintern zwei Reaktionen ausgelöst, sagt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) in Düsseldorf. „Das war eine Mischung aus Begeisterung und Erleichterung, weil endlich was geschieht – und aus Mitleid und Resignation. Nach dem Motto: Das hält der politisch gar nicht durch.“

Seit Mittwoch liegt das Lagebild auf dem Tisch. Dreißig eng bedruckte Seiten, die bis ins kleinste Detail untermauern, „dass wir es eben nicht mit Eierdieben und Tabakschmugglern zu tun haben“, sagt der Minister. Vor einer „Shisha-Bar-Romantik“ könne er nur warnen. „Clankriminalität ist keine Kleinkriminalität. Wir reden von schweren Verbrechen bis hin zu Tötungsdelikten.“

Bis zu 18 verschiedene Schreibweisen des Familiennamens

Man habe sich mit „dieser Klientel qualitativ und quantitativ sehr intensiv auseinandergesetzt“, sagt Thomas Jungbluth. Die Auswertung der Kriminalstatistik habe kaum geholfen. Man habe die gesamte Datenbasis neu bewerten und sie allein über die Namen der Tatverdächtigen den Familienclans zuordnen müssen. Insgesamt hätten die Experten 211 Namen arabisch-türkischer Großfamilien herausgefiltert. Allein für die beiden Großclans O. und E., die vor allem im Ruhrgebiet aktiv sind und denen 20 Prozent aller 14.000 Straftaten zugeordnet werden konnten, existierten 17 beziehungsweise 18 verschiedene Schreibweisen der Familiennamen.

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Das gleiche Problem habe sich bei der Zuordnung der Straftaten ergeben. „Welche Person gehört zu welchem Problem?“, so Jungbluth. Man habe sich letztlich dazu entschlossen, die Clan-Namen im Lagebild abzukürzen, „weil nicht alle Familienmitglieder kriminell sind“. Das Fazit der Ermittler: Die Struktur der Clans ist schwer zu erfassen. „Wir gehen davon aus, dass sich unser Lagebild in den nächsten Jahren ändern wird und wir Familien neu zuordnen müssen“, sagt Jungbluth. Die Größe der Clans könne „vom niedrigen dreistelligen bis in den hohen vierstelligen Bereich liegen“.

Das LKA hat sich bei der Familienstruktur auch mit der Frage befasst, „warum Clans handeln, wie sie handeln“ und sei dabei auf Grundprinzipien gestoßen. Erstens: Die sogenannte „Ehre“ der Familie geht über alles. Zweitens: Es gilt das Recht des Stärkeren. Wer nicht durchsetzungsfähig ist, habe verloren. „Das Verlassen eines Clans ist kaum möglich“, sagt Jungbluth. „Die Regeln des Clans stehen über den Regeln des Rechtsstaats.“

Ein Drittel der Tatverdächtigen hat die deutsche Staatsangehörigkeit

Rund ein Drittel der Tatverdächtigen besitzt inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit, 31 Prozent haben einen libanesischen, 15 Prozent einen türkischen und 13 einen syrischen Pass. Drei Prozent sind staatenlos. Die Herkunftsanalyse birgt neuen Zündstoff.

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Die Behörden könnten nur erahnen, wie viel Einfluss die Clanchefs überhaupt auf die nachfolgende Generation haben. Die in Deutschland geborene Generation verhalte sich anders. „Sie beginnt damit, ihre Macht durch protziges Gehabe nach außen darzustellen. Sie wollen zeigen, dass sie es geschafft haben“, so Jungbluth. Dennoch könnten sie im Zweifel immer auf die Familie vertrauen, selbst wenn sie „eigene Geschäftsmodelle entwickeln“, von denen die Clanchefs gar nichts wissen.

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Durch die Verbindungen zu Teilen der Rapper-Szene erfahren die Clans „ein erhebliches Maß an Aufwertung, die der eigenen Reputation außerhalb des Milieus dienen soll“, heißt es zudem in dem Lagebild.

Drogenhandel, Sozialbetrug, Geldwäsche und Kontakte zur Rocker-Szene

Und diese „Geschäftsfelder“ sind vielfältig, vom klassischen Handel mit allen Arten von Betäubungsmitteln und Rauschgift, das Betreiben von Shisha-Bars und Wettbüros zur Geldwäsche, das Aufstellen von Spielautomaten und illegale Kfz-Verschiebungen über Sozialhilfebetrug bis zum Wuchergeschäft mit Schlüsseldiensten. Eine Gruppierung betrieb ein Call-Center in der Türkei, das anhand gefälschter Anruferkennung im Telefondisplay die Rufnummer der Polizei benutzte, um Wertsachen von Senioren zu erschleichen. Vereinzelt gebe es Verbindungen zur Rocker-, Türsteher- und Kampfsportszene. Der Schaden, der allein durch die Ermittlungsverfahren in diesen Bereichen der Organisierten Kriminalität aufgedeckt wurde, liegt bei 10,7 Millionen Euro. Immerhin 1,5 Millionen konnten die Strafverfolgungsbehörden an Vermögen bei den Clans abschöpfen.

Innenminister Reul: Problem ist in meiner Amtszeit nicht zu lösen

Innenminister Reul ist davon überzeugt, „dass wir dieses System in meiner Amtszeit nicht lösen können“. Das Landeskriminalamt habe „ganz akribisch Daten und Fakten zusammengetragen. Wir haben zum ersten Mal eine belastbare Basis. Das sind keine Vorurteile, sondern objektive Urteile.“ Der Minister sprach bei den zehn größten Clans, von denen sechs vor allem im Ruhrgebiet aktiv sind, „von Mafiastrukturen und Parallelwelten, in denen die Missachtung von Recht und Gesetz von einer auf die nächste Generation weitergegeben wird“. Diesen Mechanismus gelte es zu durchbrechen. Das dürften die Clans durchaus als Kampfansage verstehen, so der Minister.

Beim LKA stellt man zumindest im Ruhrgebiet eine gewisse Verunsicherung fest, weil die Polizei seit Sommer 2018 rigoros und intensiv durchgreift und die Clan-Mitglieder spürten, dass der Druck aufrechterhalten bleibe. Ein besonderes Augenmerk haben die Fahnder dabei auf die Mehrfachtäter gelegt. Durch eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Ordnungsbehörden, dem Zoll und anderen Institutionen wolle man dazu beitragen, ihnen so viele Straftaten und Vergehen nachzuweisen, dass es schneller zur Verurteilung komme. „Wir werden weiter Unruhe stiften und dranbleiben“, so Reul.

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