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Die Grünen, Anti-Laschet und LiminskiDas sind die Erfolgsgeheimnisse von Hendrik Wüst

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Wüst Hand dpa

Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen.

  • Viele Skeptiker prophezeiten Hendrik Wüst nur eine kurze Amtszeit als Winterkönig. Nun ist Wüst als Ministerpräsident von NRW wiedergewählt.
  • Was ihm auf dem Weg zum Erfolg half und welche Risiken während seiner Amtszeit noch lauern können.
  • Eine Analyse.

Düsseldorf – „Ich nehme die Wahl an!“ Hendrik Wüst hat es geschafft. Der Düsseldorfer Landtag hat den CDU-Chef zum neuen Ministerpräsidenten von NRW gewählt. Wüst erhielt offenbar 106 Stimmen von CDU und Grünen, den neuen Regierungsparteien. Fünf der 115 Abgeordneten dieser beiden Parteien fehlten bei der Stimmabgabe. Ein guter, wenn auch nicht makelloser Start. Dass der 46-Jährige erneut auf der Regierungsbank Platz nehmen würde, galt lange nicht als ausgemacht.

Die schwere Schlappe von Wüst-Vorgänger Armin Laschet bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr hatte die NRW-CDU in eine tiefe Krise gestürzt. In der Partei gab es auch an hoher Stelle durchaus Zweifel daran, ob Wüst der richtige Mann als Spitzenkandidat sein würde. Viele unkten, Wüst werde ein „Winterkönig“ bleiben und schon wenige Monate nach der Amtsübernahme bei der Landtagswahl scheitern.

Doch es kam ganz anders. Wüst hat bei dem Urnengang nicht nur das Wahlergebnis der CDU von 2017 verbessert, ihm gelang es auch, erstmals ein Bündnis mit den Grünen zu schmieden. Schwarz-Grün will NRW zu einem klimaneutralen Industrieland umbauen. Ein ehrgeiziges Ziel. Hat Wüst Erfolg, stehen ihm alle Türen offen.  Wie hat er es geschafft, zu einem der wichtigsten Hoffnungsträger der Union zu werden? Unsere Analyse zeigt, dass neben eigenem Zutun, auch Glück, Zufälle und äußere Umstände geholfen haben.

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Wüst hatte keinen ernsthaften Widersacher

Laschets-Wahlschlappe wurde zum Turbo für Wüst. Seine Helfer schworen die Bezirkschefs der NRW-CDU darauf ein, dass sich die Fehler des Bundestagswahlkampfs – Machtkämpfe und interner Zwist - in NRW nicht wiederholen dürften. Das brachte Kritiker der Wüst-Kandidatur zum Schweigen. Am Ende half auch die normative Kraft des Faktischen: Der Münsterländer war der einzige Bewerber, der über das Landtagsmandat verfügte, das laut Landesverfassung vorgeschrieben ist, um in der laufenden Wahlperiode als Ministerpräsident nachgewählt werden zu können.

Wüst inszieniert sich als Anti-Laschet

Sofort nach der Wahl zum Regierungschef wird deutlich, dass Wüst einen komplett neuen Stil zur Schau stellt. Er wirkt überlegt und rational. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger weiß er ganz genau, wo seine Sätze enden sollen. Zwischen den Worten lässt er lange Pausen. Anders als Laschet, der sich in der Pandemie das Image des Lockerers erworben hatte, fühlt sich Wüst dem „Team Vorsicht“ zugehörig. Anders als Laschet, der immer Rücksicht auf den Koalitionspartner genommen hatte, grenzt sich der neue Chef in der umstrittenen Corona-Politik von der FDP ab. Das bringt der CDU im Wahlkampf Pluspunkte.

Wüst übernimmt Laschets eingespieltes Personal

Frühzeitig sondiert der 46-Jährige, ob Laschets Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminiski, auch ihn unterstützen würde. Der „CDS“ ist das „Hirn“ des Düsseldorfer Regierungsapparats. Liminski sagt Wüst seine Unterstützung zu. Das hilft dem Neuling auf der Regierungsbank, handwerkliche Pannen in der kurzen Regierungszeit zu vermeiden. Liminski war einer der engsten und wichtigsten Berater von Laschet. Jetzt profitiert Wüst von dem „Mastermind“.

