Abo

Coronavirus in SchwedenCafés, Bars und Clubs – Alles ist erlaubt

Lesezeit 3 Minuten
Schönes Wetter, die Menschen in Stockholm zieht es auch in Gruppen ins Freie.

Schönes Wetter, die Menschen in Stockholm zieht es auch in Gruppen ins Freie.

  • Wo in anderen Ländern derzeit Kontakt- und Ausgangssperren zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus herrschen, gibt es in Schweden kaum Einschränkungen.
  • Bars, Kindergärten und Schulen bis einschließlich der neunten Klasse sind weiterhin geöffnet.
  • Auch die Politik scheint die Corona-Krise nicht wirklich ernst zu nehmen.

Stockholm – Schweden hat im Verhältnis zu seiner Bevölkerungszahl nicht weniger Corona-Fälle als viele andere Länder. Dennoch ist in Stockholm noch immer so gut wie alles erlaubt. In keiner Stadt Europas ist das Leben derzeit noch so frei. Cafés, Fitnessstudios, Büros, Bars, Kindergärten und Schulen bis einschließlich der neunten Klasse sind weiterhin geöffnet. Auch Klopapier stapelt sich zumindest im Stadtteil Södermalm in den Regalen. Einige Deutsche schicken es nach Berlin an ihre Familien.

In der Bar Tjoget im hippen Stockholmer Stadteil Hornstull klirren Freitagnacht die Gläser, Stimmengewirr überall. Am Fenster sitzen wegen der lauten Musik drei Frauen in Schlaghosen und Turnschuhen dicht beieinander. Die Bar ist nicht so extrem gut gefüllt wie sonst, aber doch voll. „Ach, jüngere Leute werden ja kaum krank vom Virus, außerdem wären die Bars ja zugemacht worden, wenn das gefährlich wäre“, sagt eine der Frauen und nippt an ihrem Whisky.

Corona scheint im schwedischen Alltag kaum spürbar

Im Barklub Timebar mit DJ und Tanzfläche ist bis drei Uhr morgens noch mehr los. Freigiebig werden schwedenteure Drinks zum Nippen von Person zu Person gereicht. Irgendwie hat Corona die selbst im Vergleich zu den Deutschen viel steiferen Schweden offener, redseliger, wärmer gemacht. Vielleicht aber verhalten sie sich einfach nur waghalsig.

Auch der hippe Friseursalon Hårgänget auf der vollen Einkaufstraße Götgatan ist am Samstagmorgen bestens besucht. Im Café Vurma nebenan hat sich eine kleine Schlange gebildet. Die 27-jährige Innenarchitektin Amanda steht an der völlig offenen Kuchentheke, um sich eine Leckerei zum Kaffee zu bestellen. Haselnussplätzchen. Auch sie war am Abend davor auf einer Party. Ein Schild besagt, dass sich keine lange Schlange bilden darf, aber kaum jemand hält sich daran.

Im Fitnessstudio Friskis und Svettis ist die Reihe mit neun dicht aneinandergereihten Laufbändern am Sonntag gegen 17 Uhr voll besetzt. Auch einige Kinos sind weiterhin geöffnet. Allerdings existiert auch in Stockholm die bislang nicht wirklich scharf kontrollierte Einschränkung, dass maximal 50 Menschen zusammenkommen dürfen.

„Die Krise wird sich nicht lange hinziehen“

Nachdem in jedem dritten Stockholmer Altenheim das Coronavirus nachgewiesen wurde, gibt es mittlerweile ein Besuchsverbot für alte Menschen. Jede Einrichtung darf allerdings selbst entscheiden, ob sie schließen möchte oder nicht, das gilt auch für Grundschulen und Kindergärten. Arbeitnehmern wurde zudem empfohlen, von daheim aus zu arbeiten.

Allerdings klagen die Unternehmerverbände über die Zustände der Gegenwart. Die Angst machenden Empfehlungen müssten ein schnelles Ende finden, heißt es. Schwedens Regierung hat bereits Stützmaßnahmen bereitgestellt. Die Haushaltslage lässt das zu, sie gilt als ausgezeichnet. Noch. „Die Finanzministerin hat eine Prognose abgegeben, darin heißt es, die Krise werde sich nicht sehr lange hinziehen“, teilt der sozialdemokratische Ministerpräsident Stefan Löfven mit.

Das klingt trotzig bis ignorant. Fest steht: Bei der Corona-Bekämpfung überwiegt weiterhin die Freiwilligkeit. Regierung und Opposition lassen vor allem Experten der nationalen Gesundheitsbehörde über die Eindämmungspolitik des Landes entscheiden. Vor allem Anders Tegnell, Oberarzt und Staatsepidemiologe, und dessen Behördenchef Johan Carlson tragen in diesen Tagen die Hauptverantwortung für die rund zehn Millionen Schweden.

„Ich glaube nicht an Verbote“

Verbote könne man vielleicht eine Woche, aber nicht längerfristig durchsetzen, sagt Behördenchef Carlson. „Ich glaube insgesamt nicht an Verbote“, ergänzt er. „Wenn man über Maßnahmen spricht, die über Monate halten sollen, ist es wichtig, darauf zu vertrauen, dass Menschen ihrer Verantwortung nachkommen, dass sie daheim bleiben, wenn sie Symptome aufweisen“, sagt der Wissenschaftler nachgiebig.

Das könnte Sie auch interessieren:

Ministerpräsident Löfven spricht gleichwohl auch in Bezug auf die langfristige Perspektive von „Tausenden“, die sterben könnten und schließt nicht aus, dass es härtere Maßnahmen geben wird. Aber er sagt auch: „Unsere Strategie ist richtig. Ich höre auf diejenigen, die fundierte epidemiologische Kenntnisse haben“, sagt Löfven.

In Schweden wurden laut Johns Hopkins Universität am Dienstagnachmittag (16 Uhr) 7693 positiv auf Corona getestete Personen registriert. 591 Menschen sind an den Folgen der Krankheit bisher gestorben.

KStA abonnieren