Die VergessenenWie Nichtwähler die Kommunalwahl in NRW beeinflusst haben

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Plakat der Satirepartei „Die Partei“ zur Kommunalwahl in NRW

Plakat der Satirepartei „Die Partei“ zur Kommunalwahl in NRW

  • Alle reden über die Wählerinnen und Wähler – doch der Einfluss, den die vielen Nichtwähler haben, wird kaum thematisiert.
  • Der Soziologe Manfred Güllner analysiert, wie die Parteien bei der Kommunalwahl in NRW abschneiden, wenn man ihr Ergebnis auf alle Wahlberechtigten in NRW bezieht – mit überraschenden Ergebnissen.
  • Außerdem analysiert er die Gründe für die erschreckend hohe Wahlenthaltung in vielen Städten.

Manfred Güllner – Die Parteien und politischen Beobachter bewerten den Ausgang einer Wahl und die Gewinne und Verluste der einzelnen Parteien am Wahlabend aufgrund der abgegebenen gültigen Stimmen. Dabei wird eine in den letzten Jahren immer größer gewordene Gruppe, nämlich die „Partei der Nichtwähler“ meist ausgeblendet.

Doch die Zahl der Nichtwähler (einschließlich der ungültigen Stimmen) war auch bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen mit 6,958 Millionen wieder einmal größer als die Summe der Stimmen für CDU, SPD, Grüne, FDP, Linke und die sonstigen kleinen Parteien und Wählergruppen mit 6,910 Millionen. In den kreisfreien Städten beteiligten sich 52, in den Landkreisen 47 von 100 Wahlberechtigten nicht an der Wahl beziehungsweise gaben eine ungültige Stimme ab. Die höchste Zahl von Nichtwählern (61 Prozent) gab es in Duisburg.

Manfred Güllner

Manfred Güllner

Damit setzt sich auch in Nordrhein-Westfalen eine bereits in anderen Ländern festzustellende Tendenz zu großer Wahlenthaltung bei lokalen Wahlen fort. Ein Grund dafür dürfte sein, dass durch die Aufhebung der Sperrklausel bei kommunalen Wahlen eine Zersplitterung der Parteienwesens eingetreten ist, die zusammen mit einem Überangebot an von vorneherein chancenlosen Kandidaten bei der Wahl der Bürgermeister beziehungsweise Oberbürgermeister eher zur Verwirrung der Wähler als zu einer Stärkung der Demokratie beiträgt.

Der Niedergang der SPD an Rhein und Ruhr

Die SPD, die seit Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen fast ein halbes Jahrhundert den Ministerpräsidenten stellte, wurde bei der Kommunalwahl am Sonntag nur noch von zwölf von 100 Wahlberechtigten gewählt. Die Partei, die ihren landes- und bundesweiten Aufstieg in den 1950er und 1960er Jahren ihrem großen Vertrauen verdankte, das ihr in den Städten und Gemeinden entgegengebracht wurde, hat inzwischen ihre einstige große Bindekraft fast vollständig verloren. Noch am Ende der 16-jährigen Kanzlerschaft von Helmut Kohl konnte sie 39 von 100 Wahlberechtigten zur Stimmabgabe zugunsten der SPD bewegen. Danach verlor die SPD seit 1998 in etwas mehr als zwei Jahrzehnten über zwei Drittel (68 Prozent) ihrer einstigen Wähler an Rhein und Ruhr. Nur bei der Europawahl im letzten Jahr mobilisierte die SPD noch etwas weniger Wahlberechtigte (11,7 Prozent) als bei der Kommunalwahl.

CDU mobilisiert bei Kommunalwahl weniger

Die CDU wurde am Sonntag von 17,5 Prozent aller Wahlberechtigten gewählt. Das war im Vergleich zur Bundestagswahl im Jahr 2017 ein Minus von 28 Prozent, im Vergleich zur Landtagswahl 2017 ein Minus von 17 Prozent und im Vergleich zur vorherigen Kommunalwahl 2014 ein Minus von fünf Prozent.

Landesweit bleibt die CDU mit 17,5 Prozent auf Basis aller Wahlberechtigten stärkste politische Kraft. Doch in den kreisfreien Städten liegt sie mit 13 Prozent (bezogen auf alle Wahlberechtigten) nur knapp vor der SPD mit 12,4 Prozent und den Grünen mit 10,6 Prozent. In den Landkreisen jedoch liegt die CDU mit 20,4 Prozent der Wahlberechtigten klar vor der SPD mit 12,4 Prozent und den Grünen mit 9,9 Prozent.

Grüne bei Europawahl stärker

Bei der Europawahl im Mai 2019 waren die Grünen mit einem Anteil von 14,1 Prozent aller Wahlberechtigten zweitstärkste politische Kraft vor der SPD mit 11,7 Prozent. Doch bei der Kommunalwahl sank der Anteil der Grünen um 28 Prozent auf nur noch 10,2 Prozent. Damit sind die Grünen trotz eines deutlichen Stimmengewinns im Vergleich zur Bundestagswahl 2017, als sie von 5,7 Prozent der Wahlberechtigten gewählt wurden (ein Plus von 79 Prozent) noch keine in allen Schichten der Bevölkerung verankerte Volkspartei. Sie bleiben auch in Nordrhein-Westfalen eine Partei der höheren, in den urbanen Metropolen wohnenden Bildungsschichten.

FDP, Linke und AfD ohne lokale Wählerbasis

Die FDP und die Linke waren auch in der Vergangenheit auf lokaler Ebene in nur geringem Maße in der Wählerschaft verankert. Mehr Stimmen als bei Wahlen vor Ort erhielten sie je nach politischer Großwetterlage bei Landtags- beziehungsweise Bundestagswahlen. Entsprechend büßte die FDP bei der Kommunalwahl 71, die Linke 64 Prozent ihrer Wähler von 2017 ein.

Noch größer war der Wählerschwund bei der AfD. Sie erhielt bei der Kommunalwahl 80 Prozent weniger Stimmen als bei der Bundestagswahl 2017. Und auch im Vergleich zur Europawahl 2019 konnte die AfD nur noch die Hälfte ihrer damaligen Wähler bei der Kommunalwahl wieder zur Stimmabgabe bewegen. So wie bei allen anderen Wahlen seit 2017 konnte die AfD auch an Rhein und Ruhr ihr 2017 erreichtes Wählerpotential auch nicht annähernd wieder ausschöpfen.

Manfred Güllner ist Soziologe, Sozialpsychologe und Betriebswirt. Der 78-Jährige ist Gründer und Geschäftsführer des Forsa-Instituts.  

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