Corona-PandemieLandesregierung muss Antworten liefern

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Armin Laschet mit Schutzmaske am 24. März im Landtag in Düsseldorf.

Die am Dienstag vom Bundeskabinett beschlossene Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes zwingt Armin Laschet dazu, Farbe zu bekennen. Mitten im Laschet-oder-Söder-Machtkampf zwischen CDU und CSU um die Kanzlerkandidatur muss der NRW-Ministerpräsident am kommenden Donnerstag auf einer von SPD und Grünen beantragten Sondersitzung des Landtags zur Corona-Pandemie sprechen.

Weil das Gesetz wegen der parlamentarischen Beratungen im Bundestag mit drei Lesungen und der anschließenden Behandlung im Bundesrat frühestens Ende kommender Woche in Kraft treten kann, muss die Landesregierung bereits vorher eine Antwort auf die Frage geben, ob sie bis dahin ihren Pandemiekurs so weiterfahren wird. Der derzeitige Kurs der NRW-Landesregierung sieht keine Ausgangsbeschränkungen vor und setzt stattdessen auf kontrollierte Öffnungen in Teilbereichen von Modellkommunen, die schon ab kommenden Montag ermöglicht werden könnten.

Noch am Montag hatte Laschet, der mit seinem Vorschlag vom „Brücken-Lockdown“ Schiffbruch erlitten und dafür vor allem die SPD-Ministerpräsidenten verantwortlich gemacht hatte, in Berlin davor gewarnt, dass die Corona-Pandemie sich nicht nach den Fristen von Gesetzgebungsverfahren richte. Man habe schon zu viel Zeit verloren.

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SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty wirft Laschet am Dienstag vor, die Regelungen zur „Bundes-Notbremse“ auch schon wieder aufzuweichen. Das sei das Ergebnis, wenn ein ganzes Land „für die Karriereplanung in Geiselhaft genommen wird“. Man habe den Eindruck, „alle Vorschläge, die von Herrn Söder oder von Herrn Laschet gekommen sind, waren nicht mehr getrieben von der Idee, die Pandemie wirksam zu bekämpfen, sondern seinen Mitbewerber auszuspielen“.

„Die Pflicht zu sagen, was er machen wird“

Laschet habe „die Pflicht zu sagen, was er machen wird. Es kann nicht sein, dass die Schulen schließen und das Shoppen läuft weiter“, sagt Verena Schäffer, Fraktionschefin der Grünen im Landtag. Auch brauche es einen Plan „für die Inzidenz unter 100. Da sind nach wie vor auch zu hohen Zahlen“, so Schäffer.

Wie die schwarz-gelbe Landesregierung sich im Bundesrat verhalten wird, wenn es darum geht, die „Bundes-Notbremse“ auf den Weg zu bringen, ist unklar. „Wir bitten um Verständnis, dass die Landesregierung den aktuellen Beratungen nicht vorgreift und das Abstimmungsverhalten Nordrhein-Westfalens im Bundesrat grundsätzlich nicht vorher bekanntgeben wird“, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit.

Was der Koalitionspartner FDP von der Verschärfung hält, lässt an Deutlichkeit indes nichts zu wünschen übrig. Fraktionschef Christof Rasche übt massive Kritik an den Plänen. „Die Bundesregierung will mit dem Kopf durch die Wand. Die erhebliche Kritik von Kommunen, Länder, aus Mittelstand, Handel und Sport werde „einfach ignoriert, ebenso wie erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“. Das „Austricksen der Länder beziehungsweise des Bundesrates durch die Große Koalition ist ein Angriff auf den Föderalismus“, so Rasche. Ein weiterer Kritikpunkt sei, dass der Start von Modellkommunen allein durch das Kriterium zu hoher Inzidenzen blockiert werde. „So ist das Gesetz nicht zustimmungsfähig. Ich hoffe auf das Selbstbewusstsein der Abgeordneten im Bundestag.“

Kritik aus dem Expertenrat der Landesregierung

Aus Laschets Corona-Expertenrat kommt Verständnis für die Beschlüsse, aber auch Kritik am Fehlen einer Gesamtstrategie. „Was wir erleben, ist in erster Linie die Reaktion auf ein politisches Problem“, sagt der Kölner Psychologe Stephan Grünewald (Rheingold-Institut). Das „Gerangel“ der letzten Bund-Länder-Runde habe viel Vertrauen zerstört. Das durch den Bund gesetzte Signal von Konsequenz sei daher wichtig, müsse aber „inhaltlich gefüllt“ werden. „Ein noch weiteres Anziehen der Daumenschraube ohne Befristung würde die Zermürbung bei den Menschen und die Aushöhlung der Vorschriften noch verstärken“, warnt Grünewald.

