Abo

Das steht im SondierungspapierDie Tür für Schwarz-Grün in NRW ist weit offen

Lesezeit 6 Minuten
Sondierung

Mona Neubaur und Hendrik Wüst stehen vor dem Beginn von Sondierungsgesprächen vor der Presse.

Düsseldorf – Vier Tage haben die Verhandlungen gedauert. Am späten Freitagabend haben die Delegationen von CDU und Grünen ihre Arbeit erfolgreich beendet. Die Parteien verständigten sich auf ein gemeinsames Sondierungspapier.

Damit haben die Parteivorsitzenden Hendrik Wüst (CDU) und Mona Neubaur (Grüne) die Tür zu einer Regierungsbildung weit aufgestoßen. Am Sonntag müssen die Parteigremien von CDU und Grünen noch darüber abstimmen, ob das Konsenspapier die Erwartungen erfüllt. Dann können in der nächsten Woche die Koalitionsverhandlungen zwischen den Parteien beginnen.

„Die CDU nimmt ihre Verantwortung aus dem Ergebnis der Landtagswahl wahr, eine stabile Regierung für unser Land zu bilden“, sagte Wüst. „In der Versöhnung von vermeintlichen Gegensätzen liegt die Kraft für unsere Zukunft“, fügte er hinzu.

Alles zum Thema Hendrik Wüst

Mona Neubauer erklärte: „Beide Parteien eint der ernsthafte Wille, in Zeiten multipler Krisen generationengerechte Lösungen für die Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft zu finden. Wir sind überzeugt, genau das mit diesem Ergebnis für die Menschen in NRW erreichen zu können und empfehlen unserer Partei deshalb selbstbewusst, am kommenden Sonntag Koalitionsverhandlungen zuzustimmen.“

Sondierungen in NRW: Einigung in zentralen Politikbereichen

Das Sondierungsergebnis ist 12 Seiten lang und trägt den Titel „Für die Zukunft von NRW“. In zentralen Politikbereichen konnten sich CDU und Grüne auf gemeinsame Eckpunkte einigen. Ein Kernpunkt ist der Ausbau der Windenergie. „Wir werden durch eine Ermöglichungsplanung die Voraussetzungen dafür schaffen, dass in den kommenden fünf Jahren mindestens 1000 zusätzliche Windkraftanlagen in unserem Land entstehen, auch auf Industrie-, Gewerbe-, Forst- und Kalamitätsflächen sowie entlang von Verkehrswegen“, heißt es in dem Papier.

Um die Betroffenheit der Anwohner zu minimieren, soll „der Ausbau auf neue geeignete Flächen konzentriert werden“. Zum Abstand von Windrädern und Wohnbebauung heißt es: „Aufgrund des überragenden öffentlichen Interesses an einem beschleunigten Ausbau werden wir alle einschlägigen rechtlichen Regelungen grundlegend überprüfen und wenn notwendig ändern.“

Schulen: 10.000 neue Lehrkräfte

Im Bereich Schule kündigten CDU und Grüne eine Einstellungsoffensive an. „Zur Sicherung der Unterrichtsversorgung werden wir in den kommenden Jahren 10.000 zusätzliche Lehrkräfte einstellen. Um Lehrkräfte und Schulleitungen zu entlasten, werden wir ihnen verstärkt multiprofessionelle Teams und Verwaltungsfachkräfte an die Seite stellen“, heißt es in dem Papier.

Und weiter: „Mit einem verbindlichen Stufenplan werden wir die Eingangsbesoldung für alle Lehrkräfte auf A13 anheben, Bestandslehrkräften den Aufstieg ermöglichen und in einem ersten Schritt bereits im Nachtragshaushalt 2022 Mittel bereitstellen.“

Innere Sicherheit: 3000 neue Polizisten pro Jahr

In der Innenpolitik bekräftigten die Parteien den Willen, die Polizei zu stärken. „Wir stehen für eine grundrechtsorientierte Sicherheitspolitik und die konsequente Durchsetzung des Rechts. Dafür werden wir jährlich 3.000 Polizeikräfte einstellen und die Abbrecherquote bei der Polizeiausbildung senken.“

Der Rechtsextremismus sei derzeit die größte Gefahr für die Demokratie: „Die Sicherheitsbehörden werden weiterhin konsequent dagegen vorgehen und dabei auch neue Herausforderungen wie Hate Speech und Verschwörungsmythen in den Blick nehmen.“ Beim Landtag soll die Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten eingerichtet werden. Das umstrittene Versammlungsgesetz soll Ende 2023 unabhängig und wissenschaftlich evaluiert werden. Aussagen zur Bekämpfung der Clan-Kriminalität finden sich nicht.

