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Ex-Verfassungsschutz-Chef Maaßen„In Deutschland funktioniert vieles nicht mehr“

Lesezeit 8 Minuten
HansGeorgMaaßen

Hans-Georg Maaßen während des Gesprächs im Neven DuMont-Haus

  • Hans-Georg Maaßen (56) war Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
  • Er war in die Kritik geraten, nachdem er bezweifelt hatte, dass es nach der Tötung eines Mannes in Chemnitz zu „Hetzjagden“ auf Ausländer gekommen sei. Im November 2018 wurde er in den einstweiligen Ruhestand versetzt.
  • Wir haben mit Maaßen über Probleme mit der Migration, der Inneren Sicherheit und dem Rechtsextremismus gesprochen.

Herr Maaßen, bei ihrem Auftritt auf einer Veranstaltung der Jungen Union im fränkischen Coburg gab es draußen vor dem Saal Proteste, ein SPD-Stadtrat sprach von einer Schande, wie bewerten Sie solche Reaktionen?

Hans-Georg Maaßen: Ich habe den Nerv dieser Leute getroffen. Sie reden sich die Welt schön, vor allem in der Migrations- und Sicherheitspolitik. Ich bin weder konservativ noch rechts, sondern einfach nur ein Realist, der versucht, die Welt so zu sehen wie sie ist. Diese Sichtweise führt zur Erkenntnis, dass Deutschland derzeit mit immensen politischen Problemen zu kämpfen hat.

Wir müssen einfach dazu bereit sein, diese Dinge auszusprechen und nicht zu verschweigen. Das fängt bei der Migration an, geht über die innere Sicherheit nebst Fragen zum Euro und außenpolitischen Themen. Durch das Verschweigen der Probleme gepaart mit einem weltfremden Idealismus der Demonstranten wird es nur noch schlimmer. All dies besorgt mich.

Nach wie vor hängen Ihnen die umstrittenen Äußerungen zu den Krawallen in Chemnitz nach, würden Sie heute im Rückblick anders urteilen?

Es ist nicht falsch, die Wahrheit auszusprechen. Und ich verbiege mich nicht, nur um eine Position zu behalten.

Man hat ihnen seinerzeit vorgeworfen, auf dem rechten Auge blind zu sein.

Das Gegenteil ist richtig. In meiner Amtszeit hat das Bundesamt für Verfassungsschutz im Kampf gegen den Rechtsextremismus das Personal hochgefahren. Wir haben seinerzeit die rechtsterroristische Zelle „Old school society“ aufgeklärt. Im Übrigen hatte ich veranlasst, dass die AfD geprüft wird.

Inzwischen gelten Sie als Aushängeschild der Werteunion, einem konservativen CDU-Kreis, peilen Sie nach Jahrzehnten als Beamter eine Politkarriere an?

Ich habe bereits einen guten Weg hinter mir. Aber mein Wunsch sind politische Veränderungen in diesem Land.

Was meinen Sie mit Veränderungen?

Das fängt an bei der Ausländerpolitik. Jeden Tag kommen immer noch bis zu 500 Menschen als Asylsuchende zu uns – und das ist nur das Hellfeld. Ich sehe große Probleme in der Integration, im Familiennachzug.

Die Mehrehe ist ein hochemotionales Thema, weil viele Menschen nicht verstehen können, dass Polygamisten auch noch eingebürgert werden. Ich befürchte aber auch grundlegende Schwierigkeiten. Wer auf dem Berliner Flughafen landet, wird sich die Frage stellen, ob er nicht in einem Schwellenland angekommen ist.

Heißt?

Vieles funktioniert nicht mehr so, wie die Bürger es erwarten. Stets heißt es, wir sind eine reiche Industrienation, schaut man aber auf die Straßen, die maroden Schulgebäude, die bröckelnde Infrastruktur, fragt man sich, wo das Geld dafür geblieben ist und warum Deutschland noch nicht einmal in überschaubarer Zeit Flughäfen, Brücken oder U-Bahnen bauen kann.

Oder warum über 235.000 ausreisepflichtige Ausländer nicht abgeschoben werden. Die Probleme passen nicht zu einem der reichsten Länder der Erde und schon gar nicht zu einer funktionstüchtigen Verwaltung. Deutschland hat eine bessere Politik verdient.

