Ersatzleistung analog zum Elterngeld gefordert„Pflege darf nicht arm machen“

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Symbolbild

Köln – Die häusliche Pflege sei ein „riesiges dunkles Loch“. Das sagte der Vizepräsident des Sozialverband VdK Horst Vöge am Donnerstag bei einer Pressekonferenz zum Thema Pflege während der Pandemie. In NRW galten im Dezember 2019 rund 965.000 Menschen als pflegebedürftig. Inzwischen liegt die Zahl laut VdK bei über einer Million. Schätzungsweise werden rund 522.000 Menschen in NRW zu Hause gepflegt. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Bundesweit wurden 2019 über 3,3 Millionen Menschen zu Hause versorgt, mehr als zwei Millionen davon ausschließlich durch ihre Angehörigen.

Wie es den Pflegebedürftigen und den Pflegenden zu Hause geht, hat der VdK von Pflegeforschenden der Hochschule Osnabrück untersuchen lassen. Jetzt liegt ein erster Zwischenstand vor.

Pflegebedürftige und Angehörige fühlen sich psychisch stärker belastet

Fast die Hälfte der pflegenden Angehörigen wie auch der Pflegebedürftigen gab an, dass sie die Zeit der Pandemie als sehr viel belastender empfanden. Neben dem Risiko der Ansteckung – 65 Prozent der pflegenden Angehörigen in NRW zählen zu einer Risikogruppe – wog vor allem die psychische Belastung schwer. „Viele haben sich zu Hause richtig eingebuddelt und eingeigelt, hatten keine Kontakte mehr nach draußen und haben niemanden mehr reingelassen“, so Manuela Anacker, Pflege-Expertin beim VdK NRW.

Einsamkeit macht schneller pflegebedürftig

„Einsamkeit macht psychisch und physisch krank. Man wird auch schneller pflegebedürftig“. 82 Prozent der Befragten gaben an, den Kontakt zu Menschen außerhalb des eigenen Haushalts während der Pandemie so weit wie möglich gemieden zu haben. Fast ein Viertel sagte, dass sie die eigenen vier Wände nicht mehr verlassen hätten.

Viele Pflegende und die Pflegebedürftige waren während der Pandemie weitestgehend auf sich gestellt. 35 Prozent der NRW-Haushalte mit einem pflegebedürftigen Menschen nahmen keine Unterstützung mehr in Anspruch – weil die Angebote ausgesetzt waren oder aus Angst vor einer Ansteckung. Der VdK habe darum von den Kommunen eine Corona-Sozialbilanz und Maßnahmen gefordert, so Vöge. Die Konzepte, um Menschen zu integrieren und aus der Einsamkeit zu holen, seien da. Doch die Resonanz seitens der Kommunen auf die Vorschläge des VdK sei mäßig ausgefallen.

VdK fordert Pflegevollversicherung und Lohnersatz für Angehörige

Der Sozialverband fordert eine über Steuern finanzierte Pflegevollversicherung und eine Lohnersatz- und Rentenleistung für pflegende Angehörige analog zum Elterngeld. „Pflege darf nicht arm machen“, so der Vizevorsitzende Vöge. Für NRW müsse ein Notfallplan aufgesetzt werden, um im Falle weiterer Pandemien die Versorgung Pflegebedürftiger zu Hause sicherzustellen.

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Um Verbesserungen zu erreichen, müsse man sich darüber hinaus die Frage stellen, wie häusliche Pflege künftig aussehen solle. „Nichts ist individueller als die Ausgestaltung der Pflege zu Hause“, heißt es dazu vom VdK. Man wisse schlicht nicht, wie diese aussehe, weil niemand in diesen privatesten Bereich schauen könne. Einschätzungen dazu seien sehr unterschiedlich und würden entweder in die Richtung gehen, dass Angehörige die Pflege gerne übernehmen, bis zu der Ansicht, dass die Pflege Angehörige erheblich belaste.

Pflegereform nicht umgesetzt - 1,8 Milliarden an stationäre Pflege

Besonders schwer wiegt für den VdK die ausgebliebene Erhöhung des Pflegegelds. Um 1,8 Milliarden Euro sollten die Pflegeleistungen mit der Pflegereform im Juli erhöht werden – das entspricht fünf Prozent. Stattdessen floss das Geld in die stationäre Pflege. „Das ist der falsche Weg. Die Pflege zu Hause braucht dringend mehr Unterstützung“, so Vöge. „Demzufolge werden wir uns vorbehalten die ausgebliebene Erhöhung einzuklagen – notfalls gehen wir bis zum Bundesverfassungsgericht“.

Erhöhung des Pflegegelds muss Priorität haben

Die Erhöhung des Pflegegelds und die Absicherung pflegender Angehöriger müssten für die nächste Bundesregierung Priorität haben, so der VdK. Der Sozialverband fordert, dass in den ersten beiden Jahren der Legislatur Verbesserungen kommen. „Es hilft nichts, an kleinen Fäden zu ziehen. Es braucht eine grundsätzliche Veränderung der Pflege“, so Vöge.

Fast 56.000 Pflegebedürftige und Pflegende haben an der Befragung teilgenommen. Etwa 12.300 davon aus NRW. Die Befragungen fanden zwischen Februar und April 2021 statt, als die Impfungen für ältere Menschen und Risikogruppen gerade anliefen.

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