Abo

Film mit ÜberlängeKölner Film- und Fernsehbranche steckt tief in der Corona-Krise

Lesezeit 6 Minuten
Lavinia Wilson in der Mini-Serie „Drinnen – im Internet sind alle gleich“ – ein Beispiel dafür, wie die Fernsehbranche die Corona-Krise zum Thema macht.

Lavinia Wilson in der Mini-Serie „Drinnen – im Internet sind alle gleich“ – ein Beispiel dafür, wie die Fernsehbranche die Corona-Krise zum Thema macht.

  • Köln ist auch als wichtiger Fernseh- und Produktionsstandort von der Corona-Krise schwer getroffen.
  • Nun wird plötzlich TV-Unterhaltung unter dem Eindruck der Pandemie gedreht, die Film- und Fernsehbranche entdeckt das Thema häusliche Isolation in Ist-Zeit.
  • Doch die Zukunft ist unsicher. Wir haben mit Produzenten und anderen Experten der Branche gesprochen.

Köln – Fernsehen braucht in der Regel Zeit, besonders wenn es um Filme und Serien geht. Von der ersten Idee bis zur Ausstrahlung vergehen viele Monate. Und deshalb sehen wir fiktionale Aufarbeitungen der großen Themen unserer Zeit meist mit Verzögerung.

Dass Fernsehen aber auch ganz schnell sein kann, bewies die ZDFneo-Serie „Drinnen – Im Internet sind alle gleich“. Die erste Corona-Serie des deutschen Fernsehens, entwickelt von der Kölner bildundtonfabrik, wurde im Rekordtempo geplant, gedreht, geschnitten. Alle Beteiligten saßen im Homeoffice.

Entstanden sind 15 sehr unterhaltsame Folgen über das Leben der Berlinerin Charlotte (Lavinia Wilson), die versucht, in der Pandemie nicht in den Wahnsinn abzudriften. Was gar nicht so leicht ist: Die Chefin muss mit Corona ins Krankenhaus und überträgt ihr die Leitung der Firma. Ihren Mann und die Kinder hat sie nach Brandenburg ausquartiert, ihre esoterisch angehauchte Schwester ist in Thailand gestrandet, die Eltern sehen das mit den Corona-Regeln irgendwie nicht ein.

Alles zum Thema Film und Fernsehen

Regie aus dem Homeoffice

Lutz Heineking jr. von der in Nippes ansässigen Produktionsfirma Eitelsonnenschein hat bei dem Projekt Regie geführt. „Ich saß tatsächlich am Rechner und hatte über diverse Chats die Schauspieler im Auge, die auch zu Hause saßen. Die nahmen dann vor Ort auf, und ich habe über den Chat Regie geführt. Zwölf Stunden am Tag“, erzählt er im Gespräch mit dieser Zeitung.

Anstrengend sei das gewesen, aber immerhin war man drinnen wetterunabhängig. „Sonst steht man im Regen oder in der Sonne, es ist zu warm oder zu kalt. Aber ich saß immer um sechs Uhr am Schreibtisch. Wir haben versucht, so nah am Puls der Zeit zu sein, wie es geht, deshalb war das kein Spaziergang.“

Danach führte Heineking Regie bei dem Projekt „Ausgebremst“ mit Maria Furtwängler in der Hauptrolle. Am 8. Mai kündigte TNT die Serie an, schon am 9. Juni kann man das Ergebnis sehen. Zunächst auf den Social-Media-Kanälen der Sendergruppe, am 14. Juni (19.10 Uhr) parallel auf TNT Comedy, TNT Serie und TNT Film.

Während der Drehzeit arbeitete Heineking fast rund um die Uhr – eher unüblich für seine Branche in diesen Zeiten. Produzenten fliegt die Arbeit gerade nicht zu. Viele Drehs abgesagt, Projekte liegen auf Eis. Auch Heineking macht sich Sorgen. Derzeit arbeite die Firma kurz: „Die Lage ist nicht hoffnungslos, aber angespannt.“ Eitelsonnenschein verdiene Geld auch mit Werbung und Content. Aufträge großer Kunden fallen derzeit jedoch aus. „Wir sind da schon limitiert, weil wir unser Brot-und-Butter-Geschäft im Moment nicht machen können.“

Die Zeit sei schon sehr anstrengend und herausfordernd, so Heineking. Zudem gebe es viele offene Fragen: Was etwa passiert mit ausgefallenen Produktionen, die in der zweiten Jahreshälfte hätten gesendet werden sollen? „Wahrscheinlich muss man jetzt schnell Sachen entwickeln, die man zügig im Sommer drehen kann, um den Winter zu bespielen. Die Inhalteknappheit kommt erst noch.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Arne Birkenstock führt im Kölner Belgischen Viertel die Firma Fruitmarket, seine Produktionen wie „Beltracchi – Die Kunst der Fälschung“, „Das Kongo Tribunal“ oder „Chandani und ihr Elefant“ sind vielfach preisgekrönt, herausragende Beispiele des Dokumentarfilms, jenes Genre, auf das sich Birkenstock spezialisiert hat. Er habe den Stopp aller laufenden Produktionen erleben müssen, sagt Birkenstock, die Einnahmen seit April seien auf null heruntergefahren. „Vieles, was wir drehen wollten, mussten wir abbrechen.“