Maaßen über den Zustand der CDU

Gut ein Dutzend CDU-Auftritte mit Schwerpunkt auf die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen sind mit Ihnen geplant, was steckt dahinter?

Die CDU muss von innen reformiert werden. Der Wechsel an der Partei- und Fraktionsspitze ist begrüßenswert. Allerdings bleibt abzuwarten, ob es nun zu einem grundlegenden Politikwandel kommt. Die Neuausrichtung sollte sich aber auch auf die Bundesländer erstrecken. Insbesondere im Osten Deutschlands.

Deshalb unterstütze ich einige Kandidaten und Abgeordnete im Wahlkampf in den neuen Ländern. Seit 30 Jahren bin ich CDU-Mitglied, und ich möchte nicht, dass eine andere Partei als die CDU in Sachsen und anderswo stärkste Partei wird, dazu will ich meinen Beitrag leisten.

Wie muss sich die Union neu ausrichten?

Die CDU muss wieder gestalten und nicht verwalten. Ein „Weiter So“ darf es nicht geben. Die Union hat sich ein gutes Stück von vielen ihrer Werte entfernt. Ich bin damals nicht in die Partei eingetreten, damit über eine Million arabischstämmiger Asylsuchender ins Land kommen, ohne zu wissen wie man die finanziellen, demographischen und sozialen Auswirkungen bewältigt. Oder nehmen wir die Energiepolitik.

Man kann aus der Kernkraft- und Kohleenergie aussteigen. Aber offensichtlich sind wir das einzige Industrieland, das diesen radikalen und einzigartigen Weg rigoros zu Ende geht. Nach vielen Gesprächen mit ausländischen Freunden habe ich meine Zweifel, ob wir die Zukunft unseres Landes von dem Funktionieren unvorbereiteter energiepolitischer Experimente abhängig machen sollen. Vielleicht sollten wir erstmal damit anfangen, wieder funktionierende Flughäfen und Brücken zu bauen.

Werden Sie auch in Chemnitz reden?

Das weiß ich noch nicht. Es gibt aber keinen Grund, dort nicht zu reden. 

Thema innere Sicherheit, was besorgt Sie besonders?

Ich denke da vor allem an Desinformation im Internet, an Einflusskampagnen durch ausländische Nachrichtendienste über die sozialen Netzwerke, durch Trolle und dergleichen, die selbst einen Staat wie Deutschland destabilisieren können. Inzwischen besteht die Gefahr, dass die Wahlentscheidung durch Fake News beeinflusst und dadurch ganze Urnengänge manipuliert werden.

Wie steht es um die Wirtschaftsspionage, wer saugt know how in Germany ab?

Die Chinesen verfügen sicher über die größte Erfahrung. Da gibt es zwei Wege. Entweder zapfen die Dienste Quellen im Unternehmen an oder sie versuchen durch Cyberattacken Wissen abzuschöpfen.

Nach wie vor gehört Deutschland zu einer jener Nationen, die die meisten Patente hält. Weitaus bedrohlicher sind Sabotageattacken. Mal wird ein Produkt durch angebliche Kundenbewertung via Internet schlecht gemacht oder aber Hacker schleusen sich ins Firmennetz ein und stören Produktionsabläufe. 

Noch vor US-Präsident Trump haben Sie öffentlich gemahnt, den chinesischen Telekommunikationskonzern Huawei von der Ausschreibung der 5G-Frequenzen auszuschließen, warum?

Chinesische Unternehmen arbeiten nicht selbstständig. Sie sind abhängig von der chinesischen Regierung. Und Peking nutzt diese Firmen im Rahmen seiner offensiven Außenpolitik. Wenn Huawei bei 5G hierzulande Fuß fasst, haben wir nicht nur ein ausländisches Unternehmen in diesem Markt, sondern auch den chinesischen Staat.

Folgendes sollte man bedenken: Je kritischer eine Infrastruktur ist, desto höher fällt der Schaden aus, sollte diese versagen. Gerade bei 5G käme ein Ausfall einer Katastrophe gleich. Deshalb sollte man jegliches Sicherheitsrisiko vermeiden.

