Ex-SPD-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans"Zum Glück bin ich kein Polit-Junkie"

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt (7)

Köln – Vor ein paar Tagen wäre das dem Boulevard noch eine dicke Schlagzeile wert gewesen: SPD-Parteichef gestürzt. Beim Joggen. Doch seit dem 11. Dezember ist Norbert Walter-Borjans aus den politischen Schlagzeilen verschwunden, die er zwei Jahre zuvor, aus dem Nichts gekommen, über Nacht beherrscht hatte.

Als kecker Außenseiter, der mit Saskia Esken gegen das Duo Olaf Scholz und Klara Geywitz am Ende einer gnadenlosen Serie von 23 Regionalkonferenzen in der Stichwahl um den SPD-Bundesvorsitz siegte. Und der nach diesem Coup alles dafür getan hat, jenen Scholz, den er als Parteichef unbedingt verhindern wollte, zum Bundeskanzler zu machen.

Der Sturz hat ein paar Spuren hinterlassen. Ein paar Kratzer im Gesicht, Schürfwunden an den Händen. Wir treffen Nowabo, wie ihn seine Weggefährten nennen, in seinem Lieblingsviertel in Sülz.

Alles zum Thema Olaf Scholz

Auf Wohnungssuche in Köln

Hier hat der 69-Jährige viele Jahre gelebt und hierher will er nach seinem zweijährigen Berlin-Intermezzo auch zurückkehren. Wenn da die leidige Wohnungssuche nicht wäre. Sein altes Zuhause mitten im Viertel hat der SPD-Mann seinem ältesten Sohn und dessen Frau überlassen. Das Paar erwartet im April ein Baby. „Meine erste Enkelin.“

Seine jüngste Tochter, die als Architektin in Berlin arbeitet, ist scharf auf Papas Wohnung im Szeneviertel am Prenzlauer Berg, so dass Nowabo jetzt privat das machen muss, was er in der Politik nur ungern tat: Kompromisse schmieden.

"Ich habe auch jetzt keinen Plan in der Tasche"

Noch einen Koffer in Berlin, noch keine Wohnung in Köln wohnt er bei seiner Lebensgefährtin in Düsseldorf. „Wir sind uns aber schon lange einig darüber, dass es auch einen Lebensmittelpunkt in Köln geben muss. Am liebsten hier im Veedel.“

„Der gesamte Weg war weder berechnet noch geplant“, sagt der Mann, der in Köln Wirtschaftsdezernent und Stadtkämmerer, anschließend sieben Jahre im Landeskabinett von Hannelore Kraft Finanzminister war.

Auch jetzt, nach seiner Blitzkarriere in der Bundespolitik, sei es nicht so, „dass ich irgendeinen Plan in der Tasche habe. Ich bin jetzt 69 und bin nicht mehr an dem Punkt zu sagen, jetzt muss aber dieses oder jenes noch passieren. Ich lasse mich halt gern überraschen.“

Nimmt man es ganz genau, hat der Kölner Verleger Helge Malchow von Kiepenheuer & Witsch auch einen Anteil daran, dass die SPD 16 Jahre nach Gerhard Schröder wieder den Kanzler stellt. Malchow brachte Nowabo auf die Idee, über seinen Kampf gegen Steuerhinterziehung als Finanzminister und den Ankauf von Steuer-CDs mit den Daten von Steuersündern ein Buch zu schreiben. Titel: „Der große Bluff“.

„Ich war mit meinem Buch auf Lesetour und hatte schon 70 Stationen hinter mir, als Andrea Nahles als Parteivorsitzende zurücktrat“, sagt Nowabo. Bei seiner Reise quer durch Deutschland sei er immer wieder darauf angesprochen worden, dass Steuergerechtigkeit doch ein ureigenes Thema der SPD sei. Ein paarmal sei ihm auch die Frage direkt gestellt worden. Warum kandidierst Du eigentlich nicht für den Parteivorsitz?

