Entscheidung über AtmokraftGeht auch belgischer Skandalreaktor Tihange vom Netz?

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Das Kraftwerk  von Tihange in Belgien, gelegen in Grenznähe zu Deutschland.

Aachen – Am 18. März soll Belgien endgültig entscheiden, ob das Land im Jahr 2025 aus der Kernenergie aussteigt. Diesmal wirklich? Es ist nicht die erste „finale Entscheidung“ darüber. Und so nimmt in Belgien auch niemand den neuen Tag der Entscheidung sonderlich ernst.

Samuel Cogolati ist in Huy geboren. Dort steht das Atomkraftwerk Tihange, dessen Meiler 2 mit seinen Tausenden Haarrissen im Reaktordruckbehälter zunächst in Aachen und dann bis nach Köln und in ganz NRW „berühmt“ wurde und für Proteste gesorgt hat.

Cogolati sitzt für die belgischen Grünen im Parlament. Das Gesetz über den Ausstieg aus der Kernenergie wurde in Belgien 2003 beschlossen. „Damals war ich 14 und ging zur Schule. Heute bin ich Abgeordneter, und die Politik befasst sich immer noch damit, wie wir das Gesetz umsetzen“, sagte Cogolati im Gespräch mit unserer Zeitung. „Das ist absurd.“ Belgien habe zu viel Zeit verloren.

Selbst die Betreiber bitten die Regierung um den Ausstieg

Genau genommen hat Belgien so viel Zeit verloren, dass sogar Engie (früher Electrabel), der Betreiber der beiden belgischen Atomkraftwerke in Tihange (bei Lüttich) und Doel (bei Antwerpen), die Regierung in einem Brief darum gebeten hat, aus der Kernenergie nun aber wirklich auszusteigen.

Trotzdem scheint derzeit alles möglich. Die belgische Atomaufsichtsbehörde Fanc hat am 18. Januar eine Stellungnahme veröffentlicht, wonach die Laufzeitverlängerung für die beiden jüngsten Atommeiler, Tihange 3 und Doel 4, möglich sei. In dieser Stellungnahme heißt es, dass die beiden Meiler den Sicherheitsanforderungen, die 2020 verschärft wurden und die ab 2025 gelten, schon in großen Teilen entsprechen würden. Es seien dennoch Modernisierungen nötig und eine Umweltverträglichkeitsprüfung.

Atomaufsichtsbehörde Fanc erhöht den Druck

Es wäre mehr als sportlich, das in drei Jahren zu schaffen. Betreiber Engie nennt das Unterfangen sogar unmöglich. „Wir bereiten nun das Abschalten aller sieben Meiler vor“, sagte Engie-Sprecherin Anne-Sophie Hugé. „Ein Kernkraftwerk kann man nicht so per Knopfdruck mal eben länger am Netz lassen.“ Die Atomaufsichtsbehörde Fanc betont, dass die Regierung sich in diesem Quartal, genau genommen am 18. März, entscheiden muss. „Danach ist eine Verlängerung der Laufzeiten definitiv unumkehrbar.“

Dieser Stichtag verwundert einigermaßen, denn die belgische Umweltministerin Tinne Van der Staeten (Grüne) hatte bereits im Dezember ein Gutachten vorgestellt, wonach Belgien aus der Kernenergie aussteigen kann. Warum bedarf es nun einer neuen Entscheidung? In der sogenannten Vivaldi-Koalition setzt sich eine Partei, der liberale Mouvement Réformateur, vehement für den Erhalt der Kernenergie ein.

Staatssekretär Krischer kritisiert Hinhaltetaktik

Oliver Krischer (Grüne) ist Bundestagsabgeordneter für Aachen und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Krischer kämpft seit langem gegen den Betrieb der als „Riss-Meiler“ bekanntgewordenen Tihange 2 und Doel 3. Er kritisiert die Verzögerungstaktik der Belgier.

„Das Auflassen von Hintertürchen führt am Ende immer dazu, dass man sie auch nutzt und nicht den Vorderausgang nimmt. Das kennt jeder, der versucht hat abzunehmen, aber im Schrank noch eine Kiste Süßigkeiten zur Sicherheit aufbewahrt“, sagte er auf Anfrage. Die alten Atomkraftwerke über 2025 hinaus betriebsbereit zu halten, koste extrem viel Geld, und das fehlt für den notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien, monieren Krischer und die Grünen in Belgien.