Ihr Parteifreund, NRW-Verkehrsminister Henrik Wüst sieht da keine Probleme, gehen Sie nicht mit ihrer Warnung zu weit? 

Soweit ich weiß, werden meine Bedenken von vielen aktiven und ehemaligen Kollegen im In- und Ausland geteilt. Künftig wird unsere gesamte Infrastruktur von 5G abhängen, und nun stellen Sie sich mal das Szenario eines so genannten Kill Switch vor, in dem die gesamte Telekommunikation, Internet und alles, was am Netz hängt, auf einen Schlag heruntergefahren wird.

Allein die Möglichkeit, dass ein anderer Staat, dies bei uns bewirken könnte, würde uns erpressbar machen. China ist beileibe keine Demokratie, es handelt sich um ein totalitäres kommunistisches Regime. Dieser Staat agiert auch entsprechend offensiv. Wenn ein totalitärer Staat wie China über Huawei den Zugang zu unserem Zukunftsnetz erhalten will, dann muss man dies verhindern und sich nicht abhören lassen.

Maaßen über den islamistischen Terror

Die US-Amerikaner behaupten mittlerweile, die Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) sei besiegt, teilen Sie diese Einschätzung?

Der IS wird unterschätzt. Die Terror-Miliz ist zwar in Syrien und im Irak besiegt, aber sie lebt weiter. In seiner jüngsten Video-Botschaft hat ihr Anführer Abu Bakr-al Bagdhadi verkündet, wie er seine Truppe restrukturiert. Der IS breitet sich inzwischen in Teilen Nordafrikas oder auch in Asien aus und hält seine weltweiten Anhänger über das Internet zusammen. Man denke nur an die Anschläge in Sri Lanka mit 255 Toten.

In Deutschland und Europa hat die Zahl der IS-Anhänger in den letzten Jahren zugenommen. Allein hierzulande gibt es über 2200 Islamisten, die zum terroristischen Personenpotenzial gehören. Gut 11.000 radikal-islamische Salafisten leben inzwischen in Deutschland. Durch Dschihad-Propaganda via Internet werden viele junge Salafisten hochgradig radikalisiert, so dass sie Anschläge begehen könnten.

Steigert sich die Gefahr durch die IS-Rückkehrer?

Maaßen: Das Anschlagsrisiko kann zunehmen. Diese Veteranen sind ja meist nicht geläutert, viele haben sich vom IS nicht distanziert oder diese Distanzierung nur vorgetäuscht. 

Sind die Sicherheitsbehörden in der Lage, alle diese Leute zu beobachten?

Die Möglichkeiten sind natürlich begrenzt. Die Sicherheitsbehörden können nicht alle Islamisten rund um die Uhr observieren.

Immer mehr Frauen und Kinder kehren aus den IS-Lagern zurück, nun gibt es Pläne, dass die Jugendämter den Nachwuchs aus salafistischen Familien herausholen sollen, ist das realistisch?

Aus meiner Sicht wäre es notwendig, diese Kinder in staatliche Obhut zu nehmen wenn sie hier sind. Was mit ihnen beim IS oder in hiesigen dschihadistischen Familien geschieht, ist Gehirnwäsche. Wir können nicht einfach hinnehmen, dass Kinder in Deutschland zu potenziellen Attentätern erzogen werden.

Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, kurz Ditib, gilt als verlängerter religiöser Arm des türkischen Staatspräsidenten Reccep Tayib Erdogan hierzulande, wie sollte der Inlandsnachrichtendienst auf diese Entwicklung reagieren?

Es ist bekannt, dass Imame der Ditib Informationen ähnlich einem Nachrichtendienst gesammelt und an türkische Behörden weitergeleitet haben. Dabei ging es um die Gülen-Bewegung, die angeblich für den Putsch gegen Erdogan verantwortlich gewesen sein soll. Ein Umstand, der einen Eingriff in unsere staatliche Souveränität darstellt.

Des Weiteren widerspricht die religiöse Ideologie der Ditib aus meiner Sicht in manchen Punkten der im Grundgesetz verankerten freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Aus diesen Gründen sollte der Verfassungsschutz sich diese Organisation näher ansehen. Allerdings liegt das im Ermessen der politischen Entscheidungsträger.

Und wieso zögern die Regierenden?

Das müssen Sie andere fragen.

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