Flüchtlingsdrama in GriechenlandCorona-Epidemie auf Lesbos nur eine Frage der Zeit

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Ein Helfer legt einem Kind im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos eine Schutzmaske an. Hilfsorganisationen warnen vor den verheerenden Folgen eines Ausbruchs der Corona-Pandemie.

Ein Helfer legt einem Kind im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos eine Schutzmaske an. Hilfsorganisationen warnen vor den verheerenden Folgen eines Ausbruchs der Corona-Pandemie.

Köln/Düsseldorf/Duisburg – Es sind keine vier Wochen vergangen, seit sieben Oberbürgermeister deutscher Großstädte und der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) die Bundesregierung in einem Schreiben aufgefordert haben, Flüchtlingskinder aus den Lagern auf den griechischen Inseln aufzunehmen. Sie wollten vor allem die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Kommunen handeln können. Von der Corona-Krise war da noch wenig zu spüren.

Damals schon beschrieben die Unterzeichner die Lage als dramatisch. Doch das Schreiben, das auch Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker und ihr Düsseldorfer Amtskollege Thomas Geisel (SPD) unterschrieben haben, hat in Berlin bisher keinerlei Wirkung gezeigt, obwohl das Bündnis „Sichere Häfen“ und die ihm angeschlossenen 140 deutschen Städte und Gemeinden dem Bund ihre Aufnahmebereitschaft zugesichert haben.

Helfer schlagen Alarm

Knapp vier Wochen später schlagen die Hilfsorganisationen auf den Flüchtlingsinseln Alarm. Bis das Virus die Lager auf Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos erreichen werde, sei es nur noch eine Frage der Zeit, heißt es. „Die Menschen leben jetzt schon unter extrem risikoreichen Bedingungen, auf engstem Raum eingepfercht, ohne ausreichende Hygiene“, beschreibt Boris Cheshirkov vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) die Situation auf Lesbos, wo derzeit rund 20 000 Flüchtlinge und Migranten in einem Lager leben, das ursprünglich für 3000 Menschen geplant war. Insgesamt leben auf den griechischen Inseln nach Schätzungen der Kindernothilfe rund 41 200 Flüchtlinge, darunter über 20 000 Kinder.

„Es gibt leider keine offizielle Zahl der unbegleiteten Kinder. Aber es sind mindestens 5000, meistens Jugendliche“, sagt Frank Posch, Kinderrechtsexperte der Kindernothilfe in Duisburg. Acht EU-Staaten hätten damals versprochen, wenigstens 1500 Kinder auszufliegen. „Aber das ist durch Corona auf Halten gestellt. Deutschland wollte 700 bis 800 aufnehmen. Das ist in der Corona-Krise jetzt anscheinend nicht mehr vermittelbar“, so Posch.

„NRW steht zu seinen humanitären Pflichten“

Auf Nachfrage verweist das NRW-Integrationsministerium auf die Bundesregierung. „Nordrhein-Westfalen ist weiterhin in Abstimmung mit dem Bund, der hier die Koordination übernehmen muss“, sagt Minister Joachim Stamp dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Der FDP-Politiker hatte sich bereits Ende Januar dafür starkgemacht, vor allem kranke Kinder aus Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln zu holen. Die EU müsse dort „dringend hygienische und logistische Voraussetzungen für menschenwürdige Zustände herstellen“, sagte Stamp damals. „Wenn es zu Kindeswohlgefährdung durch Krankheit kommt, sollte die EU gemeinsam mit dem UNHCR eine Evakuierung ermöglichen.“ Daran sollte sich Deutschland beteiligen. „NRW steht zu seinen humanitären Pflichten“, so der Minister. Man müsse das Kindeswohl sichern, wo es durch Krankheit gefährdet ist. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, „dass Familien mit Kindern, die eine griechische Insel erreicht haben, bevorzugt in der EU aufgenommen würden“.

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Die Kindernothilfe kritisiert, dass sich seit Corona gar nichts mehr bewegt. „Wir beißen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf Granit“, sagt Posch. „Auf Lesbos ist das Ausfliegen der Kinder kein Thema mehr.“ Noch sei dort offiziell keiner mit dem Virus infiziert, „aber es gibt ja bisher keine Tests, also weiß das auch keiner“. Bisher hätten sich auf der Insel offiziell erst drei Menschen mit dem Virus angesteckt. „Wenn das im Lager um sich greift, werden viele Menschen sterben. Es gibt dort keine richtige Gesundheitsversorgung.“

Reform des Asylrechts geplant

Das sind die akuten Probleme, für die es dringend einer Lösung bedarf. Überdies fordert die Kindernothilfe gemeinsam mit 42 deutschen Kinder- und Menschenrechtsorganisationen die Bundesregierung auf, bei der geplanten Reform des europäischen Asylrechts die Situation von geflüchteten Kindern zu stärken.

Mit der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft ab 1. Juli könnte Deutschland dabei eine Vorreiterrolle übernehmen. „Die unzumutbare Situation der unbegleiteten Kinder in den Flüchtlingslagern ist ein erschreckendes Beispiel dafür, welche Rolle die Kinderrechte derzeit in der europäischen Asylpolitik spielen“, sagt Katrin Weidemann, Vorsitzende der Kindernothilfe. Für die Reform des Asylrechts fordert die Organisation, dass das Kindeswohl höchste Priorität bei allen asylpolitischen Entscheidungen hat. Kinder dürften weder in Haft genommen noch in ihrer Freiheit beschränkt werden. Geflüchtete Kinder müssen innerhalb der EU über beschleunigte Verfahren mit ihren Familien zusammengeführt werden, Unbegleitete müssten schnell von europäischen Staaten aufgenommen werden. (mit dpa)

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