Im August 2019, kurz vor dem Bewerbungsschluss, hätten ihm ein paar SPD-Politiker aus Nordrhein-Westfalen „bei mir zuhause bei einem Frühstück recht deutlich gesagt, dass ich ins Rennen gehen sollte.“

Er habe das damals recht entspannt gesehen. „Ich habe mir gesagt, das sind 23 Regionalkonferenzen. Da habe ich 23mal im gesamten Bundesgebiet die Gelegenheit, meine Vorstellungen zu formulieren, was die SPD eigentlich tun müsste, um aus dem Tief zu kommen. Und wenn es danach gegessen ist, wäre das für mich so eine Art politisches Vermächtnis gewesen.“

Das Ende dieser Ochsentour ist bekannt und der Satz, den Nowabo bei der zwölften Regionalkonferenz im Willy-Brandt-Haus in Berlin am 17. September, „das ist mein Geburtstag“, erfand, in der Partei Legende.

„Wir sind mit dem SPD-Bus falsch abgebogen und in der neoliberalen Pampa gelandet. Da brauchen wir uns nicht wundern, dass der Bus so wenig Fahrgäste hat. Wir brauchen keinen neuen Bus. Wir brauchen neue Fahrer.“ Für diesen Satz habe er lauten Applaus bekommen und zum ersten Mal gespürt: „Wir können es tatsächlich schaffen, das Rennen um den Parteivorsitz zu gewinnen. Wir wussten, dass wir wieder an die Seele der Parteimitglieder appellieren müssen. Wenn sie nur noch die Politik einer Koalition abwinken sollen, geht das schief.“

Neuer Inhalt (7)

Olaf Scholz, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans beim Parteitag am 4. Dezember in Berlin, bei dem die SPD über den Koalitionsvertrag abgestimmt hat.

Im Nachhinein sei es eine absolut richtige Entscheidung gewesen, „dass die Mitglieder Saskia Esken und mich zu den Vorsitzenden gewählt haben“. Für die Profilierung der Partei sei Olaf Scholz nicht der Richtige gewesen, „weil er doch sehr den breiten Kompromiss sucht.“ Für das Kanzleramt hingegen „war Olaf der absolut geeignete Kandidat“, sagt Nowabo. „Da braucht man jemanden, der mit dem Wertegerüst der Sozialdemokratie nach einer breiten Basis sucht, um Dinge umzusetzen.“

Scholz als Parteichef verhindert und zum Kanzler gemacht

So habe man schnell nach dem Mitgliederentscheid am 30. November 2019 und dem Parteitag eine Woche später einen gemeinsamen Nenner gefunden, den Wahlkampf geplant und durchgezogen. „Es war im Rückblick für die SPD gar nicht so schlecht, mit mir einen Chef zu haben, der keine Rücksichten mehr nehmen muss, weil er keine Karriere mehr plant. Und der deshalb auch keine Bedrohung für andere darstellt, zumal ich klargestellt habe, dass ich nicht in den Bundestag will. Dort bis 2025 zu sitzen, gehörte nicht zu meiner Lebensplanung“, sagt Walter-Borjans.

Das könnte Sie auch interessieren:

„Zum Glück bin ich kein Polit-Junkie. Ich wollte immer auf der Strecke entscheiden können, jetzt ist der Punkt, wo ich das erreicht habe, was ich beitragen konnte. Ich kann auch wieder mal nach Italien gehen und als Hobby-Bildhauer ein paar Steine klopfen. Und zwar keine Specksteine, sondern Marmor.“

Er sei nicht mehr „auf der Suche nach einer Beschäftigung, die mich dermaßen beansprucht wie die letzte. Ich gucke aber gern auf die letzten zwei Jahre zurück und kann sagen, das war gar nicht so schlecht, dass du das gemacht hast.“ Mal abwarten, was noch kommt. Selbst bei einem Hobby-Bildhauer ist nicht alles in Stein gemeißelt. „Mich überrascht an mir schon lange nichts mehr.“

KStA abonnieren