Der Plan A der Belgier ist es denn auch, aus der Kernenergie auszusteigen. Dabei helfen sollen Gaskraftwerke, die nur dann zum Einsatz kommen, wenn nicht ausreichend Strom aus erneuerbaren Energiequellen zur Verfügung steht. Das funktioniert mittels Subventionen für die Firmen, die neue Gaskraftwerke bauen, wie beispielsweise Engie. Doch es hapert, weil Genehmigungen für neue Gaskraftwerke nicht erteilt werden. Brisanterweise von einer zuständigen Politikerin des Mouvement Réformateur, der sich für den Erhalt der AKW ausspricht.

Krischer lobt die Versorgungspläne. Das Land sei außerdem beispielsweise durch die neue deutsch-belgische Stromleitung Alegro, die von Oberzier im Kreis Düren nach Lüttich führt, viel besser als früher ins europäische Netz eingebunden. „Das erhöht die Versorgungssicherheit immens“, betonte Krischer, der um die Sorgen der Belgier vor einem Blackout weiß. Die Bundesregierung stehe selbstverständlich bereit,  gemeinsam mit Belgien weitere Schritte für eine sichere Energieversorgung ohne Atomkraftwerke zu unternehmen.

Cogolati bleibt optimistisch, dass Belgien eine Zukunft ganz ohne Kernenergie hat, auch wenn das für seinen Heimatort Huy nicht nur Vorteile hat. Tausend Jobs hängen am dem Kraftwerk Tihange. 15 Millionen Euro, ein Drittel des Haushalts, erhält die Gemeinde vom Betreiber Engie. Noch. „Wenn wir auf Erneuerbare Energien setzen, werden wir unabhängiger von Russland, China und Preisschwankungen an den Börsen“, sagte Cogolati.

Denn auch in Belgien sind die hohen Strompreise natürlich ein Thema. Manch einer glaubt, dass das Ende der Kernenergie die Preise noch weiter in die Höhe treiben könnte. Dabei würde die Verlängerung der Meiler ebenfalls Milliarden kosten. Geld, das Engie offenbar nicht bereit ist zu investieren. „Wenn du ein Haus bauen willst, aber keiner will es dir bauen, dann musst du einsehen, dass das Projekt gescheitert ist“, sagte Cogolati. Fest steht jetzt schon, dass Tihange 2 kommendes Jahr vom Netz geht, Doel 3 sogar schon in diesem Jahr.

Belgien schließt Kernenergie nicht aus

Doch möglicherweise ist das Aus der sieben Meiler an den Standorten Tihange und Doel nicht der endgültige Ausstieg Belgiens aus der Kernenergie. Das Land plant nämlich, bis 2050 CO2-neutral zu werden und schließt dabei wie Frankreich und die Niederlande offensichtlich nicht aus, auf Kernenergie zu setzen.

Die belgische Regierung hat jüngst beschlossen, in neue Technik zu investieren. Kernkraftwerke der neuen Generation könnten perspektivisch genutzt werden. 100 Millionen Euro sollen in die Erforschung klimafreundlicher Atomenergien investiert werden – gemeint sind damit sogenannte kleine modulare Reaktoren (SMR).

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Das Bundesumweltministerium sieht die Pläne kritisch. „Gleichwohl hat jedes Land das Recht, sich in seinem nationalen Energiemix für oder gegen Atomkraft zu entscheiden“, teilte das Ministerium auf Anfrage mit. Die kleinen modularen Reaktoren würden aber die Nachteile und Risiken der nuklearen Energieproduktion von vergleichsweise wenigen Großanlagen auf viele kleine Anlagen verlagern, „ohne jedoch die eigentlichen Probleme zu lösen“, hieß es weiter.

Diskussion über Mini-AKW nimmt in Belgien Fahrt auf

„Solche Mini-AKW sind bisher reine Hirngespinste“, kritisierte Krischer. „Und mit vielen Anlagen wird die Gefahr noch um ein Vielfaches größer, dass radioaktives Material in die falschen Hände gerät, was ein Horrorszenario wäre.“ Er wirft zudem die Frage auf, wer solche Anlagen in seiner Nachbarschaft haben wollen würde.

Das Problem sieht der belgische Grüne Cogolati auch. „Um Tihange und Doel zu ersetzen, bräuchten wir mindestens 100 solcher kleinen AKW. Wo sollen die denn hin?“ Generell sei er aber offen für neue Technologien: „Wenn mir jemand saubere und ungefährliche Kernkraftwerke zeigen kann, dann sperre ich mich nicht dagegen.“

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