Ex-NRW-Finanzminister schreibt Buch„Wir sind immer noch ein Paradies für Geldwäscher“

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Norbert Walter-Borjans 

Köln – Der Mann, den sie „Nowabo“ nennen, sitzt am Fenster einer Eckkneipe in Köln-Sülz und nippt am Kölsch. Dass die Redakteure sich leicht verspäten, nimmt er gelassen hin. „Macht nichts, ich habe jetzt ja Zeit“, sagt Norbert Walter-Borjans zur Begrüßung. Das war nicht immer so. Bis zum vergangenen Sommer war er Finanzminister von NRW. Jetzt genießt der SPD-Politiker sein „zweites Leben“ als Polit-Pensionär.

Neulich, so berichtet er, habe er auf dem Gut Gödelitz in Sachsen gastiert. Dorthin kamen an einem Samstagabend im Oktober 120 Gäste, um ihm zuzuhören. Walter-Borjans las aus seinem neuen Buch vor. „Steuern - Der große Bluff“, lautet der Titel. „Ich hätte nicht gedacht, dass der Saal in dieser Abgeschiedenheit so voll werden würde“, sagt er und lächelt listig.

Bei der SPD gehört Walter-Borjans zu den Urgesteinen

Walter-Borjans gehört zu den Urgesteinen der nordrhein-westfälischen SPD. Schon in der Amtszeit von Ministerpräsident Johannes Rau stieg er zum Regierungssprecher auf. 2005 wechselte der gebürtige Krefelder als Wirtschaftsdezernent nach Köln. Als Hannelore Kraft (SPD) 2010 überraschend Ministerpräsidentin wurde, bot sie Walter-Borjans die Leitung des Finanzressorts an. Schnell machte er sich durch den umstrittenen Ankauf von Steuer-CDs einen Namen und tingelte durch die Talkshows.

Fast immer wurde er als „Robin Hood“ der Steuerzahler vorgestellt. Von seinem Spitznamen habe er übrigens zum ersten Mal in einem Radiointerview mit dem CDU-Politiker Karl-Josef Laumann gehört, erzählt Walter-Borjans: „Das war ein klassisches Beispiel für eine missglückte Verunglimpfung, für die ich mich nur bedanken kann. Der Robin Hood wurde zu einem positiv besetzten Markenzeichen.“ Fortan wurde der Minister auch im Karneval oft als edler Räuber aus dem Sherwood Forest gesichtet.

Er ist der „Robin Hood“ der Steuerzahler

Jetzt hat der „Robin Hood“ der Steuerzahler also ein Buch geschrieben. Das Werk ist eine Art politisches Vermächtnis zu Lebzeiten. „Vieles von dem, was ich in den sieben Jahren als NRW-Finanzminister im Einsatz gegen den Betrug an der Allgemeinheit an Erfahrungen gesammelt habe, konnte ich dort abladen. Es hätte mich belastet, wenn ich alles für mich behalten hätte“, so Walter-Borjans.

Außerdem, da ist er sich sicher, haben auch viele Politiker Nachhilfe in Sachen Finanzpolitik dringend nötig. „Veritable Mitglieder der Bundesregierung brüsten sich gelegentlich damit, von Steuern und Mathe wenig Ahnung zu haben“, sagt der Wahl-Kölner und schüttelt den Kopf. Darin liege der Kern des Problems. „Die meisten Politiker wollen gestalten und Geld ausgeben“ – sie müssten sich aber auch mehr darum kümmern, wie der Staat die dafür nötigen Mittel gerecht einnehmen kann.

Warum heißt das Buch „Der große Bluff?“ „Der Bluff in der Steuerpolitik besteht auf vielen Ebenen“, antwortet Walter-Borjans. Da sei zum Beispiel der Glaube an die Aussagekraft von Durchschnittswerten. „Das Bild, das in Deutschland alles im Lot sei, stimmt nicht. Es gibt in diesem reichen Land viel zu viele, denen es nicht gut geht.“ Der Bund der Steuerzahler beklage zwar, dass die besser verdienende Hälfte 95 Prozent der Einkommensteuer trage. Allerdings verschweige er gleichzeitig, dass diese Hälfte auch 84 Prozent des Einkommens beziehe. „Wir haben eine zu ungleiche Verteilung“, sagt er mit Nachdruck.

2011 gelang es Walter-Borjans, das bereits unterschriebene Steuerabkommen mit der Schweiz zu torpedieren. Der Ankauf von elf Steuer-CDs spülte dem Staat mehr als sechs Milliarden Euro in die Kassen. Tausende Steuerbetrüger flogen auf oder zeigten sich selbst an, um einer Strafverfolgung zu entgehen. Mit dem Vorstoß polierte „Nowabo“ das finanzpolitische Image der SPD auf. Die hatte bis Dato wegen vor allem wegen ihrer Schuldenpolitik im Fokus gestanden.