Auch für die Zukunft zeichnet Birkenstock ein pessimistisches Bild, denn wenn das Geschäft wieder hochfährt, wird es zu einem gewaltigen Stau kommen – viel ist liegengeblieben. „Außerdem fehlen die Festivals, die für Filmemacher oft die einzige Möglichkeit bieten, ihre Produktionen einem größeren Publikum zu zeigen.“ Viele Produktionsfirmen werden wohl auf der Strecke bleiben. Auch Birkenstock macht sich Sorgen. „Wenn der Betrieb bis Herbst wieder hochgefahren wird, würde mich das retten. Fruitmarket ist gut aufgestellt, aber manchmal überkommen mich grundsätzlichere Zweifel und ich frage mich: Was hast du dein Berufsleben lang gemacht?“

Mit solchen Zweifeln ist Birkenstock nicht allein. Bettina Brokemper ist eine der auch international renommiertesten Filmproduzentinnen Deutschlands mit Sitz in Köln – auf der vergangenen Berlinale war die Chefin von Heimatfilm Teil der Wettbewerbsjury unter dem Vorsitz des britischen Schauspielers Jeremy Irons. Das 2003 gegründete Unternehmen hat zahlreiche Filme des dänischen Regisseurs Lars von Trier mitproduziert, eine der bekanntesten Produktionen ist darüber hinaus „Hannah Arendt“ in der Regie von Margarethe von Trotta. Brokemper ist europaweit und darüber hinaus etwa in Israel bestens vernetzt – doch in der Corona-Krise spricht sie davon, sie fürchte um ihr Lebenswerk.

Viele in der Filmbranche lebten prekär „und die Branche ist dramatisch unterkapitalisiert“, sagt Birkenstock. „Die meisten, die hier arbeiten, sind Freiberufler, Kameraleute, Beleuchter, Kameraassistenten und so weiter. Die kommen gerade aus der Winterflaute und steuern nun dank Corona voll ins Sommerloch. Und was die Branche insgesamt angeht, glaube ich, dass das Virus eine Marktbereinigung beschleunigt, die schon vor Corona begonnen hat.“

Ende des Corona-Films nicht in Sicht

Vor dem Sommerloch fürchten sich auch die Kölner Kinobetreiber. Mitte März erreichte sie eine Verordnung der Stadt, die jegliche Veranstaltung verbot. Betroffen „sind auch Theater- und musikalische Aufführungen, Filmvorführungen und Vorträge jeglicher Art“, hieß es darin. „In den vergangenen Wochen hätten wir das Geld verdient, das wir als Ausgleich für die ruhigen Sommermonate brauchen“, sagt Joachim Kühn, der als Betreiber der Filmpalette und Geschäftsführer vom Verleih Realfiction gleich doppelt von der Krise getroffen ist. Christian Schmalz von Off Broadway und Weißhaus Kino stimmt ihm zu – seine Betriebe hält er durch Kurzarbeit und Staatshilfe über Wasser.

Medienstandort NRW

Mehr als jede dritte Sendeminute im deutschen Fernsehen wird laut Film- und Medienstiftung NRW in Nordrhein-Westfalen produziert. Das macht das Land zum wichtigsten Fernsehstandort in Deutschland und zu einem der größten in Europa. Die Mediengruppe RTL und der WDR haben hier ihren Sitz. Neben München und Berlin gehört Nordrhein-Westfalen zu den wichtigsten Filmstandorten. Mit mehr als 25000 Medien- und Kommunikationsunternehmen, mehr als 463000 Beschäftigten und einem Umsatz von rund 127 Milliarden Euro ist NRW ein Kreativstandort in Europa. (amb)

Auch eine Verordnung des Landes, nach der die Kinos Ende Mai theoretisch wieder öffnen dürften, macht die Lage nicht besser. „Leider sind die Regelungen, die eine Öffnung erlauben, nicht hundertprozentig eindeutig geklärt. Das hat uns dazu bewogen, unsere aktuellen Planungen zur Wiedereröffnung kurzfristig zu stoppen“, sagt Holger Pfaff, Geschäftsführer des Kölner Cinedom. Es geht um die Hygiene- und Abstandsregeln, die nicht klar formuliert seien.

Dass der Film namens „Corona-Krise“ bald zu Ende sein könnte, ist für die Branche nicht in Sicht.

KStA abonnieren