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Die Medizin-Ethikerin Christiane Woopen sieht in den Beschlüssen erneut die Beschränkung auf einen Lockdown ohne Einbettung in ein umfassendes Konzept. „So trägt man aber nur den Kamm der Welle ab, und das vielleicht auch nur vorübergehend.“ Wieder konzentriere sich die Politik auf Inzidenzen und Branchen statt auf Schutzstrategien. „Was für ein langfristiges, wirkungsvolles Pandemie-Management unerlässlich wäre, wird auf die Verordnungsebene verschoben“, kritisiert Woopen und fragt, wie sichergestellt sei, „dass wissenschaftlich begleitete Modellprojekte auf Ebene der Länder und Kommunen bei niedriger Inzidenz nicht ausgehebelt werden“.

Professor Michael Hallek von der Uniklinik Köln hält die 100er-Inzidenz als Grenzwert der Notbremse zwar für politisch nachvollziehbar, aber für epidemiologisch falsch. Die Vorstellung, eine von der B.1.1.7-Mutation getriebene pandemische Entwicklung noch durch andere Maßnahmen steuern zu können, komme der Idee gleich, „auf einer Serpentinen-Strecke in den Dolomiten das Tempolimit bei 100 km/h festzulegen“, sagt Hallek. „Kurz: Die Schwelle müsste niedriger liegen.“ Als größtes Problem sieht der Chef der Klinik I für Innere Medizin das schleppende Tempo.

Der Zeitplan bis zur Verabschiedung des neuen Gesetzes mache ihm große Sorgen. „So viel Zeit haben wir nicht“, sagt Hallek . „Wir sind mit Blick auf die Intensivstationen in einer Situation, in der schnelle Entscheidungen wichtiger sind als nach allen Seiten hin gesicherte Entscheidungen.“

Ausführliche Statements zu den Beschlüssen der Bundesregierung

Professor Michael Hallek – Direktor der Klinik I für Innere Medizin – Uni-Klinik Köln

Eine bundeseinheitliche Regelung begrüße ich sehr. Was jetzt weiter geschieht, ist nicht mehr der Interpretationskunst der Länder überlassen. Ich halte auch die nochmalige Verschärfung der Kontaktbeschränkungen, die im Vergleich zu anderen europäischen Ländern immer noch verhältnismäßig milde ausfällt, für richtig – als eine der letzten noch verbliebenen Möglichkeiten, das Pandemiegeschehen zu dämpfen, ohne das Wirtschaftsleben komplett einzufrieren.

Die Inzidenz-Grenze von 100 klingt für eine so einschneidende Maßnahme wie eine Ausgangssperre angemessen und vernünftig. Aber die Vorstellung, mit der 100er-Inzidenz eine von der B.1.1.7-Mutation getriebene pandemische Entwicklung durch andere Maßnahmen steuern zu können, käme der Idee gleich, auf einer Serpentinen-Strecke in den Dolomiten das Tempolimit bei 100 km/h festzulegen. Mit der Geschwindigkeit fliegt man garantiert aus der Kurve. Kurz: Die Schwelle müsste niedriger liegen. Mir ist schon klar, was politisch dahintersteckt. Aber epidemiologisch ergibt sie keinen Sinn.

„Der Zeitplan macht mir Sorgen“

Sorgen, und zwar richtig große Sorgen, macht mir aber vor allem der Zeitplan. Bis der Kabinettsbeschluss vom Dienstag Gesetz wird, könnten noch einmal zwei Wochen vergehen. So viel Zeit haben wir nicht. Wir sind in einer Situation, in der schnelle Entscheidungen wichtiger sind als nach allen Seiten hin gesicherte Entscheidungen. Man kann im Moment sicher nicht immer alles vollständig richtig entscheiden. Viel, viel wichtiger ist in einer Notsituation wie dieser aber, dass man schnell entscheidet! Das sage ich auch mit Blick auf unsere Intensivstationen. Was ich hier inzwischen täglich erlebe, ist echt nicht schön.

