Flut in ErftstadtWelche Rolle spielt die Erweiterung der Blessemer Kiesgrube?

Lesezeit 4 Minuten
Zerstörung Erftstadt Luftbild

Das Unwetter hat Teile des Orts Blessem im Rhein-Erft-Kreis zerstört.

Erftstadt-Blessem – Der Schock sitzt tief. Es ist eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes, die am Donnerstag über Blessem hereingebrochen ist. Die Polizei hat die Ortschaft großräumig abgesperrt, weil die Abbruchkante zur Kiesgrube, in die etliche Häuser gestürzt sind, immer noch unterspült wird und niemand weiß, ob die Gefahr gebannt ist.

Wir erreichen Mareike Nowotnik per Telefon. Die Mitinhaberin der Unternehmensgruppe Nowotnik, die das Kieswerk 2016 an die Rheinischen Baustoffwerke verpachtet haben, ringt nach Worten. „Wir haben kein Kieswerk mehr“, sagt sie. „Deshalb werden wir wohl auch keine Pacht mehr bekommen und haben keine Einnahmen mehr. Wir waren live dabei und sind absolut fassungslos. Wir sind zum Glück nicht betroffen, bis auf die wirtschaftlichen Folgen, die noch gar nicht abzuschätzen sind. Für die Dorfbewohner ist das alles ganz schrecklich.“

Kiesgrube bei Blessem wurde deutlich vergrößert

2016 hat die Unternehmensgruppe Nowotnik die Sand- und Kiesherstellung in den Werken Blessem und Kerpen-Blatzheim an die Rheinischen Baustoffwerke übergeben, die zum RWE-Konzern gehören. Sie zählen nach eigenen Angaben zu den größten Sand- und Kiesproduzenten mit Schwerpunkt im Rheinischen Braunkohlerevier. Das Kies- und Fertigbetonwerk in Blessem bestand seit 1972 und lieferte Anfang der 1980er Jahre das Material für den Bau der Autobahn 61 zwischen Bergheim und Jackerath.

Alles zum Thema RWE

2014 begannen die Planungen zur Erweiterung der Kiesgrube am Ortsrand von Blessem von 28.000 auf 44.000 Quadratmeter in Richtung Autobahn und Köttingen. Die Erweiterungsfläche sollte nach den Plänen etwa 25 Jahre lang ausgekiest werden. Rund 15 Millionen Tonnen Kies aller Körnungen sollten gefördert werden, Material, das für den Straßenbau und die Herstellung von Beton verwendet wird.

Die Genehmigung zur Auskiesung war von der Abteilung Bergbau und Energie der Bezirksregierung Arnsberg erst nach sorgfältiger Prüfung erteilt worden. Die Prüfungen waren nach geologischen Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass die Erweiterung der Grube um 16000 Quadratmeter keine Auswirkungen auf Blessem haben werde, obwohl sich die Betriebsfläche  dadurch von 27 auf knapp 40 Hektar vergrößerte und näher an den Ort heranrückte.

Strenge Auflagen vom Bergamt

Das Unternehmen musste nach den Vorgaben des Bergamts der Bezirksregierung Arnsberg einen 1,2 Kilometer langen und 1,50 Meter hohen Schutzwall errichten, damit die erweiterte Grube bei einem Erft-Hochwasser nicht vollläuft.

Das Bergamt hatte als zusätzliche Auflage, eine 50 Zentimeter hohe 410 Meter lange Betonmauer entlang des Betriebsgeländes am Ortsrand zu errichten – für den Fall eines extremen Hochwasserereignisses, eines hundertjährigen Hochwassers.

Das könnte Sie auch interessieren:

Auch an der zu Köttingen gelegenen Seite musste eine Schutzmauer von 480 Metern gebaut werden. Damals war man von dem schlimmsten Szenario ausgegangen, dass die Erft unweit des Betriebsgeländes über die Ufer tritt und Schmutzwasser ungehindert durch die Kiesschichten in das Grundwasser gelangen könnte. Alles andere lag außerhalb der Vorstellungskraft.

Politik stimmte Erweiterung der Grube zu

„Das hätte dann gravierende Folgen für die Wassergewinnung und Wasserqualität der benachbarten Dirmerzheimer Brunnengalerie, die große Bereiche der Rheinischen Bucht mit Trinkwasser beliefert“, sagte Firmenchef Hans Georg Notwotnik damals. Die Erweiterung der Grube wurde auch von der Politik ohne Diskussionen durchgewunken. Tagesgeschäft - mehr nicht. Das Unternehmen beschäftigte insgesamt 185 Mitarbeiter.

„Wir haben uns an alle Auflagen gehalten, die waren sehr streng“, sagt Mareike Nowotnik. „Diese Katastrophe war einfach nicht vorhersehbar. Wir haben das alles mehr als erfüllt, als wir das Werk noch betrieben haben.“

Dass die unvorstellbaren Wassermassen der Erft die Kiesgrube im Nu unterspült haben, kommt für Jürgen Herget, Geomorphologie-Professor an der Uni Bonn, nicht überraschend. „Der Erdboden besteht im Wesentlichen aus feinkörnigen Bestandteilen. Zwischen diesen Körnern gibt es kleine Hohlräume. Füllen diese sich mit Wasser wird der Boden schwerer. Liegt er beispielsweise an einem Hang, rutscht er leichter ab“, sagt Herget dem „Nachrichtenportal t-online“.

Dass bei Hochwasserlagen Straßen wegbrechen, sei nicht ungewöhnlich, so Herget. „Der Fluss fließt schneller als sonst und trägt deswegen mehr Material vom Ufer ab.“ So arbeite er sich in den Untergrund hinein und höhle ihn aus.

Hochwasser höhlt Untergrund aus

Genau das ist in Blessem geschehen. Dort hat die Erft auf einer Länge von 50 Metern den Standstreifen und die Lärmschutzwand der A 61 zum Einsturz gebracht. Erfahrungen mit Hochwasser hatte man bis zum Donnerstag an der Erft nur einmal gemacht. Vor 60 Jahren - am 3. Juni  1961 - war der Fluss über die Ufer getreten, hatte aber vergleichsweise geringe Schäden angerichtet.

Roland Strauß vom Geologischen Dienst NRW spricht von einem Dominoeffekt: Die Erft habe ihr Bett verlassen und die Grube geflutet“, sagt er dem „Nachrichtenportal t-online“. Die habe zunächst wie ein Rückhaltebecken gewirkt fungiert, dann sei das Wasser in die Böschungen eingedrungen und habe sie abrutschen lassen. Die Kiesgrubenbetreiber tragen nach seiner Auffassung daran keine Schuld.

„Der Prozess an sich ist simpel: Wenn eine Kiesgrube, die aus solch lockerem Material besteht, schnell von Wasser durchströmt wird, werden die Ränder weggespült. Die Erosion schreitet stromaufwärts zurück“, sagt Michael Dietze vom Deutschen Geoforschungszentrum. Das habe man nicht vorhersehen können, weil dieses Hochwasser alle Dimensionen gesprengt habe.

KStA abonnieren