Die SPD steckt weiterhin fest im Umfragetief

Jetzt, sechs Jahre nach den ersten CD-Käufen, liegt die Partei in den Umfragen am Boden. Walter-Borjans gehört zu den Linken in seiner Partei, deshalb schmerzt es ihn, dass die SPD ihren Markenkern „soziale Gerechtigkeit“ durch eigenes Zutun seit der Agenda-Politik des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder enorm abgeschliffen hat. 2002 habe es unter dem Eindruck der Politik von Tony Blair „einen Hype“ um die Idee gegeben, die Konjunktur durch Steuerentlastungen für Besserverdienende anzukurbeln. Die enormen Einnahmeausfälle seien durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer kompensiert worden, was Geringverdiener besonders hart getroffen habe. „Das war ein fataler Schritt“, analysiert der Ex-Minister. Auch beim Thema Hartz-IV sieht er Korrekturbedarf: „Es ist höchste Zeit, die Risiken und Nebenwirkungen der damaligen Rosskur ernst zu nehmen und abzustellen.“

Walter-Borjans glaube an die Sozialdemokratie

Der Ex-Finanzminister ist und bleibt ein „Homo-Politikus“. Walter-Borjans liebt es, seine Kernanliegen im Zusammenhang darzustellen. Er glaubt an seine sozialdemokratische Überzeugung und hat die Gabe, komplexe Sachverhalte einfach zu erklären. Auch wenn dabei fast der Flammkuchen mit Lachs kalt wird. Die Grünen, so erklärt er weiter , seien ihren Positionen beim Klimaschutz und in der Migration auch in schwierigen Zeiten treugeblieben. Die SPD habe sich in der zentralen Gerechtigkeitsfrage jedoch zu oft der starken Wirtschaftslobby gebeugt.

Mit der Folge, dass die Forderung nach mehr Steuergerechtigkeit beim Poker um die Ziele der Regierungskoalition in Berlin regelmäßig von der SPD geopfert wurden. „Wir sollten erst die Steuerhinterzieher drankriegen, bevor wird über die neue Verteilung von Lasten unter den Ehrlichen reden“, ärgert sich Walter-Borjans. Die Finanzfahndung sei völlig überlastet. „Wir sind definitiv ein Paradies für Geldwäscher. Dadurch wandern jedes Jahr schätzungsweise 100 Milliarden Euro an Geld aus dubiosen Geschäften ins Land, 20 Milliarden davon in Immobilien.“

Neben der bundespolitischen Großwetterlage interessiert sich Walter-Borjans auch für die aktuelle Situation der Kölner SPD. Die hat nach dem Stadtwerke-Skandal um den früheren Fraktionsvorsitzenden Martin Börschel einen ihrer wichtigsten Köpfe verloren. Wie solle es jetzt weitergehen? Welcher SPD-Politiker könnte bei der nächsten Oberbürgermeisterwahl gegen Henriette Reker antreten?

Schon 2014 war er OB-Kandidat in Köln im Gespräch

Schon 2014 war Walter-Borjans als möglicher OB-Kandidat für die SPD in Köln gehandelt worden. Sein Bewerbung hätte womöglich erfolgreich sein können – Reker erklärte später, sie wäre nicht gegen ihn angetreten. Doch so weit kam es nicht. Walter-Borjans, der nicht über starke eigene Truppen in der SPD verfügte, wurde von der Parteiführung ausgebremst. Ist für ihn die Kandidatur 2020 in der Domstadt noch eine Option?

Walter-Borjans winkt ab. Für die Hauptrolle in „Und täglich grüßt das Murmeltier“ stehe er nicht zur Verfügung. „Ich bin jetzt 66 und hätte auch als NRW-Finanzminister wohl nicht mehr die ganze Legislaturperiode machen wollen, auch wenn wir die Wahl nicht verloren hätten“, sagt er. Über den breiten Zuspruch in Köln wie in Düsseldorf habe er sich immer gefreut, aber jetzt sei Schluss. „Robin Hood“ will Privatier bleiben. Seine Fans in der SPD werden das schade finden.

Das Hobby des Wahl-Kölners ist die Bildhauerei

Norbert Walter-Borjans wurde am 17. September 1952 als Sohn eines Schneiders und einer Schneiderin in Krefeld-Uerdingen geboren. Er lebt in Köln-Sülz und hat vier Kinder. Zu seinen Hobbys gehört die Bildhauerei.

Der SPD-Politiker studierte Informatik und Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn mit dem Abschluss Diplom-Volkswirt. In Köln legte er später die Promotion ab. Seinen ersten Job als Produktmanager fand er bei Henkel in Düsseldorf. Seit 1984 arbeitete Walter-Borjans in der Düsseldorfer Staatskanzlei. 1991 wurde er Regierungssprecher im Kabinett von Johannes Rau. Danach wechselte er als Wirtschaftsstaatssekretär von Oskar Lafontaine an die Saar. 

Von 2010 bis 2017 war Walter-Borjans Finanzminister von NRW. Das Buch „Steuern – der Große Bluff“ (288 Seiten) ist als Taschenbuch im Verlag bei Kiepenheuer&Witsch erschienen. Es kostet 15 Euro. ISBN 978-3-462-05176-6    

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