Aufgezeichnet von Joachim Frank

Stephan Grünewald – Psychologe – Mitglied im Corona-Expertenrat der NRW-Landesregierung

Was wir erleben, ist in erster Linie die Reaktion auf ein politisches Problem: Das Gerangel der letzten Bund-Länder-Runde hat viel Vertrauen zerstört. Das Gezänk der Länderfürsten geht auf Kosten der Glaubwürdigkeit und Stimmigkeit politischer Entscheidungen. Und das Einsetzen des Wahlkampfs verstärkt diesen Eindruck. Deshalb ist der Beschluss vom Dienstag der Versuch, mit Stringenz aus der Sphäre der Beliebigkeit zu kommen, in der die Corona-Politik Ausdruck von Machtkämpfen ist, angefangen bei den Ministerpräsidenten Armin Laschet und Markus Söder in ihrem Ringen um die Kanzlerkandidatur der Union. Das vom Bund gesetzte Signal von Konsequenz ist da umso wichtiger.

Aber der Gestus der Konsequenz muss inhaltlich gefüllt werden. Für entscheidend halte ich es, dass ein noch härterer Lockdown mit Ausgangssperre ganz klar zeitlich limitiert sein muss. Schon jetzt ist die Bereitschaft zur Regelbefolgung löchrig. Ein noch weiteres Anziehen der Daumenschraube ohne Befristung würde die Zermürbung bei den Menschen und die Aushöhlung der Vorschriften noch verstärken. Wir haben schon jetzt einen Schattenalltag mit Grauzonen und Schlupflöchern, in dem die Menschen sich wieder mit einer gewissen Sorglosigkeit treffen – und das treibt ja das Infektionsgeschehen, weil diese Begegnungen meistens drinnen stattfinden. Deswegen plädieren wir im NRW-Expertenrat für vorsichtige, kontrollierte Öffnungen, die dazu führen, dass sich die sozialen Kontakte aus dem anarchischen privaten Raum in den öffentlichen Raum verlagern – abgesichert durch eine Testpflicht, konsequente Hygienevorschriften und die digitale Nachverfolgung, die zugleich die Gesundheitsämter entlastet. All das findet ja zuhause mit Besuchern im Wohnzimmer nicht statt.

Aufgezeichnet von Joachim Frank

Prof. Christiane Woopen – Medizinethikerin – Corona-Expertenrat der Landesregierung

Ich begrüße ein bundeseinheitliches Vorgehen. Aber was da beschlossen ist, beschränkt sich wieder auf einen Lockdown ohne Einbettung in eine Gesamtstrategie. Ohne ein umfassendes Konzept trägt man nur den Kamm der Welle ab, und das vielleicht auch nur vorübergehend.

Alles orientiert sich jetzt an der Inzidenz-Grenze von 100, für Schulen sogar 200. Das ist nicht gerade ein Anreiz, viel zu testen. Zudem: Einen fixen Wert in ein Gesetz zu schreiben, das in einem hochdynamischen Geschehen auf verschiedene Situationen anwendbar sein soll, halte ich für unpraktikabel.

Ein strikteres Reglement für die öffentlichen Verkehrsmittel ist aus dem Gesetzestext verschwunden, es wird aber mit der Ausgangssperre tief ins Privatleben eingegriffen. Wieder konzentriert man sich auf Inzidenzen und Branchen statt auf Schutzstrategien.

Was für ein langfristiges, wirkungsvolles Pandemie-Management unerlässlich wäre, wird auf die Verordnungsebene verschoben. Was ist zum Beispiel mit der Beschleunigung der Impfstrategie, einer soliden Teststrategie mit ausreichenden Testkapazitäten, der schnellen und umfassenden digitalen Nachverfolgung von Infektionsketten, der Festschreibung von Schutzstandards für Öffnungen? Und wie ist sichergestellt, dass wissenschaftlich begleitete Modellprojekte auf Landes- und kommunaler Ebene bei niedriger Inzidenz nicht ausgehebelt werden?

Angesichts dieser Situation bleibt zu hoffen, dass möglichst viele angesichts der beängstigenden Situation auf den Intensivstationen privat wie beruflich auch schon vor Verabschiedung der „Bundesnotbremse“ sofort und konsequent zur Vermeidung von Infektionen beitragen.

Aufgezeichnet von Joachim Frank

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