Verkehr: 1000 Kilometer neue Radwege

Um die Verkehrswende voranzutreiben, soll der Bau von Radwegen forciert werden: „Dazu wollen wir bis 2027 rund 1000 km neue Radwege bauen und die personellen Ressourcen zur Planung beim Landesbetrieb erhöhen. Wir werden mindestens genauso viele Mittel für den Neu- und Ausbau von Radwegen zur Verfügung stellen wie für den Neu- und Ausbau von Landesstraßen.“

Zum Streitpunkt, ob neue Straßen gebaut werden dürfen, lautet die Kompromissformel: „Beim Straßenbau hat die Sanierung für uns Vorrang vor dem Neubau. Wir werden die Mittel für den Erhalt mindestens verstetigen. Zu Beginn der Wahlperiode werden wir den Landesstraßenbedarfsplan nach den Kriterien verkehrlicher Bedarf, Finanzierung und Klimaschutz auf Basis des Landesverkehrsmodells neu aufstellen und uns über den Fortgang laufender Projekte verständigen.“

Umwelt: Flächenverbrauch wird gebremst

In der Umweltpolitik soll die Flächenversiegelung deutlich eingegrenzt werden. Im Sondierungspapier heißt es dazu: „Das Prinzip der Flächensparsamkeit soll Leitschnur unseres Regierungshandelns sein. Unser Ziel ist es, den Flächenverbrauch zeitnah auf 5 ha pro Tag und perspektivisch auch weitergehend durch konkrete Maßnahmen zu reduzieren. Dazu gehören flächenschonendes Bauen, die Nutzbarhaltung vorhandener Industrie- und Gewerbeflächen und Flächenrecycling.“

Gesundheit: Mehr Geld für Pflegekräfte

Im Gesundheitsbereich setzen CDU auf eine bessere finanzielle Ausstattung der Kliniken in NRW. „Im Rahmen der Krankenhausplanung setzen wir auf eine Verzahnung von ambulantem Angebot mit stationärer Versorgung sowie eine Spezialisierung der Krankenhäuser. Die Grund- und Notfallversorgung muss flächendeckend wohnortnah verfügbar sein.“

In der Pflege soll es einen neuen „Tarifvertrag Entlastung“ geben. Zudem sollen mehr Pflegekräfte aus dem Ausland angeworben werden. Zur Pandemie-Bekämpfung heißt es lediglich: „Wir behalten die Corona-Pandemie im Blick und treffen schon jetzt alle nötigen Vorbereitungen für den Herbst, insbesondere für unsere Bildungseinrichtungen.“

Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre

Bei der Lösung der Altschulden-Problematik der Kommunen wollen CDU und Grüne nicht länger dem Bund das Heft des Handelns überlassen. „Sollte der Bund seiner Verantwortung in diesem Bereich nicht nachkommen, bekennen wir uns dazu, im kommenden Jahr selbst eine Lösung herbeizuführen“, kündigten CDU und Grüne an.

Bei der Senkung des Wahlalters setzten sich die Grünen durch. „Das aktive Wahlrecht ab 16 Jahren auf Landesebene wollen wir einführen und die Beteiligung und Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen durch einen Aktionsplan stärken“, steht im Sondierungspapier. Der Anteil von Frauen in den Parlamenten soll „durch eine verfassungsgemäße Änderung des Wahlrechts“ erhöht werden.

Das könnte Sie auch interessieren:

Ein schwarz-grünes Bündnis hat es in NRW bislang noch nicht gegeben. Sollte der Pakt zu Stande kommen, könnte Wüst noch vor der Sommerpause vom Landtag zum nächsten Ministerpräsidenten gewählt werden.

Parteigremien tagen am Sonntag

Bei den Grünen kommen rund 100 Delegierte am Sonntag in Essen zu einem kleinen Parteitag zusammen, um auf Grundlage der Ergebnisse über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen abzustimmen. In Düsseldorf wird der ähnlich große erweiterte Landesvorstand der CDU darüber entscheiden.

Die CDU hatte die Wahl am 15. Mai mit 35,7 Prozent klar gewonnen. Die SPD rutschte mit 26,7 Prozent auf ihr schlechtestes Ergebnis bei einer NRW-Landtagswahl ab. Die Grünen konnten ihren Stimmenanteil im Vergleich zu 2017 auf 18,2 Prozent fast verdreifachen und landeten auf dem dritten Platz.

Schwarz-Grün – auch ein Modell für Berlin?

Für die Union im Bund ist Schwarz-Grün ein neuer Hoffnungsschimmer. Der Politik-Wissenschaftler Karl-Rudolf Korte sieht die „Zeit reif“ für Schwarz-Grün als „neue Bürgerlichkeit in der Mitte“.

CDU und Grüne lägen in NRW nicht weit auseinander. „Beide sind in der Realpolitik angekommen“, sagte der Professor an der Universität Duisburg-Essen. „Die Grünen sind keine Verbotspartei mehr, sondern eine Macherpartei.“

Auch die Union wolle gestalten. Ministerpräsident Hendrik Wüst habe mit dem Bekenntnis zu einem vorgezogenen Kohleausstieg bis 2030 Beweglichkeit und die Fähigkeit der CDU gezeigt, „enkelfähige Politik zu machen“.

KStA abonnieren