Wüst gibt den Geläuterten

Wüst hat die Schlussfolgerungen aus seinem Scheitern als CDU-Generalsekretär in der Regierungszeit von Jürgen Rüttgers (2005 bis 2010) gezogen. Seine Strategie, die SPD-Spitzenfrau Hannelore Kraft mit aggressiven Kampagnen zu verunglimpfen, war damals krachend gescheitert und mündete in Wüsts schmachvollem Rücktritt. Im Jahr 2022 gibt sich Wüst geläutert. Sein Wahlkampfchef Michael Breuer präsentiert Wüst als heimatverbundenen Anpacker, der beim Fahrradfahren in der Natur auch schon mal einen Graben überspringt, um eine Abkürzung zu nehmen. Es gelingt ihm, die CDU-Stammwähler auf dem Land zurückzuholen, die sich vom Großstadt-Kurs der Laschet-CDU verprellt fühlten.

Wüst profitiert von der Schwäche der SPD

Der Eindruck, dass die Ampel-Koalition in Berlin nicht in Tritt kommt, schadet dem Wahlkampf der NRW-SPD. Sie ist zudem dem Vorwurf ausgesetzt, dass die SPD „ein Russland-Problem“ habe. SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty gelingt es nicht, mit eigenen Themen zu punkten. Die „Mallorca-Affäre“, die zum Rücktritt der früheren NRW-Umweltministerin Heinen-Esser (CDU) führt, verfehlt ihre Wirkung als Wahlkampf-Torpedo als herauskommt, dass die SPD versucht hatte, die Tochter der Ministerin auszuspähen. Gleichzeitig rückt der Ukraine-Krieg das Thema Sicherheitspolitik in den öffentlichen Fokus. Hier hilft der Nulltoleranz-Kurs von NRW-Innenminister Herbert Reul der CDU im Wahlkampf. Kurz vor der Wahl kommt es zu einer Schießerei zwischen Rockern und Clan-Kriminellen in Duisburg.

Die Grünen wollen unbedingt regieren

Wüst hilft, dass die Grünen nach fünf Jahren Opposition endlich wieder Regierungspartei werden wollen. Empfehlungen aus Berlin, auch in NRW eine Ampel zu bilden, laufen bei Landeschefin Mona Neubaur ins Leere. Die Grünen haben Wüst in der Hand, und der muss hohe Preise für das Bündnis zahlen. So liegen fast alle Planungsprozesse künftig in der Hand der Öko-Partei. In der Verkehrspolitik legen die Grünen die Daumenschrauben an, wollen den Bau von Umgehungsstraßen verhindern. In der Innenpolitik dürften die drohenden Konflikte um die Revision des Polizeigesetzes oder die Einführung von Elektro-Schockern nur kurzzeitig durch die Semantik des Koalitionsvertrags verdeckt werden.  Auf dem Land droht der CDU Ärger, wenn der Wegfall der 1000-Meter-Abstandregeln für den Bau neuer Windkraft-Anlagen in der Nähe von Ortschaften sorgt.

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Risiken und Nebenwirkungen von Schwarz-Grün

Am Mittwoch stellt Wüst sein neues Kabinett vor. Da viele Posten neu besetzt werden können, hat der Regierungschef große Gestaltungskraft. Die Arbeit des Schulministeriums könnte zum ersten „Elchtest“ für das neue Bündnis werden. Gelingt es nicht, die Pannen im Corona-Management der vergangenen Jahre endlich abzustellen, dürfte die Glaubwürdigkeit des neuen Bündnisses schnell verspielt sein. In der Energiepolitik kommen schwere Aufgaben auf die Grüne-Spitzenfrau Mona Neubaur zu. Sie verfügt über keinerlei Parlamentserfahrung. Wüst kann nur hoffen, dass das nicht zu einer Hypothek für die Regierungsarbeit wird.

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